Heimat war mir lange einfach nur suspekt. In den linken Zusammenhängen, in denen ich unterwegs war, galt sie als spießig und reaktionär. Ich mußte 30 werden, um eine Sehnsucht nach Heimat zu spüren, die mich zurück in die Stadt führte, in der ich aufgewachsen war.
In einer Predigt hörte ich Jahre später einmal, wir Christen seien „unterwegs, mit Heimweh im Gepäck“. Das gefiel mir.
Und heute? Weiß ich immer weniger, welche politischen Schubladen zu mir passen. Die Leute fragen ja manchmal. Ein Linker bin ich nicht mehr, ein Rechter nicht. Liberal bin ich. Irgendwie auch konservativ. Doch was bilden Begriffe ab, von dem was ist, was schließen sie aus, von dem, was aber auch ist? Ist Liberalismus eine politische Verortung? Eine Lebenshaltung?
Zuletzt las ich bei Joachim Fest über Golo Mann:
Es steckt viel Einzelgängertum in alledem, aus Veranlagung schon, doch aus Lebenserfahrung auch. Aber man kann es damit nicht abtun. Denn die Unabhängigkeit des Denkens ist nichts, was einem zufällt. Vielmehr muß man sie gegen die verführerischen Parolen eines jeden Tages ebenso wie gegen die Neigung zur Selbsttäuschung immer neu behaupten, und oft ist es schwer, in den Wahrheiten von heute die Irrtümer von morgen oder selbst von gestern zu erkennen. (Joachim Fest: Begegnungen. S. 224)
Ist also das, was heute richtig ist, auch morgen richtig? Was gestern falsch war, heute falsch? Heimatlosigkeit scheint mir auch aus dieser Beschreibung zu sprechen. Reizvoll, wie mir scheint, unbequem, auch für einen selber.
Am selben Abend im Gottesdienst Predigt über Lukas 9, 57-58:
Und sie gingen in einen anderen Markt. Es begab sich aber, da sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wo du hin gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hin lege.
Hier, so der Pastor, gehe es um die Heimatlosigkeit derer, die Jesus Christus nachfolgen. Geistige Heimatlosigkeit. Keine Prinzipien, die uns einengen, einzige Richtschnur das Evangelium, das Wort Gottes. Ständige Überprüfung von Prinzipien, die wir uns selbst gegeben haben, ob sie noch zeit- und situationsangemessen sind.
Und ich fühlte mich zu Hause in der Heimatlosigkeit.
vielleicht kann man heimat finden auch zb in sich selbst (einer selbstgewissheit), in der liebe (zu seinem partner/seiner partnerin), etc?
muss heimat ein regionaler begriff sein? ich denke nein. ideologie? nicht für mich. eigenständigkeit? vielleicht (eher als im einzelgängertum, das mir eine sehr einsame heimat schiene)
Meine Heimat ist (dort, wo) mein Freund (ist).
Zu der in diese Bibelstelle hineininterpretierten Heimatlosigkeit kann es nur kommen, wenn man sich den Menschen entfremdet.
@ ondamaris: Ja, Heimat kann man sicher auch in sich selbst finden. Und es reicht nicht aus. Die Liebe ist sicher eine gute Ergänzung dazu. Regional muss sie nicht sein. Eigenständig schon.
@ Steven: Ohne Deinen Freund wärst Du heimatlos?
Dein zweiter Satz ist hart und wirkt auf mich verurteilend. Mich sprach die Heimatlosigkeit in der Predigt an. Den Menschen entfremdet fühle ich mich nicht. Im Gegenteil: Ermöglicht nicht diese Heimatlosigkeit eine besondere Form der Zuwendung zu Menschen?
Mir gefallen Einzelgänger!
@ Damien:
Ja, wäre ich.
Nein, es ist nicht verurteilend.
„Geistige Heimatlosigkeit. Keine Prinzipien, die uns einengen, einzige Richtschnur das Evangelium, das Wort Gottes.“
ist nichts anderes als Relativismus im Sinne von Gleichgültigkeit den Menschen gegenüber.
@ Steven: Und wenn das Evangelium eben die Hinwendung zu den Menschen meint?
@ Damien:
Wenn es das meinen sollte, hast Du, bzw hat der Pastor eine ganz schlechte Textstelle ausgesucht. All‘ diese ’suchet Gott‘, ‚folget mir nach‘, ’nur das Wort Gottes zählt‘ Textstellen führen in die Einsamkeit. Sie verlangen, es etwas zu suchen, was es nicht gibt. Die Menschen wenden sich von den Menschen ab, suchen Gott, finden ihn aber nicht, und stehen letztlich mit leeren Händen dar, weil sie alles verloren haben. Glaube an einen Gott macht einsam.
