Warum konservative Schwule den FKK-Strand nur mit Badehose betreten

3 Apr

Im Gegensatz zu meinem Kollegen Adrian habe ich mich noch nicht entschieden, wie ich am 26. April abstimmen werde. Zwar ist auch mir der Staat keineswegs grundsätzlich suspekt, aber für die Kirche gilt dasselbe. Die Berliner LSU, die Lesben und Schwulen in der Union, haben sich jetzt – anders als der LSVD – für „Pro Reli“ ausgesprochen. Zur Begründung sagte Eike Letocha, LSU-Vorsitzender in Berlin:

Als Lesben und Schwule in der Union ist uns die freie Entfaltung der Persönlichkeit ein hohes Gut.

Gegen die skurile Argumentation der „Pro Ethik“-Anhänger, die vom „wählen müssen“ sprechen, hält Letocha fest:

Dem Volksbegehren geht es vor allem um die Wahlfreiheit von Eltern und Schülern. Wer hier von Wahlzwang spricht, hat ein merkwürdiges Freiheitsverständnis. Wahlzwang gab es in Deutschland zu anderen Zeiten und die wünscht sich niemand zurück.

Die Sorge, ein Sieg von „Pro Reli“ würde homophoben Kräften Aufschub geben, wird zumindest durch eine prominente Stimme nicht bestätigt:

Pro-Reli-Chef Christoph Lehmann freute sich über die Unterstützung der konservativen Schwulen und Lesben: „Das zeigt, dass wir für Toleranz stehen“, so Lehmann.

Wenn man allerdings die Kommentare bei queer.de liest, wird deutlich, wer nicht im geringsten tolerant ist: Jene Schwulen, die Konservative für die Ausgeburt des Bösen und die CDU für durch und durch homophob halten und Politik mit Anpassung verwechseln. Mit anderen Worten: Alle, die die sexuelle Revolution nicht jetzt und sofort wollen, sind böse. Wer sie überhaupt nicht will, ist ein Faschist. Mindestens. Nebenbei wird allerdings deutlich, dass die Vermessenheit, mit der manch einer meint, das Christentum für überflüssig erklären zu können, zu einer gewissen Geschichtsvergessenheit führt. So merkt ein queer.de-Leser namens QueenMargrethe an:

Was immer als „christliche Werte“ bezeichnet wird, sind doch in den meisten Fällen „Werte“, die man als menschlich bezeichnen kann; Werte, die ein Mensch mit halbwegs gesundem Verstand für selbstverständlich halten müsste und nicht von „Gott“ gegeben sind oder irgendetwas mit christlich zu tun haben…,

und verkennt dabei, wie die von ihm als „menschlich“ bezeichneten Werte in die Welt gekommen sind, nicht zuletzt nämlich durch Juden- und Christentum. Ganz zur Sache argumentiert Leser „Alexander“:

eike soll lieber wieder im sommer in tommy hilfiger badehöschen am fkk strand rumhüpfen und erwachsenen die politik überlassen !

Wodurch „Alexander“ vermutlich neben der sexuellen Befriedigung beim Anblick des von ihm für jugendlich gehaltenen Letocha seine Phantasie pflegen könnte, einzig und allein zu wissen, was Politik ist: Ausschließlich das, was man selbst für richtig hält. Diese Art von Selbstgewissheit scheint auch einen weiteren Leser auszuzeichnen, der sich mitzuteilen bemüßigt fühlt:

Die LSU wendet sich damit gegen Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben

Um diese aber zu fördern, hat man ganz gewiss links zu sein. Auch wenn die Linken es nicht immer so sehr mit uns haben.

11 Antworten to “Warum konservative Schwule den FKK-Strand nur mit Badehose betreten”

  1. Steven 3. April 2009 um 23:16 #

    @ Damien:

    Dass Du Lehmann zitierst,

    „Pro-Reli-Chef Christoph Lehmann freute sich über die Unterstützung der konservativen Schwulen und Lesben: “Das zeigt, dass wir für Toleranz stehen”, so Lehmann.

    bedeutet, ich frage nur vorsichtshalber, nicht, dass Du der Ansicht bist, dass alles, was die LSU unterstützt, sich mit dem Toleranz-Gütesiegel schmücken darf, oder?

