Im Osten nichts Neues?

16 Jun

Oberflächliche Leser unseres Blogs gelangen gerne zu der Ansicht, wir würden alles Westliche irgendwie gut finden, alles Östliche irgendwie daneben. Da wir jedoch wissen, dass die Welt nicht ganz so einfach funktioniert, haben wir kein Problem damit, erfreut auf eine Meldung bei queer.de hinzuweisen, wonach die Zustimmung zur Eingetragenen Partnerschaft in der tschechischen Bevölkerung kontinuierlich zunimmt. Weiter heißt es dort:

Nach einer von CVVM durchgeführten Umfrage befürworten nun 69 Prozent die Ehe light. Bei der Einführung im Juli 2006 waren es noch 62 Prozent. Allerdings wird die Öffnung der Ehe von 58 Prozent weiterhin abgelehnt; diese Zahl ist identisch mit der einer vor zwei Jahren durchgeführten Umfrage.

Diese positive Entwicklung sollte für Schwule und ihre Freunde ein Grund zur Freude sein. Doch weit gefehlt. Auf queer.de überschlagen Kommentatoren sich mal wieder darin, an der guten Nachricht vorbei zu reden. Einige tun dies, indem sie schlicht ihr Unvermögen demonstrieren, selbst einfachste Umfrageergebnisse zu verstehen bzw. aufmerksam einenText zu lesen. Das klingt dann zum Beispiel so:

Wie geht das – 58 % dagegen, 69 % dafür? Solch genau differenzierte Meldungen liebe ich…

Andere wechseln mal eben das Thema

Bielefeld liegt zwar noch nicht ganz in Grönemeiers Westen, aber im Osten doch auch nicht.

oder werden gleich postmodern-dekonstruktivistisch:

Wenn es die Stadt denn gibt.

Wir von GayWest hingegen freuen uns jetzt einfach mal über diese positive Entwicklung in Good New Europe. Schließlich ist es nicht die erste positive Meldung aus Tschechien.

5 Antworten zu “Im Osten nichts Neues?”

  1. Sebastian 16. Juni 2007 um 10:07 #

    Die Erklärung ist recht simpel:

    Tschechien ist durch die kommunistische Herrschaft mehrheitlich atheistisch. Im Gegensatz zu Polen, das sich seit Papst Johannes Paul II. endgültig als ein zweites Jerusalem versteht.

    Die tschechische Gottlosigkeit ist der Toleranz absolut dienlich.
    Hier kann die katholische Kirche nicht mit ihrer klinisch reinen Familienideologie punkten.

    Eigentlich bin ich überzeugter Anti-Kommunist, aber im Nachhinein wirkt sich der staatlich verordnete Atheismus positiv auf die tschechische Gesellschaft aus.

    Tschechien scheint das einzige Ost-Europäische Land zu sein, in dem vernünftig über mehr Rechte für Schwule und Lesben diskutiert werden kann. Auch auf parlamentarischer Ebene.

    Der Rest Ost-Europas hat aber noch eine Menge Aufholbedarf in dieser Frage. Man muss sich nur einmal die Schlagzeilen der letzten Wochen ansehen. Rechtsradikalismus und das Wiedererstarken der orthodoxen Kirche werden es nicht leichter machen. Zumal wenn sich Religiöse und Rechtsradikale verbünden.

  2. Adrian 16. Juni 2007 um 10:58 #

    Ich denke es ist eher eine Frage von Mentalitäten und politischer Anschauung. Sowohl die Sowjetunion als auch die DDR waren durch die Bemühungen der Kommunisten sehr atheistisch – Ostdeutschland ist dies heute noch, wärend Russland wieder religiöser wird und zu Verhältnissen der Zarenzeit zurückkehrt. Weder in Russland noch in Ostdeutschland schlägt sich der Atheismus heute auf eine höhere Toleranz, in einem besonders großen individuellen Freiheitsanspruch nieder. Beide Länder waren nie besonders westlich orientiert (von den Bemühungen Zar Peters einmal abgesehen, aber das ist eine andere Geschichte). Tschechien dagegen hat nie Zweifel daran gelassen, wo es sich politisch-geistig verortet – im Westen eben.
    Es kommt m. E. nicht so sehr auf Religion oder Atheismus an, sondern darauf, ob man eine eher individualistische oder eher kollektivistische Lebensanschauung hat, ob man also der Freiheit des Einzelnen oder den Belangen der „(Volks)Gemeinschaft“ einen höheren Stellenwert einräumt.

    Bei Polen ist dies noch etwas komplizierter: Obwohl dieses Land sehr westlich orientiert ist (bedingt durch die Historie), spielt der Katholizisms tatsächlich eine große Rolle. Das hat auch damit zu tun, dass die polnische katholische Kirche immer an der Seite Polens stand gegen die vielfältigen Versuche anderer Länder Polen und die Polen von der Landkarte zu fegen. Darüberhinaus haben diese Versuche in Polen zu einer gewissen Feindbildparanoia geführt. Individuelle westliche Ideen und eine kollektive religiöse Doktrin stehen im Streit miteinander, früher oder später wird sich aber – so glaube ich – eine säkulare, individuelle Religiösität durchsetzen.

