Es konnte eigentlich niemanden überraschen. Die neueste Metastudie aus Großbritannien, welche besagt, dass
Lesben, Schwule und Bisexuelle eine 50 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit [haben], an Depressionen oder Angststörungen zu leiden als heterosexuelle Menschen
hat unter dem heterosexuellen Lebensstil frönenden christlichen Fundis für Freudentränen gesorgt, bietet sie doch – selektiv interpretiert und unter Berücksichtigung eines von vornherein schwulenfeindlichen Weltbildes – genügend Stoff, um die angebliche Schädlichkeit der „homosexuellen Lebensweise“ erneut in den Vordergrund zu stellen und zu „beweisen“. So steht auf der Website LifeSiteNews.com, folgendes geschrieben:
These findings strongly support the results of similar studies conducted in the United States, which have unveiled the severe physical and psychological health risks associated with homosexual behavior. Drs. Paul and Kirk Cameron of the Family Research Institute revealed in 2007 that research shows that the lifespan of a homosexual is on average 24 years shorter than that of a heterosexual. As a health threat, even smoking pales in comparison, as studies show smoking can shorten one’s life by only 1 to 7 years on average.
Regelmäßigen Lesern von GayWest dürfte der Name Paul Cameron bekannt vorkommen. Als einer der herausragenden Apologeten der Ex-Gay-Bewegung und Begründer des notorisch antischwulen Family Research Institute, hat sich Cameron unter anderem dadurch einen Namen gemacht, Schwulen und Lesben eine perverse und kriminelle Energie zu unterstellen und zu behaupten, diese wären überdurchschnittlich an Kindesmissbrauch beteiligt. Bekannt ist auch seine im obigen Zitat erwähnte „Untersuchung“ der durchschnittlichen Lebenserwartung von Schwulen, die er mit 42 Jahren angab und die dadurch zustande kam, indem stichprobenartig Todesanzeigen in Schwulenmagazinen durchforstet wurden. Am genialsten dürfte jedoch seine These sein, schwuler Sex sei befriedigender als Sex zwischen Heterosexuellen, was einer der Gründe sei, weshalb man Homosexualität weiterhin ächten müsse, damit nicht am Ende alle schwul werden. Seine Reputation in christlich-fundamentalistischen Kreisen hat sich Cameron also redlich verdient und auch sein bereits 1983 erfolgter Ausschluss aus der American Psychology Association hat daran nichts geändert.
[Siehe Update ganz unten: Kirk Cameron kennen die meisten nur als Schauspieler der Serie „Unser lautes Heim“. Zum Experten für das Seelenleben Homosexueller avancierte er dann mittels Übertritt zum evangelikalen Glauben. Denn mehr als Leviticus braucht es schließlich nicht, um sich über Homos ein Urteil bilden zu können. Ein „Doktor“ ist er übrigens nicht.]
Doch wer Gott auf seiner Seite wähnt, der weiß auch, dass die höhere Rate von Depressionen, Selbstmordversuchen und Alkoholkonsum unter Homosexuellen auf die Homosexualität an sich zurückzuführen ist und nicht etwa auf die erfahrene Diskriminierung und Ausgrenzung, der Schwule und Lesben ausgesetzt sind:
While the Health 24 article suggested that homosexuals may be pushed to substance abuse and suicide because of anti-homosexual cultural and family pressures, empirical tests have shown that there is no difference in homosexual health risk depending on the level of tolerance in a particular environment.
Als Beispiel wird hier Dänemark angeführt, welches ja bekanntlich besonders schwulenfreundlich sei, was auf die psychische Gesundheit von Schwulen allerdings keine positiven Auswirkungen hätte. Die Conclusio der evangelikalen Experten: Homosexualität macht krank, weil sie eben eine Krankheit ist.
Auch wenn es vielleicht arrogant klingt, ist es vollkommen überflüssig auch nur irgendeiner Studie Glauben zu schenken, die suggeriert, dass die negativen Erfahrungen von Schwulen und Lesben durch Vorbehalte und Ressentiments der Mehrheitsgesellschaft nicht als Erklärung für die erhöhte Rate an Depressionen etc. taugt. Um es einmal klar zu stellen: Heteros sind einfach nicht qualifiziert um sich darüber ein Urteil anmaßen zu können. Denn sie wissen nicht – können es nicht wissen – was es heißt, nur aufgrund der menschlichsten Empfindung überhaupt, der Liebe zu einem anderen Menschen, verhöhnt, ausgelacht, verspottet und verprügelt zu werden. Sie haben keinerlei Vorstellung von der Angst vieler junger Schwuler und Lesben, die vor der Entscheidung stehen, sich ihren Freunden und Eltern anzuvertrauen. Sie wissen nicht wie es sich anfühlt, wenn unser Leben beständig zum Gegenstand moralischer Debatten gemacht wird.
Und solange sie nicht wenigstens den Versuch machen, über den Tellerrand ihrer eigenen heteronormativen Sichtweise zu blicken, sollten sie lieber die Klappe halten.
————————————–
Update (20.09.2008) Dank eines Leserhinweises wurde ein Irrtum meinerseits aufgedeckt. Der im obigen Zitat von LifeSteNews.com erwähnte Kirk Cameron ist nicht der ehemalige Schauspieler und heutige Evangelikale, sondern tatsächlich ein Doktor am Family Research Institute, was meine Meinung über beide Kirks aber nicht wesentlich positiver gestaltet.
Das ist nicht der selbe Kirk Cameron. (Der Schauspieler Kirk Cameron ist aber auch nicht besser, vgl. die Banane als des Atheisten schlimmster Albtraum.)
Abgesehen davon:
Die Metastudie selbst gibt sehr wohl zu bedenken, dass es wohl möglicherweise die Schwulenfeindlichkeit und nicht das Schwulsein ist, welches zu Depression führt. Eine andere Studie weist dies empirisch auch nach:
http://www.eurekalert.org/pub_releases/2008-09/uom-hnf091708.php
Warum LifeSite das nicht erwähnt? (unschuldig guck)
Kinder, warum diskutiert Ihr solchen Blödsinn? Es wurde auch schon die Mär verbreitet, dass laute Discomusik schwul mache, oder der Stress…
Da müssten ja alle Verfolgten des letzten Jahrhunderts schwule Nachkommen haben. Spart Euch die bits und bites für Gescheiteres! 😉
Bei Kirk Cameron bzw. „Dr.“ Kirk Cameron handelt es sich um den Sohn (!) von Paul Cameron.
Der Schauspieler Kirk Cameron hat einen Vater namens Robert Cameron, der zudem jetzt pensionierter Lehrer ist.
Gruß…
Matthias