  2. Daniel 4. April 2009 um 00:32 #

    Zum Wahlzwang:

    Der Begriff wurde vermutlich als Reaktion zum einen auf den Euphemismus „Wahlfreiheit“ gewählt. Denn man muss eines von beiden wählen entweder Ethik oder Religionsunterricht. Darauf geht die Antwort von Letocha gar nicht ein, statt dessen gibt es einen albernen Verweis auf eine nie dagewesene Vergangeheit oder vergess ich da was? Wann war man gezwungen zur Wahl gehen? In der Nazi-Zeit oder in der DDR oder wann? Und was hat das hiermit überhaupt zu tun?

    Zum anderen ist der Begriff, vermute ich, auch als Antwort auf den Begriff „Zwangsunterricht“ um Ethik zu beschreiben. Zwangsunterricht ist natürlich auch Mathe und Deutsch, kann man auch nicht abwählen. Habe ich jetzt ein merkwürdiges Freiheitsverständnis, wenn ich für ein Pflichtfach Mathematik plädiere? Ethik-Unterricht ist kein weltanschaulicher Unterricht, kein „atheistischer Religionsunterricht.“ Das geht in der Diskussion stets unter, es ist eher als Ergänzung zur Sozialkunde zu verstehen. Du kannst dir gerne den Rahmenlehrplan anschauen. Alles Dinge die durchaus wichtig sind und gut, dass alle Schüler darin unterrichtet werden.

    Klicke, um auf sek1_ethik.pdf zuzugreifen

    Was soll also so schlimm sein, dass alle Schüler in den entsprechenden Jahrgangsstufen über Ethik unterrichtet werden? In der Sozialkunde gibt es auch einige Überschneidungen, kann auch niemand abwählen.

    Was den Verweis auf die Kommentare betrifft, so gibt es auch für Pro-Reli schlecht argumentierende Befürworter. Schlechte Argumente pro/contra würde ich einfach verwerfen statt sie als Beweis für oder gegen eine Position zu verwenden. Es sind die guten Argumente beider Seiten mit denen man sich auseinander setzen muss.

    Ich werde gegen den Pro-Reli-Vorschlag stimmen. Erstens, ganz lokal gedacht, weil ich den Ethik-Unterricht für eine gute Idee halte und Eltern ihren Kindern aus ideologischen Gründen da nicht von fern halten können sollen. Religionsunterricht bleibt ja in der Form wie er die letzten Jahrzehnte war erhalten. Auch gibt es, anders als Pro-Reli behauptet, keine Einbrüche bei den Religionsunterurichtsteilnehmerzahlen. Die gehen stetig aber langsam zurück, das aber seit Jahren, auch bevor es Ethik-Unterricht gab. Ethik-Unterricht ist eben gerade eine Reaktion darauf.

    Etwas weiter gedacht wähle ich gegen Pro-Reli auch um die Trennung von Staat und Kirche zumindest nicht weiter aufweichen zu sehen und auch ein wenig in der Hoffnung, dass das Berliner Modell Schule machen wird und entsprechende Initiativen in anderen Ländern fördert.
    Ich möchte einen säkularen Staat. Nicht laizistisch, aber säkular. Religionsunterricht als reguläres Schulfach, wie im Moment in Grundgesetz verankert, läuft dem zuwider, genau wie das Premium-Inkasso für die Mitgliedbeiträge a.k.a. Kirchensteuer.

    Übrigens bin ich kein Linker, nur um das angesichts des Aufhängers für den Post klarzustellen. 🙂 Leben und leben lassen. Ich selbst glaube an keinen Gott, habe aber kein Problem damit wenn andere es tun. Die individuelle Freiheit des einzelnen ist mir wichtiger als meine Weltanschauung zu verbreiten. Aber diese Frage stellt sich beim Ethik-Unterricht gar nicht.

  3. Daniel 4. April 2009 um 00:33 #

    Oh verdammt, jetzt ist mein Kommentar fast länger als der Blogpost. Sollte kein Blog-im-Blog werden. Entschuldige bitte.

