Geschmack oder Weltanschauung – Man hat die Wahl

1 Dez

Jacques Schuster macht in der Literarischen Welt Lust auf das neue Buch von Lothar Gall „Portrait einer Epoche“:

Heutzutage gibt es nicht mehr viele Herren. Irgendwann seit den späten Sechzigerjahren haben sich ihre Reihen gelichtet. Das mag nicht nur an der Studentenbewegung liegen, sondern es ist auch eine Frage der Generation. Offenbar ist die Anlage zum Grandseigneur, zum weltmännischen Auftreten (auch das ein fast ausgestorbenes Wort!) zumindest in Deutschland ab den Geburtsjahren 1940 selten geworden. Wer heute noch auf Herren trifft, der sieht sie gemessenen Schrittes dem Greisenalter entgegen gehen.

Was sind Herren, mag nun der eine oder andere Leser fragen und bringt den Autor in Verlegenheit. Der jedenfalls denkt nicht an Reichtum, obgleich ein gewisser Lebensstil dazu gehört. Thomas Manns Tonio Kröger kommt ihm in den Sinn: „Man ist als Künstler innerlich Abenteurer genug. Äußerlich soll man sich gut anziehen, zum Teufel, und sich benehmen wie ein anständiger Mensch.“ Anstand, auch so ein Wort aus der Urzeit. Doch allein durch ihn wird noch kein Mann zum Herrn. Es fehlt der Geschmack im Sinne Sebastian Haffners: „Man kann Geschmack haben, oder man kann eine Weltanschauung haben. Eines davon muss man haben. Beides kann man nicht haben. Man hat die Wahl.“ Die Weltanschauung rechtfertigt jede Geschmacklosigkeit, deswegen schließen sich Geschmack und Ideologie aus. Kurz, der Herr mag konservativ, ein Freigeist oder ein Sozialist sein, ein liberaler Grundzug gehört zu ihm. Er weiß: Man kann und soll nicht alles über einen Kamm scheren. Zudem ist jegliche Ideologie unbescheiden, humorlos, dickfellig, verbohrt – und das liegt dem Herrn nicht. Er bemüht sich nicht nur um Gelassenheit. Die Gelassenheit ist ihm eigen.

Galls Biografie über Walther Rathenau soll im kommenden Jahr erscheinen.

Lothar Gall ist einer der großen Biografen der deutschen Geschichtswissenschaft. Der heute 72-Jährige widmete sich der Persönlichkeit in der Geschichte zu einer Zeit, als die Historiografie von dem Menschen als handelndem Wesen nichts wissen wollte, allein auf „Strukturen“ setzte und die Biografie als lässliche Form der Literatur abtat. Kaum jemand aus den Hochschulen in Bochum und Bielefeld, den Lernfabriken der Sozialgeschichte und ihren machtversessenen Lehrstuhlinhabern war damals bereit anzuerkennen, dass die gute Biografie immer auch eine allgemeine Geschichte ist, von einem persönlichen Zentrum aus gesehen. Keiner von ihnen achtete zudem auf das wohlgesetzte Wort. Für sie besitzt die Kunst des Erzählens bis heute keinen Wert an sich. Keiner ihrer Vertreter begreift, dass das Ringen um die angemessene sprachliche Form mehr als eine Spielerei ist. Dahinter stecken die Achtung vor dem Leser wie die Ansicht, dass Form auch Erkenntnis schafft, und gelungene Formen darüber hinaus die Entfremdung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit überwinden helfen kann, die viel beklagt, aber unablässig vertieft wird.

Gall über Rathenaus Einsamkeit:

Zeitlebens umgab sie ihn wie ein Schatten. Dem Alleinsein als Lage könne abgeholfen werden. Für Rathenau jedoch war das Gefühl der Verlassenheit eine Geistesverfassung und als solche unheilbar. Der Biograf will sie nicht allein auf Rathenaus Judentum beschränkt wissen. „Sicher, seine Herkunft hat zu diesem Empfinden beigetragen. Doch es war auch seine Homosexualität, die er wohl nicht einmal verdeckt auszuleben wagte, wahrscheinlich von einer Ausnahme abgesehen.“

Das Buch ist für den 22. Januar angekündigt. Ideal für ein verspätetes Weihnachtsgeschenk…

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