Meinungsfreiheit auch für Deppen

17 Okt

Homosexualität richte sich „gegen die Familie, den Ort des Fortbestandes des menschlichen Geschlechts und also auch des Überlebens einer Nation.“

Ein kleiner Satz mit großer Wirkung. Wie berichtet, hat diese Äußerung der Jugendorganisation der Schweizerischen Volkspartei (SVP) für einen Sturm im Wasserglas bei allen möglichen Homo-Organisationen des Alpenlandes gesorgt. Auf Basis des „Antirassismusgesetzes“ wurden sage und schreibe 29 Klagen gegen die SVP eingereicht.

Vergeblich. Denn auf Entscheidung eines zuständigen Richters, wurde die Strafanklage abgewiesen:

Für die Schwulenorganisation Pink Cross und die Lesbenorganisation LOS ist dies „inakzeptabel und unerträglich“.

Ich dagegen finde es, langsam aber sicher, unerträglich, dass es sich in den westliche Ländern einbürgert, wegen jeder Äußerung irgendwelcher Hohlköpfe Klage einzureichen. Vermutlich bin ich ein mittelalterlicher Mensch, einer der an so lächerlichen Ideen wie der Meinungsfreiheit festhält, die natürlich auch (und gerade) dann zu gelten hat, wenn man mit den Gesagten nicht einverstanden ist. War da nicht mal irgendwas mit Voltaire?

„Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“

Um zu verdeutlichen, auf welch dünnem Eis sich die Kläger bewegen, stellen wir uns die Sachlage doch einmal umgekehrt vor; eine Schwulenorganisation würde also folgendes in den Raum werfen:

Das Christentum richtet sich gegen die Grundfesten des menschlichen Zusammenlebens,  gegen die Menschlichkeit, gegen den Anstand, gegen die Freiheit des Einzelnen und zerstört damit die Seele der Menschheit an sich.

Würde eine beliebige christliche Kirche dagegen Klage erheben, ich prophezeihe, dann wäre der Teufel los. Bitter würde man sich über die Knebelung der Meinungsfreiheit von  Seiten des Klerus beklagen, und zwar vermutlich auch von Seiten der selben Personen, die gegen die Jüngelchen von der SVP geklagt haben. Dabei haben sowohl die Aussagen der SVP über Homosexualität, als auch die über das angebliche Wesen des Christentums eines gemeinsam: Sie stimmen nicht; sind Unfug; sind nichts weiter als Gedankenfürze, intellektuell verbrämt, ja, aber dennoch von überaus schlechtem Geruch.

Und dennoch muss man so etwas sagen dürfen, ohne befürchten zu müssen, dass eine Anzeige ins Haus flattert. Für die Freiheit der Meinung – auch für Deppen mit dummen Ansichten – einzutreten bedeutet selbstverständich noch lange nicht, jeder Meinung zuzustimmen. Wer aber dem Staat zugesteht, er sei dafür verantwortlich, Meinungen zu sanktionieren, die einem nicht passen, und sei es, weil man sie als beleidigend, falsch und schädlich empfindet, der braucht sich nicht wundern, wenn irgendwann einmal die eigene Meinung zensiert wird.  Und wer glaubt, es sei richtig, Aussagen gegen Homosexualität zu sanktionieren, aber solche gegen Christen, Heteros oder die SVP nicht, der sollte nicht so tun, als würde er für die Gleichberechtigung eintreten.


34 Antworten zu “Meinungsfreiheit auch für Deppen”

  1. Georg Bruckner 18. Oktober 2009 um 08:39 #

    Zwischen der Verunglimpfung von Schwulen und Kritik am Christentum gibt es einen wesentlichen Unterschied: letzteres hat nichts zu befürchten, während Schwule eine von vielen gehaßte Minderheit sind, zu deren Diskriminierung eben auch so idiotische Sätze wie der zitierte dienen. Gleichberechtigung ist dann unangebracht, wenn eine Gruppe dadurch weiterhin ungestraft in den Schmutz gezogen werden kann, die Angriffen aller Art von Seiten von Seiten der Mehrheit ausgesetzt ist.

  2. Adrian 18. Oktober 2009 um 10:48 #

    Tatsache ist: Wenn man eine Gruppe das Privileg einräumt, schützenswerter als eine andere zu sein, verabschiedet man sich vor dem Gedanken der Gleichheit vor dem Gesetz.

    Schutz von „Minderheiten“ bedeutet doch nicht, ihnen Rechte einzuräumen, die anderen nicht zustehen, sondern dass sie die gleichen Rechte, wie alle anderen haben.Theoretisch könnte das auch bedeuten: Niemand darf mehr irgendetwas von sich geben, das von einer Gruppe als beleidigend aufgefasst werden könnte. Das allerdings wäre das vollkommene Ende der Meinungsfreiheit.

    Interessant übrigens, dass Du die Äußerung der SVP als „Verunglimpfung“, die meinige gegen das Christentum alerdings als „Kritik“ bezeichnest. Ich bin mir sicher, dass das einige Menschen genau andersrum sehen würden, bzw. auch die Äußerung gegen das Christentum unter „Verunglimpfung“ einordnen würden.

  3. Ralf 18. Oktober 2009 um 11:12 #

    Es gibt einen wesentlichen Unterschied: Man ist schwul/lesbisch, oder man ist es nicht. Ob man an irgendeine esoterische Lehre glaubt, unterliegt hingegen der persönlichen Willensfreiheit. Aber davon unabhängig bin ich auch der Meinung, dass die politische Auseinandersetzung nicht vor den Gerichten auszutragen ist.

  4. Adrian 18. Oktober 2009 um 11:18 #

    @ Ralf
    Ich finde diesen Unterschied im Hinblick auf die Meinungsfreiheit irrelevant.

  5. Fg68at 18. Oktober 2009 um 13:07 #

    Gedankenspiel: Man muss sagen dürfen, dass jemand ein Hexer ist. Irgendwelche andere werden es auch glauben. Die Masse wird größer, die sagt, dass er ein schlimmer Hexer ist. Er wird wie ein Hexer behandelt werden.

    Man muss sagen können, dass George Tiller ein Babyschlächter ist, ein Mörder ist. Mehr Leute stimmen dem zu, dass er ein Mörder ist, ein Babykiller. Irgendwer wird ihn wie einen Mörder behandeln.

  6. Adrian 18. Oktober 2009 um 13:27 #

    Erstens gibt es einen Unterschied zwischen persönlicher Verunglimpfung und denen gegenüber einer Gruppe.