Lieber Steven,
ist das Deine Erfahrung mit der Einsamkeit? Meine ist eine andere. Ich glaube und erlebe, dass die Hinwendung zu Gott zu Menschen führt, nicht in die Einsamkeit. Der Gott, an den ich glaube, hat uns als Beziehungswesen geschaffen. Dazu gehören Partnerschaften, Freundschaften, Bekanntschaften,… und auch die Beziehung zu Gott. Ich glaube an einen Gott, der aus der Einsamkeit herausführt.
@ Damien:
Verzeihung, Damien, aber jetzt lenkst Du den Dialog von dem Ausgangsthema ab.
Im dem zitierten Bibeltext heiß es, „und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hin lege.“ Ich widerspreche dem, denn ich habe (zwar keine Grube, aber) ein geografisches und mentales Zuhause, ich habe ein Nest, ich weiß, wohin ich gehöre. Ich nehme das als deutlichen Beleg für die Lebensfremdheit der Bibel und des sich auf die Bibel stützenden Glaubens.
Der Pastor erklärt die Bibelstelle wie folgt (und wie von Dir wiedergegeben):
„Hier, so der Pastor, gehe es um die Heimatlosigkeit derer, die Jesus Christus nachfolgen.“
Jesus nachzufolgen, damit ist doch gemeint, an Gott zu glauben, führt also in die Heimatlosigkeit. Meine Heimat sind die Menschen. Warum sollte ich sie aufgeben, warum sollte ich heimatlos werden wollen?
„Geistige Heimatlosigkeit.“
Was ist das für ein Glaube, was für ein Jesus, der die Menschen in die geistige Heimatlosigkeit führt? Ich sehe in den Ausführungen des Pastors die Erklärung, warum sich so viele Glaubende verzweifelt an Dogmen des Glaubens festklammern. Glaube entwurzelt die Menschen des irdischen Lebens, entfremdet sie den Menschen und gibt ihnen statt dessen Heimatlosigkeit.
„Keine Prinzipien, die uns einengen,“
heißt nichts anderes, als die Aufhebung jeden irdischen, menschlichen Rechts, und ein göttliches Recht, wie grausam und tödlich es auch sein mag, an die Stelle der Menschlichkeit zu stellen. So erklärt es auch der Pastor:
„einzige Richtschnur das Evangelium, das Wort Gottes.“
Damit gibt die Bibel, damit gibt der Pastor den heimatlosen Menschen das geistige Rüstzeug in die Hand, um gegen Menschen wie mich vorzugehen.
Das, was Du in Deiner letzten Erwiderung geschrieben hast, steht jedenfalls nicht in der Bibelstelle, die Ausgangspunkt der Diskussion ist.
Lieber Steven,
eine Bibelstelle muss ausgelegt werden, sonst landen wir bei den bibeltreuen Christen. Niemand hat von Dir gefordert, Deine Heimat aufzugeben. Ich habe kurz versucht zu skizzieren, was mich zur Zeit unter dem Stichwort Heimatlosigkeit beschäftigt. Ich finde es schade, dass Du das nicht stehen lassen kannst, sondern statt dessen Deine Wahrheit verkündest. Ist das nicht eben das, was Dich (und mich ebenso) an den Evangelikalen stört?
Heimatlosigkeit mag für jeden etwas anderes bedeuten. Warum jedoch die Ausführungen des Pastors, den Du nicht kennst die Erklärung dafür sein sollen, „warum sich so viele Glaubende verzweifelt an Dogmen des Glaubens festklammern“, erschließt sich mir nicht. Kennst Du denn Glaubende aus der Gemeinde des zitierten Pastors? Na gut, mich kennst Du ein wenig. Erlebst Du mich als entwurzelt und „den Menschen entfremdet“?
„Keine Prinzipien, die uns einengen“ meint nicht die „Aufhebung jeden irdischen, menschlichen Rechts, und ein göttliches Recht, wie grausam und tödlich es auch sein mag, an die Stelle der Menschlichkeit zu stellen“, sondern meint, dass Gesetze dann nicht zu befolgen sind, wenn sie unmenschlich sind. Eben das, so dachte ich, sei auch Deine Haltung.
