Oft nahm er sich vor, zum Kraftsport zu gehen, doch das endete voraussehbar: Er schlief mit einem achtzehnjährigen Kraftsportler.
Was für ein Fehler! Dieses Buch am Ende eines Wochenendes in die Hand zu nehmen und dann der Montag Morgen, Arbeit, keine Zeit zum Weiterlesen. „Der letzte Kommunist“ von Matthias Frings erzählt das „traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau“, eines schwulen Kommunisten, der 1989 aus der BRD in die DDR übersiedelte. Gleich zu Beginn bringt Frings ein Plädoyer für Individualismus. Angenehme Überraschung. Und mehr davon: Humor ist angesagt, bei Frings und auch bei Schernikau. Eine Kostprobe:
„Chinesisches Roulette“ hatten wir in einem Fassbinder-Film kennengelernt und waren seitdem süchtig. Ein Mitglied der Runde verlässt den Raum, während die anderen festlegen, wer von den Anwesenden zu erraten ist. Dann wird die Tür geöffnet, und der ahnungslose Mitspieler hat drei Fragen, die er jedem stellen darf. Die Fragen müssen mit der Formulierung „Was wäre die gesuchte Person als …?“ beginnen: Was wäre die gesuchte Person als … Oper, Schuh, Drama, Heißgetränk, Geschlechtskrankheit, Auto, Unterwäsche? Aus diesen Zuschreibungen ergibt sich ein Charakterprofil – oder auch nicht. Der Witz des Spiels liegt nicht im Raten, sondern in der Erkenntnis, wie die anderen einen sehen. Einmal war Ronald zu erraten gewesen, und als die Frage lautete: „Was wäre die Person als Muse?“, schrie jemand wie aus der Pistole geschossen: „Eine Pampelmuse!“ (Matthias Frings: Der letzte Kommunist, Berlin, S. 243)
Doch neben Humor charakterisierte Schernikau mindestens genauso auch sein Stil. Entsprechend konnte die Liebe zur DDR nicht frei sein von Ambivalenz. Zur DDR, die keinen Platz hatte für eine wie Nina Hagen. Wie konnte es einer wie Schernikau da nur aushalten? Schließlich gehörte er – nebst anderen Schwulen – zu denen, die auf linken Demos regelmäßig auffielen, weil sie viel zu gut gekleidet waren, wie Frings kolportiert. Andererseits geht auf Schernikaus Konto auch ein Satz wie
das schönste bauwerk europas ist die mauer. (393)
Frings glättet nichts daran und verschweigt auch nicht seine Empörung darüber. Schernikaus Zweifel an der DDR waren ganz eigene:
wird die ddr es je schaffen, ein diskolied herzustellen, das mit dem superhit ymca mithalten kann? (393)
Frings hingegen umtrieben andere Sorgen. In seinem Lob der Unterhaltsamkeit, das in Deutschland in der Regel als ein Vorwurf formuliert werde, fehlt Frings nicht viel zu einem Loblied auf Amerika. By the way: Selbst Schernikau konnte offenbar konstatieren, dass im Westen die besseren Filme gemacht werden, mit einem Augenzwinkern, versteht sich. Als Frings schließlich, auf Einladung von Thomas Hermanns, aber das ist eine andere Geschichte, die im Buch natürlich auch ihren Platz hat, als Frings also höchstpersönlich nach New York aufbricht und seine Vorurteile hierlässt, entdeckt er ein ihm bisher unbekanntes Amerika:
Unterhaltung, das war hier eine Arbeit, vor der man den Hut zog. Ein Norman Mailer stand auf der gleichen Ebene wie Liza Minelli, in den Journalen fand sich das Porträt über Paul Auster gleich neben dem Shirley McLaines. Die Unterscheidung zwischen U und E hätte kein Amerikaner verstanden, beides galt als Teil der Kultur. (341)
Das Buch ist, wie Sie sehen, keine reine Biografie von Schernikau. Dafür steht zuviel über Frings drin. Z.B. die Anekdote aus Frankfurt, Jahreswende 83/84, wo Frings mit Elmar Kraushaar ein schwules Kulturfestival organisiert und beide sich dafür von linken Schwulen, die sie doch selber waren, anonym beschimpfen lassen müssen, als Mittelklasseschwule, Großstadtspießer, Kolonisatoren der lokalen Szene, die sich ausgegrenzt fühlte vom Programm. Überhaupt, die linken Schwulen. Die stets Bescheid wußten und die Moral für sich gepachtet hatten. Wers anders sah, war Klassenfeind. Was die wohl zur Politik-Definition von Schernikau gesagt hätten:
„Wenn ich zu allen nett sein wollte, mit denen ich nicht schlafe, hätte ich viel zu tun. Also bin ich zu denen nett, mit denen ich schlafe. Das ist Politik.“ (312)
Lust auf mehr? Matthias Frings liest aus „Der letzte Kommunist“. Wann und wo, steht beim Verlag.
Ein tolles, unterhaltsames Buch! Vor allem für die, die mehr über das Leben im Westberlin der 80er wissen wollen!