    Zweitens sind Deine Beispiele überhaupt nicht relevant. Es gibt nun mal keine Hexer (da, ich habe es gesagt, ungestraft) und ein „Babyschlächter“ ist George Tiller nur dann, wenn er ein Baby getötet hat. Um das zu beweisen, dafür gibt es Kriminalisten. Im Übrigen haben die Kläger die SVP nicht zu einem Prozess gedrängt, um sie dazu zu bringen, ihre Aussagen gegenüber Homosexualität zu belegen (das wäre höchst interessant und originell), sie wollten ihnen lediglich das Maul stopfen.

    Drittens könnte man Deine Beispiele auch als „Gegenargument“ für jede Meinungsäußerung gebrauchen die einem nicht passen.

    Viertens: Was folgt aus Deinen Beispielen?

    Fünftens: Jeder hat die Möglichkeit, Gegenargumente zu bringen. Schwule haben es nicht mit staatlicher Macht, sondern mit der Kraft der Überzeugung so weit gebracht, die Mehrheit – die ja einst dachte Schwule seien kriminelle Gestörte – davon zu überzeugen, dass Homosexualität nichts verwerfliches ist.

  7. Ralf 18. Oktober 2009 um 16:19 #

    @ Adrian

    Der Unterschied besteht darin, dass die einen sich nicht selbst entschieden haben, schwul/lesbisch zu sein und dafür nicht verantwortlich sind, während die anderen aus freier Selbstbestimmung ihren Glauben an altorientalische Märchen leben. Die letzteren können das ändern, die ersteren nicht.

    Aber es spielt im Hinblick auf die Meinungsfreiheit in der Tat keine Rolle, wenn man jedem hetzerischen Blödsinn den Rang einer zu schützenden Meinung einräumt. Freilich ist es kaum zu leisten, zwischen Hetze und Meinung eine Grenze zu ziehen, das geb ich auch zu.

  8. xv22 19. Oktober 2009 um 14:43 #

    Mir ist auch nichts von einer homo-demokratischen Union bekannt, die in den Regierungen sitzt und Druck auf Christen ausübt…

  9. Adrian 19. Oktober 2009 um 14:49 #

    @xv22

    Und? Was, wenn es so wäre?

  10. Born for the USA 19. Oktober 2009 um 16:54 #

    @“Und? Wenn es so wäre?“

    Ist aber nicht so.

    Genausowenig, wie es eine satantische Hexenverschwörung gegen die Kirche gab.

    Genausowenig, wie es vom Teufel regierte Häretikerkirchen gab.

    Genausowenig, wie es eine freimaurerische Weltverschwörung gegen die Kirchen gab.

    Genausowenig, wie es eine muslimische Verschwörung zur Behinderung und Ermordung aller Pilgerreisenden gab.

    Genausowenig, wie es eine jüdische Verschwörung gegen die Kirche gab.

    Aber immer trat die Kirche im Namen der armen, unschuldigen, wehrlosen Christenkinder dann ihrerseits zur Verfolgung an. Wer sich dann angeklagt sah und ernsthaft glaubte, mit „Gegenargumenten“ irgendwas erreichen zu können, durfte bald feststellen, dass die auf Angst, Hass und blinder Autoritätshörigkeit („Glaube“) aufgebauten geschlossenen Weltbilder dagegen hervorragend immunisiert waren.

    Muss man an die deutsche Geschichte 1920ff. erinnern?

    Die vergleichsweise liberale Gesetzgebung und Rechtspraxis gegenüber Homosexuellen in der Weimarer Zeit war Gegenstand zahlloser Hetzpredigten auf allen Ebenen beider Kirchen.
    Für die Verschärfung der Gesetze, die Verfolgung bis hin zur Ermordung in KZs unter den Nazis gab es kirchlicherseits viel Zuspruch. Nennenswerter zeitgenössischer Widerspruch ist zumindest mir nicht bekannt. Ebensowenig gegen die Nichtentschädigung und Weiterverfolgung nach 1945.

    Muss man noch daran erinnern, in welchem Teil Deutschlands der §175 in der Nazifassung bis 1969 galt, und wo er bereits 1957 zur alten Form geändert und 1968 abgeschafft worden war?

    Ich für meinen Teil mag nicht so lange warten, bis es Kirchenfunktionäre mal wieder „mit der Kraft der Überzeugung so weit gebracht“ haben, „die Mehrheit […] davon zu überzeugen, dass Homosexualität“ (oder Atheismus, oder…) etwas „verwerfliches ist“, und wieder Leute in Lagern landen.

  11. Adrian 19. Oktober 2009 um 20:51 #

    Ich begreife den ursächlichen Zusammenhang zwischen Meinungsfreiheit und Konzentrationslagern nicht ganz.

  12. martin 19. Oktober 2009 um 22:30 #

    Dass es vielen wichtig scheint, minoritäre Gruppen vor Übergriffen und Herabsetzungen anderer zu schützen, kann ich verstehen. Trotzdem bin ich in dieser Sache ganz auf Adrians Seite. Das schlichte liberale Prinzip möglichst weitgehender Meinungsfreiheit ist in jedem Fall einfacher, klarer und gerechter als komplizierte rechtliche Vorschriften gegen die Diskriminierung einzelner Gruppen.
    Zunächst einmal ist es stets eine subjektive Angelegenheit, ob sich jemand durch die Äußerung eines anderen verletzt, zurückgesetzt oder diskriminiert fühlt. Wer fühlt sich in der Lage, objektive Kriterien dafür anzugeben, wessen Empfindungen hier wahrer/authentischer/gravierender etc. sind? Können wir aber ernsthaft unser Strafrecht auf den subjektiven Gefühlen einzelner Personen aufbauen? Wenn sich ein konservativer Christ dadurch diskriminiert fühlt, dass der Papst auf CSD-Umzügen geschmäht wird oder eben dadurch, dass Schwule und Lesben sich öffentlich küssen – warum sollten seine Gefühle weniger berechtigt sein als die anderer Menschen? Oder umgekehrt: Wird die Herabsetzung religiöser Empfindungen dadurch strafwürdig oder strafwürdiger, dass sich jemand lautstark darüber beschwert? (Je besser organisiert eine Minderheit ihre angebliche Diskriminierung anprangert, desto eher wird ihr geholfen. Das diskriminiert wiederum solche Minderheiten, die schlechter organisiert sind.)
    Zweitens finde ich es ziemlich problematisch, willkürlich irgendwelche Gruppen unter staatlichen Schutz zu stellen. Nicht nur, dass man dadurch Gruppen vor Individuen priorisiert (früher nannte man so etwas Kommunitarismus); vor allem ist die Auszeichnung bestimmter schutzwürdiger Gruppen selbst ungerecht: Warum sind Schwule schützenswert, aber nicht Katholiken, Pädophile, Autofahrer, Kakteenzüchter? Nur weil ihre Lobby scheinbar erfolgreicher an Antidiskriminierungsgesetzen mitstrikt? Wenn Schwule und Lesben glauben, sie seien im Gegensatz z.B. zu Christen eine besonders gehasste und diskriminierte Minderheit, dann empfehle ich einen Rollenwechsel: Nein, konservative Christen sind nicht gerade die Lieblinge der deutschen Mainstream-Presse. Und, ach ja: als Katholik ist man auch in der Minderheit. Mir scheint der Blickwinkel vieler Homosexueller hier, mit Verlaub, ein wenig narzisstisch.
    Drittens halte ich die Erwartung, der Staat solle bestimmte Gruppen vor öffentlicher Diskriminierung schützen, für hoffnungslos staatsgläubig. Was soll denn der Staat noch alles regeln? Normen für richtigen Sex einführen, damit man schutzberechtigte Schwule vor schutzunberechtigten Scheinschwulen unterscheiden kann? (Weil man schwul ja von Natur aus ist, im Gegensatz zu den aus freiem Willen gewordenen Anhängern altorientalischer Mysterienkulte und denen, die als Männer Männer ficken, weil sie es eben wollen).

