Warum Intoleranz manchmal notwendig ist

16 Nov

Es war im Herbst 2005, als in Berlin ein Grußwort des Regierenden Bürgermeisters an ein Fetisch-Festival für Unmut sorgte. Nicht nur die CDU empörte sich, die

Bilder in der Werbebroschüre „zeigen unumwunden Akte enthemmter Gewalt“ und „faschistoide Motive“.

Doch aller öffentlich artikulierte Abscheu half nicht, das Festival scheint sich etabliert zu haben und fand so auch in diesem Jahr erneut statt. Dieses Jahr jedoch gab es erstmals massive Proteste von Anwohnern:

Die Trattoria in der Schöneberger Fuggerstraße war an diesem Septemberabend zum Bersten gefüllt. Viele Anwohner – schwul und hetero – waren der Einladung des Betreibers Pino Bianco gefolgt. „Folsom Europe – So nie wieder“ lautete die Überschrift von Biancos Schreiben, das kaum eine Woche nach dem Straßenfest dem Unmut vieler Anwohner über den Verlauf des diesjährigen Fetisch-Treffens eine konkrete Form geben sollte.

„Was wir in der Fuggerstraße erlebt haben, soll und darf nie wieder passieren“, hieß es in der Einladung. „Das Fest ist zu hart geworden“, erklärte der Gastronom später, „es geht hier um öffentlichen Sex. Vor meinem Lokal lag eine Fetischmumie, ich habe Leute gesehen, die sich einen geblasen haben. Samstag war ja auch Einschulung, und ich hatte Kinder hier. Ich bin ja selber schwul, aber solche Veranstaltungen schaden nur dem Bild von Schwulen.“

Eigentlich standen diese Zeilen in der Oktober-Siegessäule, aber da finde ich sie grade online nicht wieder, daher sei auf diese Quelle verwiesen. Die Reaktion der Fetisch-Freunde ließ nicht lange auf sich warten und fiel aus wie erwartet:

Wir sagen Nein zu dieser Intoleranz (…) zeigt Flagge, wehrt euch, geht und sagt eure Meinung…

Angesichts des an den Tag gelegten Gewaltfetischismus und der faktischen mangelnden Abgrenzung gegenüber Naziskins – bei Männern im Skin-Outfit, die ausdrücklich stolz auf ihre weißen Schnürsenkel verweisen, helfen auch noch so politisch korrekte verbale Distanzierungen nicht mehr -, bleibt abzuwarten, welche Flaggen da in Zukunft gezeigt werden sollen und wie das Nein praktisch aussehen wird. Möglicherweise wird der zunehmenden Gewalt gegen Schwule ja bald schon eine weitere Facette hinzugefügt, wenn nämlich die schwulen Spießer aufs Maul bekommen, weil sie keine Lust mehr haben, mit diesen Gewaltfetischisten in einen Topf geworfen zu werden. Fürs erste bleibt es bei verbalen Attacken gegen die Schwulen, die es wagen, Schwule in gut und böse aufzuteilen, wie es die Anhänger der gepflegten Folter so unnachahmlich sachlich vorzutragen pflegen. Die wirklich Bösen sind in dieser Lesart jene Schwulen, denen man unterstellt, sich selbst für gut zu halten. Diese sind Spießer und das gilt den Folterschwulen als Inbegriff des Bösen, weshalb sie sich selbst für die Guten halten. Orwell läßt grüßen. Als Spießer gilt man übrigens schon, wenn man nicht jede Schweinerei und Perversion für einen Ausdruck unbedingt unterstützenswerter sexueller Emanzipation hält.

4 Antworten zu “Warum Intoleranz manchmal notwendig ist”

  1. Phaidros 16. November 2008 um 18:32 #

    Ach, da ist sie ja wieder: die liberale Geste. „Ich bin ja tolerant, aber…“ – Manchen Leuten ist echt nichts zu peinlich 🙂

  2. Damien 16. November 2008 um 19:28 #

    Doch, doch, mir auf einem Straßenfest mitten im Wohngebiet einen blasen zu lassen, das wäre mir ziemlich peinlich.

  3. TheGayDissenter 16. November 2008 um 20:26 #

    „und der faktischen mangelnden Abgrenzung gegenüber Naziskins – bei Männern im Skin-Outfit, die ausdrücklich stolz auf ihre weißen Schnürsenkel verweisen, helfen auch noch so politisch korrekte verbale Distanzierungen nicht mehr -, bleibt abzuwarten, welche Flaggen da in Zukunft gezeigt werden sollen und wie das Nein praktisch aussehen wird.“

    halte ich für die entscheidende Aussage. Alles andere betrifft eher Fragen des guten oder schlechten Geschmacks, der Rücksichtnahme bzw der fehlenden Rücksichtnahme – da mag man trefflich drüber streiten. Ich bin da eher unempfindlich. Sehr empfindlich bin ich allerdings, wenn Fetischfeste, die ich eigentlich sehr mag, immer mehr zu Nazifesten verkommen.

    Verbale Distanzierungen reichen nicht. Man muss schon hinterfragen, mit wem in welchem Rahmen man seinen Fetisch präsentiert und demonstriert. Und wenn das Umfeld nicht passt, muss man auch mal mit dem Arsch zu Hause bleiben oder für eine klare räumlich Abgrenzung sorgen.

  4. DocTimo 16. November 2008 um 21:09 #

    Da haste Recht. Mir wäre es auch peinlich, wenn da nur ein paar Straßenfestbesucher zuschauen würden, morgens um 8 in der S-Bahn ist es doch geiler, sich einen blasen zu lassen ☺ Da kann man sich auch an die Gepäcknetze anketten lassen. Neben mir liegt zudem gerade ein Fetisch – ein noch zu bügelndes weißes Hemd…

    Spaß beiseite: Es gibt eine Stelle in Hervé Guiberts À l’ami qui ne m’a pas sauvé la vie (dt. Dem Freund, der mich nicht das Leben rettete oder so ähnlich) eine Stelle, in der Foucault, welcher in dem Text anders heißt, äußert, dass das Anpissen und das andere Wort bringe ich nicht über die Tastatur neue Formen der Solidarität hervorbringe. Solange so ein Mist kursiert, Sex und Politik völlig krude miteinander vermengt werden, wird sich wohl leider nichts ändern. Öffentlicher Sex als Akt der Emanzipation, wie erbärmlich….

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