  4. Damien 4. April 2009 um 12:58 #

    @ Steven: Ich verfolge nicht so intensiv, was die LSU alles unterstützt, könnte von daher keinesfalls alles pauschal für gut befinden, was sie von sich geben, dafür fehlt mir auch das Vertrauen in den Verein (und in die Partei, obwohl ich dort seit einiger Zeit Mitglied bin), habe meiner Erinnerung nach auch schon mal kritisch über den Verein berichtet, nein, keine Sorge, die LSU hat bei mir keinen Freibrief und auch kein Gütesiegel, worüber hinaus ich Toleranz ja auch gar nicht immer so erstrebenswert finde, wenigestens der Wortbedeutung nach stehe ich dem Begriff eher skeptisch gegenüber und dem damit möglicher weise verbundenen Kulturrelativismus sowieso.
    Und jetzt geh ich Fahrradfahren und genieße Gottes schöne Schöpfung, an der die Freude mir nicht mal der Religionsunterricht austreiben konnte, obwohl es da meist um den „atomaren Holocaust“ und andere Weltuntergangsphantasien ging.
    Hab ein schönes, sonniges Wochenende
    Damien

  5. Damien 4. April 2009 um 13:04 #

    @ Daniel: Wie gesagt, ich weiß noch nicht, wie ich am 26. April abstimme. Gestern hörte ich ein Argument für Pro Reli, das mir neu war. Spiritualität sei eine wichtige Dimension für den Menschen. Immer weniger Menschen kämen aber im Elternhaus damit in Kontakt. Da sei es gut, wenn es in der Schule die Möglichkeit dazu gebe und zwar als gleichwertiges Unterrichtsfach, nicht als Zusatzangebot. Begründen ließe sich das darüber, ergänze ich jetzt mal, dass der freiheitliche Staat die Voraussetzungen, die er für seinen Erhalt benötigt, nicht selber produzieren kann. Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt, halte es aber für bedenkenswert.
    Ich habe übrigens kein Problem mit langen Kommentaren. Solange sie sich auf den Beitrag beziehen und keine eigenen Beiträge darstellen, die meinen Beitrag nur als Aufhänger nehmen.

  6. Adrian 4. April 2009 um 15:24 #

    Noch mal was zur Entscheidungsfrage: Diese Woche stand in der Print-Ausgabe der Berliner Zeitung was über die Lehrpläne bei Ethik bzw. Religion. Irgendwie klingt das alles ziemlich gleich. Ziemlich gleich belanglos:
    Wir sollen uns alle achten, Toleranz üben und überhaupt für eine bessere Welt kämpfen.
    In der DDR hätte man gesagt: Für Frieden und Sozialismus – Immer bereit!

  7. Adrian 4. April 2009 um 15:35 #

    Und noch was: Zwar habe ich meine Grundsätze was die Wahl angeht, aber ich finde nicht, dass man die Polarisierung zwischen Ethik und Religion so einfach mitmachen sollte.
    Nehmen wir nur die Frage der Homophobie: Wo ich aufgewachsen bin, im tiefen Osten, gibt es quasi nur „Ungläubige“ – schwulenfreundlicher ist es deshalb aber bestimmt nicht. Im Gegenteil täte so manchem hier ein wenig mehr christliche Nächstenliebe ganz gut und so mancher Homo hier wäre froh, wenn er statt der gelangweilten aggressiven Dorfprolls lediglich die rhetorische Verurteilung unserer „Sünde“ ertragen müsste, die von so mancher Kanzel erschallt.