    Es ist zu erwarten, dass der Staat jedem Bürger einen Raum sicherer und freier Lebensentfaltung schafft. Von jedem meiner Mitbürger erwarte ich, dass sie meine Lebensweise akzeptieren und tolerieren, auch wenn sie diese ablehnen oder ekelhaft finden. Ich habe allerdings keinen Anspruch darauf, dass sie diese Empfindungen mir gegenüber ablegen. Ich habe kein Recht darauf, dass andere Menschen mit schätzen so wie ich bin oder dass sie darauf verzichten, meine Lebensweise zu kritisieren. Alles andere ist illiberal gedacht.
    Natürlich geht es dabei nur um die Äußerung allgemeiner Meinungen, nicht um Hetze, Aufrufe zur Gewalt etc. Das wäre nötigenfalls im Einzelfall zu klären. Aber bei dem hier angeführten Fall kann ich beim besten Willen nicht erkennen, dass es sich um Anstiftung zu Gewalt oder Hass handelt.

  13. Adrian 19. Oktober 2009 um 22:44 #

    Folgende Punkte aus Deinem Kommentar, martin, halte ich für besonders wichtig:

    1.) „Dass es vielen wichtig scheint, minoritäre Gruppen vor Übergriffen und Herabsetzungen anderer zu schützen, kann ich verstehen.“

    Verstehen kann ich das auch.

    2.) „Zunächst einmal ist es stets eine subjektive Angelegenheit, ob sich jemand durch die Äußerung eines anderen verletzt, zurückgesetzt oder diskriminiert fühlt.“

    Right!

    3.) „finde ich es ziemlich problematisch, willkürlich irgendwelche Gruppen unter staatlichen Schutz zu stellen. Nicht nur, dass man dadurch Gruppen vor Individuen priorisiert“

    Wichtiger Punkt. Gruppendenken unterminiert den Einzelnen. Man ist eben nicht nur schwul.

    4.) „halte ich die Erwartung, der Staat solle bestimmte Gruppen vor öffentlicher Diskriminierung schützen, für hoffnungslos staatsgläubig. Was soll denn der Staat noch alles regeln?“

    Sowieso!

    5.) „Ich habe kein Recht darauf, dass andere Menschen mi[ch] schätzen so wie ich bin oder dass sie darauf verzichten, meine Lebensweise zu kritisieren. Alles andere ist illiberal gedacht.“

    Exakt. Das halte ich für den wichtigsten Punkt.

  14. Born for the USA 20. Oktober 2009 um 07:56 #

    @Zusammenhang: Tja, das hatten die Weimarer Verfassungsväter auch nicht. Geschichtsbücher mögen da nachhelfen.

    Lohnt sich, dem Zusammenhang zwischen speziell kirchlicher Hetze und Jahrhunderten der Verfolgung aller möglicher Gruppen einmal nachzugehen.

    Und, nö, natürlich darf sich jeder Gläubische nach Herzenslust mit seinen „Meinungsäußerungen“ lächerlich machen – das ist keiner Strafanzeige wert. Das macht sie aber nicht besser, und angesichts dessen, in welchem historischen Zusammenhang solche „Meinungsäußerungen“ stehen, kann ich die Reaktionen nur allzu gut verstehen – denn offenkundig ist in gewissen Vereinen der Wunsch, Leute in Lager zu stecken, weiterhin sehr lebendig.

  15. Born for the USA 20. Oktober 2009 um 08:10 #

    @Martin: Die Zahl der Menschen, die im Namen des Christentums verfolgt und nicht selten auch ermordet wurden, hat bei Kirchenfreien und nicht voll auf Vereinslinie liegenden Christen eben ein gewisses Misstrauen erzeugt.

    Zudem – Jungfrauengeburten, sprechende Schlangen, Transsubstation, dämonische Besessenheiten, … – wer sich öffentlich zum Glauben an solche Merkwürdigkeiten bekennt, oder, mehr noch, sowas von seinen Mitmenschen einfordert, der kann sich eigentlich nicht beschweren, nicht so ganz für voll genommen zu werden.

  16. Born for the USA 20. Oktober 2009 um 09:58 #

    Lol – ist schon witzig, was passiert, wenn man auf Seiten postet, wo sich gewisse Christen für „Meinungsfreiheit“ stark machen.

    Keine Fragen mehr.

  17. Adrian 20. Oktober 2009 um 11:10 #

    Also, meine Geschichtsbücher sagen mir, dass es nicht die Kirche war, die Lager gebaut hat, sondern die Staatsbürokratie in Gestalt der Nazis in Deutschland und Polen bzw. der Kommunisten in der Sowjetunion, beides ziemlich antichristliche Organisationen.

    Diese Geschichtsbücher sagen mir auch, dass es nicht die Meinungsfreiheit war, welche zu den Lagern geführt hat, sondern die Nichtanerkennung der Menschen- und Bürgerrechte und die Privilgierunge bestimmter Bevölkerungsgruppen über andere durch den Staat.

