Sag beim Abschied leise „Servus“

12 Apr

Die Woche im Haus der Stille hat gut getan, das schöne Wetter wird seinen Teil dazu beigetragen haben, der Blick aus meinem Zimmer direkt auf den kleinen Wannsee, die anderen Teilnehmer, eine kleine, angenehme Gesellschaft, zum Nachdenken anregende Texte, die wir gemeinsam lasen. Wir haben an den ersten Tagen die Passionsgeschichte der Reihe nach von allen Evangelisten gelesen, am Besten gefiel mir die von Johannes, ich glaube, die hatte ich nie zuvor gelesen.

Ich habe die Tage genutzt, um Resümee zu ziehen: Was mache ich aktuell? Was davon soll bleiben? Wovon will ich mich verabschieden?

Als Lektüre durch die Tage hat mich das „Pariser Tagebuch. 1942-1944“ von Hélène Berr begleitet. Berr beschreibt den Frühlingssturm erster Liebe, der immer mehr vom nationalsozialistischen Grauen, nein, nicht erstickt wird, sondern ergänzt (?), mir fehlen die Worte, das Verrückte ist die Parallelität von Liebe und Hass, wie Berr sie beschreibt. Eine Stelle, die für mich zu den österlichen Einkehrtagen besonders passte, möchte ich zitieren:

Am Samstag habe ich auch das Matthäus-Evangelium gelesen; ich will hier die ganze Wahrheit sagen, warum sollte ich etwas verbergen? Ich habe in Christi Worten nichts anderes gefunden, als die Gewissensregeln, denen ich instinktiv zu gehorchen versuche. Mir schien, dass Christus viel stärker mir gehörte als manchen guten Katholiken. Hin und wieder hatte ich schon gedacht, dass ich Christus näher sei als viele Christen, aber diesmal fand ich den Beweis.

Und was ist verwunderlich daran? Müssten nicht alle einfach nur Jünger Christi sein? Die ganze Welt muss christlich sein, ja, wenn man schon unbedingt Etiketten vergeben will. Aber nicht katholisch, nicht das, was die Menschen daraus gemacht haben. Es hat seit dem Ursprung nur ein einziges stetiges Dahinströmen gegeben. Doch leider gab es auf beiden Seiten eine unverständliche geistige Enge, die verhindert hat, dass die Menschen das sehen. Einesteils jene, die Christus abgelehnt haben, obwohl dieser für alle gekommen war, und das waren nicht die „Juden“, denn damals waren alle Juden, sondern die Dummen und die Bösen (heute könnte man sie genausogut „Katholiken“ nennen). Und die Nachfahren davon sind auf ihrem engen Weg weitergegangen und waren stolz auf ihre Beharrlichkeit: Sie sind das geworden, was man heute „die Juden“ nennt. Andernteils gibt es jene, die sich Christi bemächtigt haben, zu Beginn überzeugte, geläuterte Menschen, und später solche, die ihn zu ihrem persönlichen Besitz gemacht haben, obwohl sie wieder genauso schlecht geworden waren wie vorher.

Also, alles war nur Einheit und stetiges Dahinströmen, Evolution.

Beim Lesen des Evangeliums hat mich das Wort „bekehren“ überrascht. Wir haben ihm einen genauen Sinn gegeben, den es nicht hatte. Im Evangelium heißt es: „Der Böse hat sich bekehrt“, das heißt, hat sich geändert, ist gut geworden, als er das Wort Christi hörte. Für uns bedeutet sich bekehren heute, zu einer anderen Religion, einer anderen Kirche übertreten. Gab es zur Zeit Christi verschiedene Religionen? Gab es etwas anderes als die Verehrung Gottes?