  8. Steven 4. April 2009 um 17:10 #

    @ Damien (12:58):

    Danke, das Wochenende scheint schön zu werden, auch wenn der hier regional zuständige Gott die Sonnenscheindauer stark limitiert hat. Wir waren gerade zu ersten Mal nach dem fiesen Winter im Wald und haben wie kleine Jungs am Bach gespielt… 🙂

    @ Damien (13:04):

    Spiritualität ist aber nichts, was sich lehrbuchmäßig vermitteln lässt. Und Spiritualität hat nicht zwingend etwas mit Religion zu tun. Ich würde darunter vielmehr verstehen wollen, sich selbst zu finden, den nicht pysischen Teil des Ichs, den Geist, die Seele zu entdecken. Man mag darin eine Begegnung mit Gott sehen oder mit sich selbst. Einerlei: Viele Menschen sind nach meiner Wahrnehmung nicht zu solchen Begegnungen in der Lage, weil sie es nicht gelernt haben und sich nicht selbst erarbeiten können. Die Schulen sind sicher die richtigen Orte, um den Menschen Spiritualität beizubringen (meinetwegen auch in einem wohlverstandenen religiösen Sinn); ich würde es ungerne allein kultischen Veranstaltungen in Kirchen, Tempeln und Moscheen oder den Fernsehpredigern überlassen. Jedoch fürchte ich, dass die Lehrpläne für den Religionsunterricht wie auch für den Ethikunterricht dazu nicht geeignet sind.

    @ Adrian:

    Ich sehe das Problem darin, dass der Sozialismus ebenso wie andere ‚gottlose‘ Ideologien zwar gegen das Christentum war, aber kein eigenes brauchbares Wertegerüst bereithielt. Die Lösung kann aber nicht darin liegen, nun auf jeden Fall christliche Werte herbeizuzerren, über die der alte Mann in Rom die Deutungshoheit beansprucht. Es muss doch möglich sein, dass wir uns auf ein tragfähiges Mindestkonzept des menschlichen Zusammenlebens verständigen. Darauf aufbauend mag dann jeder seinen Glauben, seinen Gott haben oder auch nicht, ohne das wir uns ständig ins Gehege kommen.

    @ Daniel:

    Die hier immer wieder praktizierten Rückgriffe auf Kommentare zB in der Queer dienen doch der exemplarischen Illustration des Themas. Ich würde es sehr bedauern, wenn dies unterbleiben würde.

  9. Daniel 4. April 2009 um 21:17 #

    @Damien:

    Spiritualität sei eine wichtige Dimension für den Menschen. Immer weniger Menschen kämen aber im Elternhaus damit in Kontakt. Da sei es gut, wenn es in der Schule die Möglichkeit dazu gebe und zwar als gleichwertiges Unterrichtsfach, nicht als Zusatzangebot.

    Der letzte Satz erschließt sich mir nicht. Warum ist es besser das Thema Spiritualität nur ohne Ethik zu behandeln und nicht im freiwilligen Religionsunterricht parallel zu Ethik?
    Religionsunterricht kann man jetzt auch haben. Aber wenn Pro-Reli Erfolg hat, dann kann man nicht Ethik gleichzeitig belegen. Gerade im Zusammenhang mit Spiritualität ist mir das unklar. Funktioniert das nur, wenn man keinen Ethik-Unterricht hat?

    Es ist ja nicht so, dass ich Spiritualität unwichtig finde, also je nach dem nicht, was man darunter versteht. Der Begriff ist so durchgenudelt, ich weiß gar nicht mehr, ob er noch überhaupt etwas konkretes bedeutet. Innere Einkehr ist mir wichtig. Es hält mich fokussiert, gibt Gelegenheit zur Reflexion und hilft mir Empathie zu üben (kein Naturtalent). Keine Ahnung ob das schon Spiritualität ist.

  10. Damien 5. April 2009 um 23:23 #

    @Daniel: Du hast Recht, das würde wohl auch parallel funktionieren.
    Spiritualität, jedenfalls christliche oder überhaupt religiöse, ist für mich Innere Einkehr und dabei nicht nur auf mich selbst zu stoßen, sondern mit einer transzendenten Dimension zu tun zu bekommen.
    Ich glaube, zum fokussieren, reflektieren, Empathie einüben, braucht es keine Spiritualität.

  11. Philipp 17. April 2009 um 00:17 #

    Hmmm? Irgendwie ist die Headline schon weit in die Ferne gerutscht. Für mich ist konservativ und FKK kein Widerspruch. Im Gegenteil. So ist man mit Natur mehr eins als wenn man morlaisch bedenkliche (da von Kindern in Indien produziert) Wäsche am Körper trägt.

Hinterlasse eine Antwort zu Damien Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..