  18. martin 20. Oktober 2009 um 12:00 #

    Erstens ist die „Religionen-sind-immer-gewalttätig“-These falsch.
    Zweitens beschwere ich mich nicht darüber, wenn ich auf Grund meiner religiösen Überzeugungen „nicht so ganz für voll genommen“ werde. Ich leiste mir lediglich das freche Vergnügen, die selbsternannten Freigeister, so genannten säkularen Humanisten und sonstigen Wissenschaftsgläubigen unseres Landes ebenfalls nicht so ganz für voll zu nehmen, sondern sie eher für solche Leute zu halten, denen wenigstens die Hälfte der Aufklärung noch fehlt.
    Drittens halte ich es für eine Unverschämtheit, jemanden in Gruppenhaftung für irgendwelche Verbrecher zu nehmen, die ihm zufällig in irgendeiner Hinsicht ähnlich sind. Mit schwulen Lustmördern habe ich genauso wenig zu tun wie mit der spanischen Inquisition, und ich sehe nicht ein, warum ich deshalb diskriminiert oder jemand anderes privilegiert werden sollte.
    Viertens kann ich auch nichts dafür, dass es Menschen gibt, deren Weltbild es nicht zulässt, dass Christen sich für Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Demokratie einsetzen.
    Fünftens bin ich es Leid, irgendeine Religion verteidigen zu müssen. Oft genug ist es notwendig!

  19. Born for the USA 20. Oktober 2009 um 23:12 #

    @Adrian: Lohnt sich vielleicht mal etwas tiefer zu gehen. Abgesehen davon, dass Kirchenfunktionäre tatsächlich Lager aufgebaut und betrieben haben – woher kam denn der Antisemitismus? Oder die Homophobie?
    Selbstverständlich hat das nichts mit den Kirchen zu tun, auch nicht mit den zig antisemitischen Stellen im NT – im Schnitt so zwei pro Seite -, der Todesstrafe für homosexuelle Männer aus dem AT, oder den entsprechden Tiraden im Römerbrief. Hat alles nichts mit der Geschichte zu tun.
    Auch Francos Spanien, Dollfuß‘ Österreich, Mussolinis Italien, Ustascha-Kroatien, die Slowakei der 1940er… nee, das gab es alles gar nicht. War alles ganz anders.

    Vor dem Hintergrund stehen die Äußerungen: Die (Groß-)Kirchen haben traditionell die Ermordung Homosexueller über die Jahrhunderte gestützt und durchgesetzt, in ihrem zentralen Werk wird immer noch die Todesstrafe für sie gefordert – dem steht auf Seiten der diversen Schwulen/Lesbenbewegungen nichts annähernd vergleichbares gegenüber. Wenn dann von entsprechenden Vertretern wieder öffentlich über die Schädlichkeit der Homosexuellen philosophiert wird, hat das eben eine besondere Qualität.

    @Martin, 1.: Hat keiner behauptet.
    Auch wenn es auffällig ist, wie deutlich Gewalttätigkeit und Religiösität für verschiedene Zeitalter und Gesellschaften mindestens im Westen korrelieren – das mag gemeinsame Ursachen haben. Und, ja, die Politreligionen Kommunismus und Faschismus haben da sicherlich keine besseren Bilanzen aufzuweisen.

    @3.: Rosinenpickerei. „Der Kommunismus ist ganz toll, und mit Stalin, der DDR, Maos Hungertoten usw. hat er gar nichts zu tun!“ höre ich laufend aus linken Kreisen. Die entsprechenden rechten Parolen zu zitieren, spar ich mir lieber. Und bis zur Spanischen Inquisition muss ich nicht zurückgehen, es reicht völlig, was die Katholische Kirche in den letzten Jahrzehnten betrieben, begünstigt und vertuscht hat. Wer sich dann mokiert, dass ihre Unterstützer eine schlechte Presse haben – sorry, selbst schuld.

    @4.: Kommt vor, und nicht mal selten. Aber wäre schon schön, wenn sie wenigstens die sonst allgemein anerkannten Grundsätze zivilisierten Zusammenlebens dort zur Anwendung brächten, wo sie mit öffentlichen Geldern hantieren.
    Tätige Reue – also mit Geld, nicht nur betroffen gucken – wäre angesichts der bekannten Verfehlungen auch mal eine Maßnahme.
    (Das kann man individuell und kostenneutral lösen: Aus der Kirche austreten, den entsprechenden Betrag den Opferorganisationen – etwa dem der missbrauchten Heimkinder – zukommen lassen.)

    ————–

    Ansonsten, noch @ältere Beiträge: Mir fehlt die Unterscheidung zwischen juristischem und moralischem Recht.

    Juristisch sind wir, denke ich, einer Meinung: Was nicht eine direkte Aufforderung zu einer Straftat darstellt, oder eine direkte Verleumdung ist, hat legal zu bleiben, weil die Alternative eine Zensur wäre, die noch weit unerfreulichere Folgen hätte. Demzufolge ist auch für die Strafbarkeit von Verleumdung – vermutlich unjuristisch verstanden als die bewusste Behauptung falscher Tatsache über andere Personen, üblicherweise in der Absicht, ihnen zu schaden – eine möglichst hohe juristische Hürde zu legen.

    Das gilt selbstverständlich für alle gleichermaßen. (Der §166 StGB müsste demnach ersatzlos gestrichen werden.)

    Moralisch stehe ich auf einem anderen Standpunkt: Ich billige nicht allen das moralische Recht zu, ungefragt „meine Lebensweise zu kritisieren“. Das ist eine Einmischung in meine Privatsphäre. Noch weniger billige ich ihnen das Recht zu, das öffentlich zu tun. Klatsch und Tratsch sind wohl legal, aber nicht legitim. (Aus dem Gleichheitsgrundsatz folgt, dass ich auch jedem anderen dasselbe Recht zugestehe.)

    Das ist natürlich anders, wenn ich meine Lebensweise öffentlich anpreise. Oder anderen vorzuschreiben versuche, wie sie zu leben und sich zu verhalten haben. (Wiederum, der Klarheit halber, es geht nicht um Fragen des Strafrechts.)

    Die (deutschen Groß-)Kirchen ignorieren diese einfachen Grundsätze aus Prinzip; sie missbrauchen öffentliche Gelder, um Anhänger für deren kirchenkonforme Lebensweise zu belohnen. Das ist anscheinend legal, aber da es um die Verwendung auch meiner Gelder geht (und das nicht zu knapp), sehe ich keinen Grund, den Läden genau das anzukreiden.

    Umgekehrt waren und sind die Kirchen in zahlreiche Strafverfahren verwickelt. Besonders bei der katholischen Kirche stellt sich eben heraus, dass es nicht nur einzelne Kirchenfunktionäre gab, die sich strafbar gemacht haben (das ist dann deren Vergehen und noch keines der Kirche), sondern solche Verbrechen systematisch gestützt (deutsches Kinderheim-Wesen) oder zumindest vertuscht (einschlägig bekannte Fälle) wurden.
    Die Liste von Beteiligungen beider Kirchen an früheren, juristisch gesehen verjährten Straftaten und historischen Verbrechen ist ellenlang; für einige und meist sehr diffus haben sich führende Funktionäre öffentlich entschuldigt.
    Wer genauer hinschaut, stellt allerdings fest, dass selten wenigstens symbolische Wiedergutmachung versucht wurde, und üblicherweise die Zinsen der Beute immer noch ohne jegliche Skrupel angenommen werden.