Wie kleinlich sind die Menschen geworden, während sie glaubten intelligent zu werden! (S. 174/175)

Am Gründonnerstag kam in unsere Gruppe noch eine Teilnehmerin dazu. Als erwähnt wurde, dass in 2010 im Haus der Stille ein Wochenendkurs für schwule Männer geplant ist, fragte sie, nennen wir sie Phoebe, ob es in dem Kurs darum ginge, Homosexuelle zur Enthaltsamkeit hin zu unterstützen. Das schließlich sei biblisch das einzig Vertretbare. Sie arbeite als christliche Lebensberaterin und zu ihr kämen immer wieder Homosexuelle, die sich von ihr Unterstützung erhofften, teilweise bei dem Versuch, Abstinenz zu erlernen. Das sei aber nur bei den zwei % genetisch Homosexuellen notwendig, diese Zahlen habe sie von ihrem Professor, der sei Arzt und habe das erforscht. Die anderen seien zum Teil durch Kindheitstraumata homosexuell geworden, vor allem der Zweite Weltkrieg habe verheerende Auswirkungen gehabt in der Hervorbringung von Homosexuellen wegen der vielen fehlenden Väter. Warum allerdings Frauen, denen der Vater fehlt, lesbisch werden, sich also einer Frau zu wenden, erklärte sie nicht. Wieso nicht alle Männer, die ihren Vater im Krieg verloren haben, schwul werden, auch nicht. Mein Interesse am Gespräch mit ihr erlosch endgültig, als sie Homosexualität mit einem „abben Bein“ gleichsetzte.

Am Karfreitag sprach der Pastor dann im Gottesdienst davon, wie Menschen Gottes Vielfalt aufgrund ihrer eigenen Engstirnigkeit nicht wertschätzen können und nannte ausdrücklich Heteros, Bis und Homos, die Gott geschaffen habe. Von Enthaltsamkeit war nicht die Rede.

In dem Gespräch mit Phoebe wurde mir deutlich, was mich seit einiger Zeit beschäftigt. Meine Lust, mich mit solchen Leuten zu unterhalten, tendiert gegen Null. Ich betrachte es zunehmend als Zeitverschwendung. Mehr noch: Seit gut dreißig Jahren bin ich politisch aktiv, versuche, die Welt zu verändern, zu verbessern. Im Moment kommt es mir so vor, als wäre diese Art des Tuns für mich nicht mehr das Richtige. Nehmen wir das Beispiel Homosexualität: Ich halte die öffentliche Auseinandersetzung mit Schwulenfeinden für notwendig. Aber das sollen jetzt andere tun. Ich habe das Gefühl, alles gesagt zu haben, was ich zu sagen habe zu dem Thema.

Was mich bewegt und was ich tun möchte: Schwule und Lesben stärken, die an ihrer Kirche zu zerbrechen drohen. Im Kleinen, Stillen an ihrer Seite sein, aufbauen, ermutigen, kräftigen. Zeit zum Zuhören haben, ohne aggressive Angriffe von Außenstehenden.

Vielleicht auch hier und da öffentlich das Wort ergreifen. Ja, vielleicht auch hin und wieder hier. Fürs erste aber schweige ich. Auch an diesem Ort.

2 Antworten zu “Sag beim Abschied leise „Servus“”

  1. Martin 12. April 2009 um 20:57 #

    >Was mich bewegt und was ich tun möchte: Schwule und Lesben stärken, die an ihrer Kirche zu zerbrechen drohen. Im Kleinen, Stillen an ihrer Seite sein, aufbauen, ermutigen, kräftigen. Zeit zum Zuhören haben, ohne aggressive Angriffe von Außenstehenden.

    Finde ich sehr ansprechend und hilfreich, danke!
    Lese hier allgemein gerne.

    In Erwartung aufs Lesertreffen,
    Martin
    (u.a. Orgelschläger)

    PS Der Kirche gingen auch massig Talente (und interessante Leute) verloren, würde sie auf Mitarbeit praktizierender Schwuler und Lesben verzichten.

  2. Damien 13. April 2009 um 11:58 #

    Lieber Martin,

    danke für Deine Worte. Schön, zu hören, dass Du mit meinen Zeilen etwas anfangen kannst.

    Ich freu mich auch schon auf das Lesertreffen, bin ganz gespannt drauf, ein paar unserer Leser kennenzulernen.

    Herzlich
    Damien

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