Ein bißchen Frieden

5 Dez

Merkwürdig, was manche Berliner auswärts für ein Bild ihrer Stadt zeichnen. So neulich in Österreich, wo es

bei einer Podiumsdiskussion um ein für Österreich neues Thema (ging): ob Angehörige so genannter Minderheiten – um diesen Begriff mit dem unschönen Wortteil „minder“ zu verwenden – einander ablehnend oder gar mit Verachtung gegenüberstehen.

Was ist an „minder“ unschön? Bezeichnet der Begriff nicht einfach etwas als „wenig“ im Verhältnis zu etwas anderem, von dem es „viel“ gibt, das deshalb mit dem Begriff „mehr“ bezeichnet wird? Man kann es mit der Sprachkritik auch übertrieben.

Und was hat man sich darunter vorzustellen, dass sich Angehörige diverser Gruppen ablehnend oder gar mit Verachtung gegenüberstehen? Interessanterweise bei zwei Gruppen etwas qualitativ völlig anderes:

Konkret ging es um Einwanderer und Homosexuelle. Die Nachricht, dass es Zorn und Misstrauen zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen gibt , kam aus Berlin.

Zorn und Misstrauen? Was war passiert in Berlin? Gab es gegenseitige Verletzungen, Angriffe, Tätlichkeiten?

Dort, so schilderte Tülin Duman, von GLADT, eines Vereins von Lesben und Schwulen mit türkischem Hintergrund in Deutschland, werde über Pöbeleien, ja Gewalttaten junger, vor allem muslimischer Einwanderer gegen Schwule und Lesben berichtet. Innerhalb der schwullesbischen Szene gebe es daher „Wehrt Euch!“-Aufrufe und zunehmend sogar Stimmen , nicht mehr in türkischen Geschäften einkaufen zu gehen – mit all den unang e nehmen zeitgeschichtlichen Assoziationen an, die das mit sich bringt .

Ich kenne niemand, der solche Forderungen erhebt. Wenn es jemand täte, wäre die Forderung als unqualifiziert und undifferenziert zurück zu weisen.

Vielleicht aber ist das alles sowieso eher ein ökonomisches Problem – so ein offenbar immer noch nicht ausgestorbener linker Ladenhüter. Obwohl die Situation in Wien auch nach der Lektüre des Absatzes unklar bleibt:

In Wien, so schilderte Wolfgang Wilhelm von der Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen der Stadt, habe es vereinzelt ebenfalls schon derartige Klagen gegeben. Bei näherem Hinschauen jedoch habe sich meist herausgestellt, dass der Unfrieden andere Ursachen hatte. Etwa Lärmbelästigung durch kinderreiche Einwandererfamilien im Gemeindebau, die jedoch weniger den zu lauten „Ausländern“ an sich, sondern vielmehr zu dünnen Wänden geschuldet waren. Von den Beteiligten seien sie zum Ausländer-Homosexuellenproblem umgedeutet worden, so wie überhaupt handfeste ökonomische Konflikte oder Streit um Ressourcen fälschlicherweise gern auf Kulturelles reduziert werden..

Wer hat sich hier weshalb worüber beklagt? Bewohner gleichgeschlechtlicher und transgender Lebensweisen (sagt man das so? Bewohner?) haben sich über Diskriminierung aufgrund ihrer Lebensweisen beklagt, durften sich dann aber belehren lassen, dass das Problem in Wirklichkeit eines zu dünner Wände sei? So etwa? Staatliche Antidiskriminierung ist ganz schön kompliziert und irgendwie speziell. Immerhin können wir alle etwas für eine bessere Welt tun:

Bleibt die Frage der Wortwahl. Hier kam bei der Podiumsdiskussion die Sache mit dem Favoritner Rapper Ramses zur Sprache. Ein Sohn iranischer Einwanderer, in dessen Texten die Wörter „schwul“ , „Schwuchtel“ etc. einen nicht unbedeutenden Rolle spielen. Im März 2009 war Ramses im Club 2 aufgetreten und hatte seine Negativausagane über Schwule wiederholt. Später meinte er im Interview mit Ivana Martinovic, Redakteurin der Zeitschrift Biber, es so nicht gemeint zu haben. Nicht wirklich überzeugend, selbst wenn man mitbedenkt, dass – sozusagen auf der Gegenseite – in Österreich der Ausdruck „Tschusch“ schon zum Allgemeinschimpfwort geworden ist . Zu einem Ausdruck, der situationsbedingt auf alle zu passen scheint, die man momentan gerade aus irgendeinem Grund nicht mag. Ob aufstachelnde „Schwuchteln“ oder „Tschuschn“: Im Alltag tut verbale Abrüstung Not!

Schön langsam: Ein Sohn iranischer Einwanderer, der „Schwuchtel“ als Schimpfwort verwendet, bekommt ein wenig Verständnis dafür, weil die Gegenseite, wer immer das sein soll, einen ausländerfeindlichen Begriff verwendet. Das mit dem Verständnis können Sie im Text nicht erkennen? Was sonst soll denn die Formulierung selbst wenn man mitbedenkt suggerieren? Wenn einer da zurück schlägt, verbal versteht sich, müssen die Schwulen eben dran glauben. Einer muss ja der Depp sein. Auch wenn es nicht nett ist von dem Rapper, das musste jetzt auch mal gesagt werden. Und in Zukunft sind wir alle ein wenig braver: Die Rapper beleidigen keine Schwulen mehr, die Gegenseite behält ihre Ausländerfeindlichkeit für sich. In Österreich.

Nur in Berlin bleibt alles beim Alten: Irgendwo müssen junge, vor allem muslimische Einwanderer ja hin mit ihrer Wut. Und so werden Schwule verprügelt und halten die Schnauze. Man will sich schließlich keine Islamophobie Ausländerfeindlicheit vorwerfen lassen.

4 Antworten zu “Ein bißchen Frieden”

  1. fatalfraktal 6. Dezember 2009 um 21:18 #

    Es entspricht einfach meinen Erfahrungen in Berlin:

    Pöbeleien und Androhung von Gewalt erlebte ich ausschließlich durch männliche Jugendliche und Erwachene mit Migrantenhintergrund, wie es so schön heißt. Schon die Frage mit dem entsprechend abwertenden Tonfall aus dem Mund eines türkisch- oder arabischstämmigen Jugendlichen werte ich als Bedrohung.

    Nicht, dass es mir lieber wäre, es wären deutschstämmige Männer, die mich bedrohten.

    Was man dagegen tun kann? Keine Ahnung. Im individuellen Bedrohungsfall halte ich dagegen und drohe zurück. Bin zum Glück nicht gerade schmächtig. Spass macht das nicht!

    Vielleicht sollte man in den Schulen so manchem muslimischen Jugendlichen die entsprechenden orthodoxen homofeindlichen Grundlagen austreiben. Das wäre vielleicht ein erster Schritt.

  2. fatalfraktal 6. Dezember 2009 um 21:20 #

    P.S.: Mit der Frage in meinem vorherigen Kommentar meinte ich nachtürlich: Bist Du schwul oder was?!

  3. bastard_007 6. Dezember 2009 um 23:24 #

    „Ich kenne niemand, der solche Forderungen erhebt. Wenn es jemand täte, wäre die Forderung als unqualifiziert und undifferenziert zurück zu weisen.“ –> Wohl lange nicht mehr aus gewesen in der schwulen Szene…

  4. Adrian 6. Dezember 2009 um 23:49 #

    „Wohl lange nicht mehr aus gewesen in der schwulen Szene…“

    Offensichtlich nicht in der, in der Du verkehrst.

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