    Wenn sich dann die Funktionäre und Anhänger solcher Institutionen mit dem Verweis auf dieselbe in die Öffentlichkeit stellen und „moralische“ Kritik üben – ist das nicht nur ungemein peinlich. (Vielen Christen fehlt dafür anscheinend jegliches Gespür.) Es ist auch anmaßend und völlig unangemessen.

    Ich verweise ansonsten auf das Gleichnis vom Balken und Splitter.

  20. Adrian 20. Oktober 2009 um 23:43 #

    „woher kam denn der Antisemitismus? Oder die Homophobie?“

    Spielt für mich in diesem Zusammenhang keine Rolle. Mir geht es hier um Meinungsfreiheit, nicht um Ursachenforschung.

    „Mir fehlt die Unterscheidung zwischen juristischem und moralischem Recht.“

    Ich habe nun mal über einen juristischen Vorgang geschrieben. Dass ich die Äußerunge der SVP ablehne, wird eigentlich durch meine Bezeichnung als „Hohlköpfe“ deutlich – und durch sonstiges Lesen dieses Blogs.

    „Was nicht eine direkte Aufforderung zu einer Straftat darstellt, oder eine direkte Verleumdung ist, hat legal zu bleiben, weil die Alternative eine Zensur wäre, die noch weit unerfreulichere Folgen hätte.“

    Und worüber diskutieren wir dann die ganze Zeit?

    „Ich billige nicht allen das moralische Recht zu, ungefragt „meine Lebensweise zu kritisieren“. Das ist eine Einmischung in meine Privatsphäre. Noch weniger billige ich ihnen das Recht zu, das öffentlich zu tun.“

    Ich sehe das auch so. Aber mehr als meine Missbilligung darüber auszudrücken, kann (und sollte) man nicht tun. Deshalb schreibe ich hier ja regelmäßig gegen homophobe Leute an, bediene mich also meiner Meinungsfreiheit.

    Das mit den öffentlichen Geldern für Kirchen brauchen wir nicht zu vertiefen. Ich bin für Trennung von Staat und Religion.

  21. Born for the USA 21. Oktober 2009 um 01:36 #

    @Worüber: Unpassend ist einfach Dein eingangs gebrachter Vergleich: Die Kirchen haben nun mal weit über anderthalb Jahrtausende aktiv die Verfolgung der Homosexuellen betrieben – oft mit tödlichen Folgen. Zu einer unzweideutigen, klaren Distanzierung hat’s nie gereicht, weit weniger zu tätiger Reue.

    Besagte Kirchen stellen sich stattdessen laufend als verfolgt dar und klagen in D ja auch öfters (zunehmend weniger – weil sie damit inzwischen eher Gespött auf sich ziehen, was schlecht für’s Geschäft ist). Trotzdem – es gibt einfach keine weltweite Schwulen-Lesben-Whatever-Organisation, deren zentrale Schrift den Tod aller aktiven Christen fordert. Für entsprechende Hassmorde oder systematische Verfolgungen fehlt mir zumindest Kenntnis von jeglichem Beispiel.

    Und @letzteres: Für die Trennung bin ich selbstredend, allerdings auch für die Trennung von Kirche und auf krummen Wegen erzieltem Profit zugunsten ihrer Opfer. (Der noch überlebenden, nicht irgendwelcher Organisationen, die nur ihre Nachfolge beanspruchen – etwa Neuheiden oder GLBTUSW-Organisationen.)

    Anfangen könnte und sollte man mit kirchenfunktionärsseitig missbrauchten Heimkindern.

    • Adrian 21. Oktober 2009 um 11:39 #

      Wieso soll mein Vergleich unpassend gewesen sein? Ich habe als Reaktion auf eine – wie ich finde – überflüssige Klage, eine hypothetische Situation in den Raum gestellt, um aufzuzeigen, dass man nicht für sich Freiheiten fordern kann, die man anderen vorenthalten will, bzw. dass man sich auf dünnem Eis bewegt, wenn man die eigenen verletzten Gefühle zum Maßstab der Rechtssprechung machen will.

  22. Born for the USA 21. Oktober 2009 um 19:35 #

    Gut, nehmen wir an, der (fiktive!) „Deutsche Interessenverbund Eugenik & Völkische Gesundheit“ behaupte öffentlich, das Nicht-Abtreiben behinderter Kinder richte sich „gegen die Familie, den Ort des Fortbestandes des menschlichen Geschlechts und also auch des Überlebens einer Nation.“

    Das abzutun mit dem Hinweis, Behinderte dürften sich ja auch negativ über Eugeniker äußern, ohne dass sich jemand aufrege, geht an der Sache vorbei.

    Einfach deshalb, weil es in der Vergangenheit nicht beim „mal so wertfrei in den Raum hinein meinen“ geblieben ist.

    Da die Kirchen homosexuelle Männer immer noch für todwürdig erklären, wenn auch nur an nichtprominenter Stelle und mit vielen nebelkerziger Abwiegelei, wären „wertfreie Überlegungen“ über die Gefahr, die diese Männer für den „Fortbestand der Menschheit“ darstellen, eben als Drohungen aufzufassen.

    Noch mal in kurz, anderes Beispiel: Wenn sich Joe Average am amerikanischen Stammtisch darüber Gedanken macht, ob die Gründung Israels an dem Ort, zu der Zeit, usw. nicht ein Fehler war und ob angesichts der allgemeinen Weltpolitik der Staat Israel in 20 Jahren noch existieren werde, dann ist das eine Meinung. (Und im übrigen nicht meine.)
    Wenn ein iranischer Staatspräsident, der gerade Atomwaffen entwickeln lässt, dieselben „Überlegungen“ über Rundfunk und Fernsehen öffentlich verbreitet, dann muss man sehr naiv sein, darin keine Drohung zu sehen.

    Ist das wirklich so kompliziert?