  3. Sebastian 16. Juni 2007 um 12:33 #

    Auch in westlich geprägten Nationen gibt es kollektivistische Verhaltensmuster, wo die Zwänge der Volksgemeinschaft einen höheren Stellenwert haben als die Freiheit des Einzelnen.

    Vergleicht man die westlich orientierte BRD mit der DDR, so schneidet doch, was gesellschaftlichen Fortschritt angeht, die DDR besser ab:

    Die DDR-Frau konnte sich beruflich verwirklichen und sogar studieren, während die BRD-Frau zum züchtigen Hausfrauen-Dasein verdammt war.

    Auch die Mutterrolle schien in der DDR individualistischer zu sein als in der BRD:

    Eine BRD-Mutter gab ihr Kind natürlich nicht in die Krippe und stellte persönliche Verwirklichung zurück, um von der Gesamtgsellschaft nicht als „Rabenmutter“ abgetan zu werden. Hinter diesen Erwartungen an die BRD-Frau stand und steht ein westlich-konservatives Kollektiv, das diese Erwartungen automatisch stellt.

    Für die DDR-Mutter war die Abgabe des Kindes im Hort selbstverständlich. Für die westliche BRD-Gesellschaft ein unerhörter Individualismus auf Kosten des Kindes.

    Menschen in Ostdeutschland haben über diese westdeutsche Krippen-Debatte eigentlich nur den Kopf geschüttelt, denn für sie ist die Krippe seit Jahrzehnten Realität.

    Emanzipierte Mütter rufen in manchen Gegenden Westdeutschlands immer noch heftigeren Widerspruch hervor als in der Ex-DDR.

    Und die Einmischung von allerlei Bischöfen und Pfaffen in diese Krippen-Debatte zeigt doch, dass auch die westdeutsche Gesellschaft anti-individuellen Strömungen ausgesetzt ist. Eine Auswirkung von Adenauers rheinisch-katholischer BRD.

    Ich will hier nicht für die DDR eine Lanze nach der anderen Brechen. Ich möchte nur aufzeigen, dass auch westlich geprägte Nationen leider niemals frei sind von Anti-Individualismus und kollektiven Zwängen.

    Zusammenfassend kann man sagen, dass Deutschland wohl ein westliches Land ist, das aber im Gegensatz zu den angelsächsisch-kapitalistischen Ländern sich immer mehr für Kollektivismus als für Individualismus erwärmen konnte.

    Die Freiheit des Einzelnen hat in Deutschland nicht den Stellenwert wie z.B. in den USA. Damit lässt sich wohl auch die Vielfalt an mehr oder weniger sozialistisch geprägten Parteien (CDU/CSU, Grüne, SPD, Die Linke, uvm.) erklären. Das Wohl der Masse zählt in Deutschland mehr als die individuelle Leistung des Einzelnen. In diesem Punkt unterscheiden sich Ost- und Westdeutschland kaum.

    Es gibt auf dieser Welt keine freien Länder, jedes land unterliegt Zwängen. Auch die USA unterliegen ihrem puritanischen Erbe, was sie daran hindert ein absolut freies Land zu sein.

    Atheismus ist für mich eine Bedingung eines gänzlich freien Landes, säkulare, individuelle Religiösität ist für mich ein doppelter Widerspruch. Religion lebt von der Masse und dem Einfluss auf die Gesellschaft, denn Religion hat immer eine Botschaft zu verkünden und die ist nicht fürs stille Kämmerlein gemacht.

  4. Adrian 16. Juni 2007 um 13:11 #

    Dass es auch in westlichen Ländern kollektivistische Tendenzen gibt: geschenkt. Dass Deutschland da mit ganz vorne mitspielt: Zustimmung.

    In der Fragen der Kinderbetreuung kann man die DDR nicht mit der BRD vergleichen, da in der DDR die Kinderbetreuung und das berufliche Fortkommen der Frau natürlich staatlich gelenkt war, im Dienste des Kollektivs, im Dienste des Staates, der Ideologie. Von einer freien Entscheidung kann man dann nicht sprechen. Die evolutionäre Entwicklung hin zu mehr Kinderbetreuung durch Diskussionen, Überzeugung etc. ist dem staatlichen Zwang á la DDR in jedem Fall vorzuziehen.

    Religion ist nur eine Heilslehre von vielen. Je individualistischer Menschen denken umso individualistischer wird auch der Grad der Religionsausübung. Freie Länder zeichnen sich dadurch aus, dass einzelne Menschen die Wahl haben zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Niemand in den USA unterliegt per se puritanischen Zwängen. Aber es gibt eben Menschen die Zwänge für sich selbst gut finden.

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  1. Nächtlicher Zeitvertreib « ThinkPink unterm Regenbogen - 23. Juni 2007

    […] und der Post muss aus familiären Gründen schon hier rein: Im Osten nichts Neues? […]

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