Sind alle Western schwul?

22 Mai

Jonathan Lethem versucht in der WELT am Beispiel von John Wayne zu erklären,

was es heißt, in Amerika ein Mann zu sein.

In der Vor-Brokeback-Mountain-Zeit kam man in diesem Zusammenhang sicherlich nicht umhin, sich auch mit dem Thema Homosexualität zu beschäftigen. Ob das jedoch heute unverändert gilt? Lethem scheint davon überzeugt:

Noch den dumpfesten Western durchzieht eine unterdrückte Homosexualität – aber das ist nur eine Facette von vielen, die allzu oft als Entschuldigung herhalten muss, das Genre lächerlich zu machen.

Unterdrückte Homosexualität bietet also eine Gelegenheit, etwas lächerlich zu machen? Oder meint er Homosexualität überhaupt? Es wird im Textverlauf nicht klarer:

War sich Wayne der sexuellen Volatilität seiner Physis bewusst, der pantherartigen Anmut, mit der er seinen gewaltigen Körper bewegte, der stürmischen Zärtlichkeit, mit der die Figuren, die er spielte, jüngeren, schwächeren Männer begegneten (…).

Volatilität der Physis? Gehts hier noch um Sex? Die Wikipedia-Definition von Volatilität half mir jedenfalls nicht weiter. Mir scheint, die eigentliche Frage ist die nach dem Motiv von Lethem, diesen Text zu schreiben. Braucht er diese Art der Reflektion, um seinen Westernkonsum zu rechtfertigen? Ist die Interpretation der Wayneschen Erscheinung nicht auch Ausdruck eigener Projektion? Geht es tatsächlich, wenn sich Männer begegnen, immer auch um Sexualität? Ist das nicht vielleicht ein bisschen zu schematisch gedacht? Aber irgendwie meinte Lethem gar nicht das, war er da gerade angedeutet hat:

Das soll nicht heißen, dass Wayne oder die Figuren, die er spielte, unterdrückte Homosexuelle gewesen wären (auch wenn die rituelle Brutalität, mit denen John Ford seinen jungen Schauspielern begegnete, diesen Verdacht aufkommen lässt).

Meine Güte, was denn nun? Erst soll es das nicht heißen, obwohl dieser Verdacht dann irgendwie doch wieder im Raum steht. Und was soll der Quatsch mit der rituellen Brutalität? Wenn wir mal bestenfalls davon ausgehen, dass Lethem damit nicht meint, Homosexualität und Brutalität gehörten mehr oder weniger zwangsläufig zusammen, gar rituell, wird er wohl damit meinen, dass unterdrückte Homosexualität Brutalität freisetzt. Auch das ist doch ein wenig platt gedacht. Zumindest deuten die Werke von Thomas Mann auf weitere Kompensationsmöglichkeiten hin. Das scheint selbst Lethem nicht ganz entgangen zu sein, denn er fährt fort:

Aber Filme, die männliche Schönheit so wirkungsvoll einsetzen, wieder und wieder eine Gefühlswelt zeigen, die Frauen ausschließt, gleichzeitig aber peinlich bemüht sind, die schiere Möglichkeit gleichgeschlechtlichen Verlangens zu leugnen, haben doch etwas Scheinheiliges, das, paradoxerweise, eine Quelle kreativer Energie sein kann.

Wie viel Gewalt, viel Schmerz [Auslassung im Original] in unserer Kultur lässt sich der Scham über eine Ahnung homo- oder bisexuellen Verlangens zuschreiben?

An dieser Stelle wundert sich der aufmerksame Leser dann doch über das Erscheinungsdatum des Textes. Man könnte meinen, wir befänden uns in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts, es hätte seitdem in den USA kein Stonewall gegeben, kein Diversity Management, keine – immerhin – Don’t ask, Don’t tell-Regelung und keine Diskussion um Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen für den ausländischen Partner in einer schwulen Partnerschaft, um nur einige Beispiele zu nennen.

Noch einmal Lethem:

Es ist allemal leichter, über Politik als Politik zu reden, als sich in das unebene Gelände von Einsamkeit, sexueller Verwirrung und familiärer Dynamik zu wagen.

Das ist unbestritten und spätestens mit diesem Text bewiesen. Manchmal ist es allerdings sinnvoll, sich auf Politik zu beschränken, wenn man über Politik reden will. Denn eigentlich wollte Letham uns folgendes mitteilen:

Am Ende ist John Wayne weder Mensch noch Filmstar, sondern eine archetypische Figur, mittels derer sich der tief sitzende amerikanische Widerstand gegen endgültige familiäre und gemeinschaftliche Bindungen wieder und wieder durchspielen lässt.

Mensch Jonathan, sag das doch gleich!

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