    Einfache Lösung: Die entsprechenden Passagen aus der Bibel streichen oder in jede Ausgabe an prominenter Stelle „Wir distanzieren uns ausdrücklich von Leviticus …, Römer …, sowie von jeder anderen Passage, die den Eindruck erwecken könnte, wir wollten weiterhin Homosexuelle hingerichtet oder sonst in irgendeiner Art in ihren Menschenrechten eingeschränkt sehen“ eindrucken. (Bei der Gelegenheit kann man auch den antisemitischen Passagen das gleiche angedeihen lassen.) Katholischerseits kann man das auch gleich ins Dogma einfügen („Du sollst nicht tothauen, bedrohen oder um seine Rechte bringen Deinen Nächsten, nur weil er weder Dein Weib noch Deine Tochter begehrt.“), mit den üblichen Kirchensanktionen absichern, und alle wären’s zufrieden.

    Da es dazu nicht reicht, sondern nur zu ulbrichtesken Abwiegelungen, steht jede diesbezügliche Äußerung kirchlicherseits im Kontext einer jahrhundertelangen Verfolgung und einer mithin sehr realen Drohung.

    Mit „verletzten Gefühlen“ hat das herzlich wenig zu tun.

    Sondern damit, dass ich den Kirchen kein Gewohnheitsrecht auf Volksverhetzung einräume.

  23. Adrian 21. Oktober 2009 um 20:10 #

    „Ist das wirklich so kompliziert?“

    Nein, aber im Kontext meiner Ansicht zur Meinungsfreiheit ist das für mich nicht relevant.

    „und alle wären’s zufrieden.“

    Ich nicht.

    „steht jede diesbezügliche Äußerung kirchlicherseits im Kontext einer jahrhundertelangen Verfolgung und einer mithin sehr realen Drohung.“

    Ja, aber daraus folgt für mich nicht der Ruf nach dem Staat.

    „Mit „verletzten Gefühlen“ hat das herzlich wenig zu tun.“

    Doch, ich fühle mich durch homophobe Äußerungen mitunter verletzt (durch den obigen der SVP allerdings nicht). Aber noch mal: Daraus folgt für mich nicht der Ruf nach Papa Staat.

    „Sondern damit, dass ich den Kirchen kein Gewohnheitsrecht auf Volksverhetzung einräume.“

    Ich lege die Meinungsfreiheit bis über die Grenzen meines moralischen Anstands aus. Ich weiß, dass das viele Menschen nicht verstehen. Aber so bin ich nun mal. Ich glaube nicht an viel. Ich glaube nicht daran, Menschen mittels Zwang zu erziehen.
    Aber an eines zumindest glaube ich:
    „Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.“

  24. martin 21. Oktober 2009 um 20:36 #

    Das Beispiel mit der Eugenik finde ich gar nicht so weit hergeholt, allerdings finde ich den Vergleich unpassend. Ich kenne keine Kirche, die homosexuelle Männer für todwürdig erklärt und Volksverhetzung betreibt, so wie es z.B. Neonazis mit antisemitischer Hetze tun oder Achmadinedschad, wenn er die Vernichtung Israels ankündigt. Es liegt, mit Verlaub, doch etwas anders, wenn man homosexuelle Ehen für gefährlich hält und Homosexuellen bestimmte Privilegien, die Heterosexuelle genießen, verweigern will. Oder fordert deshalb jemand die Abtreibung homosexueller Kinder? Wohl kaum. Ich bin sehr wohl der Meinung, dass man als religiöser Mensch nicht einfach sagen kann: Mit Verbrechern im Namen Gottes habe ich nichts zu tun! Das ist gewiss etwas sehr einfach, aber das gilt auch umgekehrt für die schlichte Mitinhaftungnahme.
    Der Lösungsvorschlag ist übrigens eine nette Idee, aber irgendwie unbefriedigend. Was soll denn das? Außer ein paar hartgesottenen Atheisten und diversen Evangelikalen gibt es schlicht niemanden, der die Bibel wörtlich nimmt – was auch kein Zufall ist, weil darin bekanntlich so ziemlich alles und auch sein Gegenteil steht. Im Übrigen sind Mord und Totschlag kirchlicherseits keine geduldeten Verbrechen, völlig unabhängig davon, wer gemordet oder getötet wird. Das steht auch in der Bibel, aber nicht nur da.
    Übrigens gibt es auch eine sehr reale, jahrhundertelange Tradition der Kirchen- und Christenverfolgung. Auch sind Christen in der Gegenwart die zahlenmäßig größte verfolgte Minderheit weltweit. Sollte man Kirchenkritik deshalb zu Volksverhetzung erklären? Nein. Also bleibt es dabei: möglichst weitreichende Meinungsfreiheit und, so es angebracht ist, moralische Empörung über menschenverachtendes Verhalten.

  25. Born for the USA 22. Oktober 2009 um 02:42 #

    @Adrian: Noch mal einfacher:

    1. Wird in der Bibel zur Toetung von Homosexuellen aufgefordert?

    2. Falls ja, ist es richtig, dass die Bibel von allen christlichen Kirchen als wichtige Schrift eingeordnet wird, insbesondere, dass ihre „Botschaften“ vielfach als grundlegend fuer die Moral und die Grundlagen auch der Rechtssprechung angepriesen werden?

    3. Falls ja, hat jemals eine der Grosskirchen eine klare, unzweideutige, explizite Distanzierung wie die oben geforderte gebracht?

    Wenn nicht, fordern die Kirchen eben weiterhin zur Toetung von Homosexuellen auf. Ganz nebenbei und aus Gewohnheit, natuerlich, ohne jede boese Absicht, nur so aus Spass, nicht ernstgemeint. „Die wollen nur spielen.“

    @Martin, woertliche Auslegung: Sorry, die Stelle im Leviticus ist eindeutig, unmissverstaendlich, nicht metaphorisch. Sie ist auch ueber die letzten 2 Jahrtausende praktisch nie ernsthaft anders als so, wie sie da steht, ausgelegt worden – bis vor kurzem, wo man sich den Kontext der Tempelprostitution dazuphantasierte. Auch der Roemerbrief laesst wenig Zweifel daran, welche Ansicht sein Schreiber zum Thema hat.

    Wenn’s nicht wichtig ist und nicht so gemeint ist, kann man ja Missverstaendnissen einfach vorbeugen und die Stellen streichen. Die Realitaet ist, dass sowohl weite protestantische wie auch katholische Kreise mit dem Hinweis auf die Bibel Homosexuellen Rechte absprechen (oder gelegentlich zusprechen).