Und genau das erklärt auch der Pastor und nicht das, was Du behauptest. Ich weiß nicht mehr, wie detailliert ich beim Lesertreffen von meinen Erfahrungen in dieser Gemeinde erzählt habe, also auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Es ging in genau dieser Predigt auch darum, wie wir uns als Christen, die Abtreibung ablehnen, verhalten, wenn wir mit der realen Not einer konkreten Frau konfrontiert sind. Die Antwort des Pastors war keine einfache, widerspruchsfreie, bequeme und damit nicht das, was man sonst von Freikirchen erwartet und was Du vielleicht assoziierst.
Im Übrigen erlebe ich die Predigten des zitierten Pastors als Aufrufe zur Toleranz und zur Besinnung auf den, der für uns Christen Mitte ist: Jesus Christus. Dabei spielt es keine Rolle, welches Geschlecht einer hat, welche Hautfarbe, welche sexuelle Orientierung. Also eben kein Rüstzeug, um gegen Menschen wie Dich (und mich) vorzugehen.
Die Bibel gibt das schon gar nicht her, es sind immer Menschen, die sie auslegen.
Ob wir uns, falls wir uns weiter über meinen Post austauschen, auf das beziehen können, was ich geschrieben habe und nicht auf das, was Du ansonsten über Christen denkst?
Versuchst Du, das, was ich geschrieben habe, zu verstehen oder geht es Dir darum, mir nachzuweisen, dass meine Ansichten und mein Erleben „falsch“ sind?
@ Damien:
Gerade weil ich Dich außerhalb des Bloggens kennengelernt habe und ein wenig mehr über Dich und Deine Ansichten über Gott und die Welt des Glaubens erfahren habe, bringe ich mein Erstaunen darüber zum Ausdruck, dass Du ausgerechnet diese Bibelstelle und die Auslegung des Pastors ausgewählt hast, denn es passt so gar nicht zu dem Bild, das Du mir außerhalb dieses Posts vermittelt hast. Deshalb habe ich auch explizit auf die Bibelstelle und der übermittelten Auslegung durch den Pastor rekuriert.
Lieber Steven,
dann bin ich vielleicht vielfältiger als Du gedacht hast. 😉
Den Satz hier, den letzten, hast Du aber auch gelesen, oder?
„Ständige Überprüfung von Prinzipien, die wir uns selbst gegeben haben, ob sie noch zeit- und situationsangemessen sind.“
Darauf gehst Du gar nicht ein. Dabei konkretisiert der Satz die davor.
@ Damien:
Zweifellos, aber Du offenbarst in dem Post aber eine Seite, die mir weniger gefällt, als die bisher bekannten.
Zu dem letzten Satz habe ich nichts geschrieben, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Zunächst heißt es, „keine Prinzipien, die einengen“. Da Prinzipien immer einengen, sonst brauchte man sie nicht, kann damit nur gemeint sein, dass es keine von Menschen erdachten Prinzipien gibt, bzw diese nicht anzuerkennen sind. Das Wort Gottes, wie zuvor zu lesen war, soll die einzige Leitlinie sein. In dem fraglichen Satz ist dann aber wieder von selbstgegebenen Prinzipien die Rede. Selbstgegeben dürfte hier aber bedeuten, dass es doch von den Menschen gegebene Prinzipien gibt. Das ist ein Widerspruch zu dem Vorherigen und ziemlich Wirr. Falls aber gemeint sein sollte, dass es sich um von Gott oder von Gottes Wort abgeleitete Prinzipien handelt, stellt sich die Frage, wer eigentlich die Deutungshoheit über das Wort Gottes hat. Gott selbst oder die Menschen? Sollte letzteres der Fall sein, brauchen ‚wir‘ Gott nicht mehr und sind im Bereich der Beliebigkeit angelangt, welche nichts anderes als ein Wirrnis ist. Und Wirrnis liegt sehr nahe bei Heimatlosigkeit.
Lieber Steven,
als ich meinen Post geschrieben habe, hatte ich Lust, meine Gedanken und Erlebnisse mit anderen zu teilen. In Deinen Kommentaren dazu entdecke ich aber kein Interesse an dem, was mich bewegt. Stattdessen baust Du einen Pappkameraden auf (Das Christentum führe in die Entfremdung, Gleichgültigkeit, Einsamkeit, mache lebensfremd, etc.), der für Dich längst feststand, bevor Du meinen Post gelesen hast. Und so wird alles, was ich schreibe, falsch verstanden, damit es in Dein Weltbild passt. Für solche Projektionen stehe ich nicht länger zur Verfügung und beende unser Gespräch über dieses Thema deshalb an dieser Stelle.
Gruß
Damien