    Ansonsten: Ich halt‘ nicht viel von der Rosinenpickerei und philologischen Beliebigkeit „moderner“ Christen – das ist eine Ausweichreaktion, nachdem die Kenntnis von der Unglaubwuerdigkeit weiter Bibelpassagen in den letzten 2-3 Jahrhunderten Allgemeingut geworden ist.
    Natuerlich kann man in der Bibel alles und sein Gegenteil finden, deswegen taugt sie ja auch nicht als Grundlage eines zivilisierten Gemeinwesens. Und? Das aendert nichts daran, dass die meisten Stellen der Bibel durchaus klar zu verstehen sind, vom jeweiligen Autoren offenkundig woertlich und verbindlich gemeint waren (Gleichnisse selbstverstaendlich als Gleichnisse, etc.), …

    Zum Ermorden Homosexueller auffordern – das tut jeder, der die Bibel und die in ihr aufzufindende Moral undifferenziert als Handlungsorientierung anpreist. Wenn man das nicht so meint, hat man in 2 Jahrtausenden genug Zeit gehabt, das klarzustellen. Kann man auch heute noch. (Gilt selbstredend, und nicht weniger dringend, fuer die antisemitischen Passagen.)

    Tut man aber nicht.

    Warum?

    @Verfolgung: Natuerlich hat auch kein Christ wegen seines Glaubens verfolgt zu werden. Da muss er traditionell aber am meisten vor anderen Christen geschuetzt werden. Dann, und aktueller, natuerlich auch vor der bekannten Bruderreligion. Dann natuerlich auch von den Politreligionen, die sich im uebrigen in Stil, Versprechungen, Ritualen und Organisation nicht so sonderlich deutlich vom Christentum abheben, aber das nur am Rande.

    Was die „zahlenmaessig groesste verfolgte Minderheit“ betrifft: Sorry, aber das Aufspielen als verfolgte Minderheit ist vor allem Projektion. (Ja, ich waere lieber Christ in der sozialistischen DDR als Sozialist im christlichen Spanien gewesen.)

    Die aktuell wohl umfangreichste Verfolgung findet in Darfur statt. Die Opfer sind mehrheitlich keine Christen, ihre Religion spielt bei der Verfolgung keine Rolle. Wenn Du die naehere Vergangenheit meinst: Da waere die Verfolgung der Tutsi und politisch gemaessigter Hutu durch Hutu-Extremisten – alle drei Gruppen mehrheitlich katholisch und fast ausschliesslich christlich. Oder die Jugoslawienkriege? Die Hauptparteien waren katholische Kroaten und orthodoxe Serben – die Religion ist das Hauptunterscheidungsmerkmal (neben der regionalen Herkunft) beider Gruppen. Und die Bosnier, darunter die Gruppe der bosnischen Muslime.

    Wo Christen tatsaechlich verfolgt werden, etwa im Irak, sind die Verfolger keine Kirchenkritiker, keine Homosexuellenverbaende, sondern – …

    Wobei mir die Motive nur im Sinne der Praevention wichtig sind: Menschen verfolgen und morden ist immer und ueberall falsch. (Gewalt im Krieg kann das kleinere Uebel sein, aber lassen wir das Fass besser zu.)

    Es ist trotzdem auffaellig, wie seit Anbeginn die meist angebliche, gelegentlich auch reale eigene Verfolgtheit durch Nichtchristen zur Rechtfertigung der eigenen Verfolgungspraxis instrumentalisiert wird. Die Opferzahlen stehen in keinem Verhaeltnis.

    @“Mit Verbrechern im Namen Gottes habe ich nichts zu tun!“ – Wer freiwillig Mitglied der Grosskirchen ist, nutzt deren unrecht erworbenes Gut (e. g. die Profite aus der Zwangsarbeit der NS-Zeit und aus der Heimkinder-Ausbeutung – die Liste laesst sich endlos fortsetzen) und ist dafuer dann auch verantwortlich. Dadurch, dass man es wissentlich weiternutzt und lebenden Opfern Wiedergutmachung verweigert, macht man sich mitschuldig.
    In dem Sinne, wie auch ein Hehler sich strafbar macht, weil er eben wissentlich von Diebesgut profitiert.

    Also: Aus der Kirche austreten, oder fuer den angerechten Schaden mit geradestehen. Alles andere ist mindestens Heuchelei.

  26. Adrian 22. Oktober 2009 um 09:20 #

    @ Born for the USA

    Ich weiß nicht worauf Du noch hinauswillst. Du redest von Moral, ich rede vom Strafrecht. Und ich verstehe auch nicht mehr den Zusammenhang zwischen Bibelstellen und meinem Beitrag, indem es um eine Äußerung der SVP ging.

    Nein, ich bin natürlich nicht dafür, die Bibel zu zensieren. Was mich angeht ist das ein literarisches Werk, das man natürlich in historischem Kontext lesen muss.

  27. Born for the USA 22. Oktober 2009 um 10:54 #

    Und wieder in der Sache ausgewichen – ich werte das als Eingeständnis, dass meine Punkte durchgehen: Kirchen fordern also implizit zum Töten von Homosexuellen auf.

    Dir zufolge sollen sie das auch weiterhin dürfen, da das auf der gleichen Ebene liegt wie Kirchenkritik.

    Gut, damit ist das klar, weitere Diskussion erübrigt sich aus meiner Sicht. Volksverhetzung halte ich nicht für von der Meinungsfreiheit gedeckt, auch nicht, dass sie es sein sollte.

  28. Born for the USA 22. Oktober 2009 um 11:20 #

    Noch zur Sache: Natürlich ist die Bibel nur ein literarisches Werk – im weiteren Sinne: Eine Ansammlung von Geschichten und Legenden mit bestenfalls lockerem Bezug zu realen historischen Ereignissen. Trivialerweise ist der Kontext unverzichtbar, wenn man nachvollziehen will, was da von wem in welchem Zusammenhang mit welcher Absicht behauptet und gefordert wurde.

    Schön, dass einige Christen nach 2 Jahrtausenden da angekommen sind, wo ihre Kritiker schon im 2. Jahrhundert u. Z. waren. In der Wirklichkeit werden aber biblische Lehren und Vorstellungen von Kirchenfunktionären – selbstverständlich willkürlich und selektiv – zur Rechtfertigung aller möglichen Positionen angeführt, mit dem Anspruch der Verbindlichkeit und Vorbildlichkeit, eben weil es „geschrieben steht“.

    Mit dieser Ethik (= Begründung moralischer, hier inklusive straftrechtlicher Grundsätze) lassen sich nicht nur alle möglichen Verfolgungen rechtfertigen, es ist auch immer wieder geschehen.

    Weder für die Verfolgungen noch für die allgemeinen Aufforderungen dazu gibt es in der Geschichte der Schwulenbewegung auch nur ansatzweise ein entsprechendes Beispiel. Deshalb ist Dein Beispiel so daneben – weil die Bedrohten ja das Recht haben, ihre Meinung, nicht verfolgt werden zu wollen, frei zu äußern, müssen sie den Tätern billigerweise das Recht einräumen, zur Verfolgung und Ermordung aufzurufen.

    Non sequitur.

  29. Adrian 22. Oktober 2009 um 15:14 #

    „weil die Bedrohten ja das Recht haben, ihre Meinung, nicht verfolgt werden zu wollen, frei zu äußern, müssen sie den Tätern billigerweise das Recht einräumen, zur Verfolgung und Ermordung aufzurufen.“

    Du hast wahrlich eine blühende Phantasie. Ich habe keine Ahnung, wo Du das herausliest.

    Was erzählst Du mir hier eigentlich? Wenn es Dich glücklich macht, zieh doch los, schnapp Dir einen Haufen Bibeln und verbrenne diese in einem heiligen Akt, um das Übel aus der Welt zu schaffen. Dieses Recht gestehe ich Dir zu. Aber erwarte doch nicht von mir, dass ich Deinen Interpretationen folge.

    Ich sage es jetzt noch mal zum Mitmeißeln: Eine eindeutige, direkte Aufforderung zur Verfolgung und zum Mord aus dem Mund eines Menschen oder einer Organsation ist nicht von der Meinungsfreiheit in meinem Sinne gedeckt. Alles andere schon. Und nein, die Kirchen rufen nicht zum Mord auf, weil sie ein Buch benutzen, in dem was von Lev. 20.13 steht.

    Wenn ich Deiner Argumentation folge, wollen das gesamte Christentum und das gesamte Judentum, und damit alle Christen und Juden, Schwule tot sehen, eben weil sie sich auf die Bibel berufen. Eine solche Argumentation ist, tut mir leid, schlicht und einfach Unfug.

  30. Born for the USA 22. Oktober 2009 um 20:57 #

    Und während in Villa Riba noch fleißig abgewiegelt wird, werden in Villa Bajo wieder Kinder als Hexen ermordet. Nein, natürlich in Nigeria:

    http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2293713

    Hat alles nichts mit Kirche und Bibel zu tun. Die Verfolgung von Homosexuellen in der Ecke auch nicht, ganz klar.

    Wer die Bibel insgesamt anpreist („benutzen“ ist wieder typisches Wieselsprech) und als Richtschnur des Handelns anempfiehlt, empfiehlt eben auch diese eindeutigen, direkten Aufforderungen zum Mord mit. Man kann sich davon distanzieren, die meisten christlichen Kirchen tun das aber nicht. (Die Gleichsetzung mit dem Judentum suggeriert, dass Du die hier durchaus entscheidenden Unterschiede nicht kennst.)

    Natürlich wollen viele Christen keine Schwulen ermorden oder tot sehen. In Europa & Amerika dürfte das die weit überwiegende Mehrheit sein.

    Und?

    Sie können sich ja distanzieren. Und aus Organisationen austreten, die sich nicht distanzieren wollen. Tun ja viele auch. Aber ansonsten gilt der alte Rechtsgrundsatz „Wer schweigt, scheint zuzustimmen“.

    Ganz analog zu Stalin, Mao & Co: Wer heute noch deren Werke und „Visionen“ verherrlicht und für die heutige Gesellschaft undifferenziert zur Nachahmung empfiehlt, rechtfertigt eben auch Gulags und vermeidbare Hungerkatastrophen. Natürlich kann man davon ausgehen, dass die allermeisten Kommunisten niemals Todeslager usw. explizit wollten oder wollen. Sowenig, wie die Hitler-Wähler von 1933 explizit Auschwitz wollten, oder einen zweiten Weltkrieg (gut, ergänzen wir vorsichtshalber: „verlieren“).

    Wer solche Lehren wie die biblischen verbreitet und anpreist, nimmt eben billigend in Kauf, dass ihn jemand beim Wort nimmt. Es ist in der Vergangenheit laufend geschehen – ohne nennenswerte Proteste seitens der Kirchen, im Gegenteil. Es passiert in der Gegenwart. Da eine klare Distanzierung als Mindestbeitrag gegen Rückfälligkeiten zu verlangen – und zu der sind die meisten Christen und insbesondere Kirchenfunktionäre offenkundig nicht bereit – ist völlig berechtigt, kein „Unfug“.

    Klar, der ach so hohe Preis bestünde darin, zuzugeben, dass in der Bibel menschenverachtendes, verabscheuungswürdiges Zeugs steht. Und wer will schon die eigene profitable Geschäftsgrundlage so offen in Frage stellen?

  31. Adrian 22. Oktober 2009 um 22:17 #

    „Klar, der ach so hohe Preis bestünde darin, zuzugeben, dass in der Bibel menschenverachtendes, verabscheuungswürdiges Zeugs steht.“

    Oh man, ist es das was Du hören willst? Okay, bitte: In der Bibel steht menschenverachtendes, veranscheuungswürdiges Zeug.

    Und jetzt?

  32. Born for the USA 23. Oktober 2009 um 00:48 #

    Uje. Vorhergehenden Satz auch lesen: Es geht um jenen Teil der offiziellen Kirchenvertreter, der die Bibel undifferenziert als Grundlage der Gestaltung des Gemeinwesens anempfiehlt. *augenroll*

    Dass Du nicht alt- oder neutestatmentarliche, sondern liberale Grundwerte zur Ausgestaltung des Gemeinwesens einforderst, ist nun wirklich klar. Bei den Großkirchen-Funktionären ist es das nicht. Über 98% bzw. 90% ihrer Geschichte waren beide distinguiert für Verfolgung und Unterdrückung, da wäre eine klare Benennung und Angehen der Ursachen mehr als angebracht. Die Abkehr von der Bibel als Rechtfertigungslage politischer und rechtlicher Forderungen – darum geht es in der Formulierung – daran hakt’s.

    Wenn Du zeigen könntest, dass EKD wie katholische Kirche (bleiben wir bei den 2, klar, es gibt auch mittelständische Religionsanbieter) sich obigem Satz sinngemäß zu eigen machten, insbesondere mit Bezug auf die hier diskutierte Gruppe – Homosexuelle -, dann wäre die in Deinem ursprünglich genannten Beispiel unterstellte Symmetrie einigermaßen hergestellt.

    Machen sie nicht, haben sie nicht.

    Und jetzt?

  33. Adrian 23. Oktober 2009 um 00:58 #

    Du scheinst mich erneut misszuverstehen: Die Ausübung von Meinungsfreiheit ist für mich nicht abhängig von der Symmetrie zweier Aussagen.

    Irgendwie drehen wir uns im Kreise und ich weiß immer noch nicht so richtig, worum es Dir eigentlich geht.

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