… verliert sich die Welt in den scheinbaren Widersprüchen des 21. Jahrhunderts. Anlass ist eine Debatte, die in der Union noch gar nicht so richtig stattfindet, ganz im Gegensatz zu der für ihre reichhaltige Debattenkultur berühmten Sozialdemokratie übrigens. Bei den Konservativen kam die Diskussion lange nicht in Gang, weil sie, wie man weiß, so viel Angst vor Veränderung haben, dass sie nur den Gedanken daran schon ganz schrecklich finden. Doch zum Glück outete sich Jürgen Rüttgers als letzter Kommunist ideologischer Besitzstandswahrer, besserer Sozialdemokrat und grüner Ethikapostel zugleich und forderte in dialektischer Tradition nach der erfolgten Anhebung des Schonvermögens für Hartz IV-Bezieher
im Interview mit der „Rheinischen Post“ eine „wertegebundene statt einer materialistischen Politik“.
Und die erkennt man, so die Welt, daran, dass sie konservativ ist. Doch was ist das eigentlich? Erstes Suchergebnis bei der Welt:
Nehmen wir etwa Kristina Köhler, die 32-jährige Familienministerin. Einerseits kommt sie aus dem hessischen „Stahlhelm“-Landesverband, profilierte sich als aggressive Verfolgerin von Rot-Grün, als scharfe Kritikerin des fundamentalistischen Islam und mit der Forderung, die staatlichen Programme gegen Rechtsextremisten auch auf Linksextremisten anzuwenden. Gute, alte rechtskonservativ Positionen,
Muss man, um den fundamentalistischen Islam zu kritisieren, tatsächlich rechtskonservativ sein? Trägt jede Hessin einen Stahlhelm? Gibt es jenseits von rot-grün nur schwarz? Ist die Ablehnung von Rechts- und Linksextremismus einzig eine rechtskonservative Position? Merkwürdigkeiten am laufenden Band… auch was den Sexismus von Linken betrifft, die Köhler nicht etwa als Frau, sondern als Mädchen kritisieren:
aber Alfred Dregger wurde doch nicht in Mädchengestalt wiedergeboren, wie linke Kritiker in Hessen gewitzelt hatten.
Doch vertiefen wir unseren Einblick in diesen eher schlicht gestrickten, übersichtlichen Denkhorizont noch ein wenig:
Die forsche Frau kam nicht nur unverheiratet und kinderlos ins Familienministerium, sondern brachte als persönlichen Referenten den Vorsitzenden der Berliner LSU, der Homosexuellenvereinigung der Union, mit.
Homosexuellenvereinigung. Klingt lustig, oder? Wie man sich ein Treffen der Vereinigung wohl vorzustellen hat. Lassen Sie Ihrer Phantasie einfach freien Lauf. Kleiner Tipp: Frauen kommen so gut wie gar nicht vor in dieser Vereinigung. Der Grund ist allerdings umstritten. Nicht im geringsten umstritten ist unter Linken, dass die Herren von der LSU böse, weil konservativ sind. In der Welt scheint das noch nicht angekommen zu sein. Weshalb sonst würde die Tatsache so betont, dass der LSU-Vorsitzende persönlicher Referent von Köhler ist? Was daran, also an der Homosexualität oder am Vorsitz einer Homosexuellenvereinigung, die nicht mal so heißt, sondern „Lesben und Schwule in der Union“, nicht konservativ sein soll, wird in der Welt nicht erklärt. Versteht sich doch von selbst, mag sich der Qualitätsjournalist gedacht haben. Aber ist das Problem nicht sowieso ein gesamtgesellschaftliches?
In einem Umfeld aus feministischen Bischöfinnen, homosexuellen Islamkritikern, grünen Unternehmern und sozialdemokratischen Modernisierungsverlierern fällt die Antwort, wer und was konservativ ist, schwer.
Warum das? Egal, versuchen wir es einfach mit einem Beispiel. Vielleicht ist konservativ
ein Genscherismus, der die Welt nimmt, wie sie ist, und auch mit Diktaturen redet und Geschäfte macht?
Oder doch eher einer, der die Welt erhalten will, wie sie ist und deshalb die Energiewende propagiert. Oder vielleicht beides auf einmal? Oder doch etwas ganz davon verschiedenes? Kurz gesagt: Sind wir nicht alle ein bißchen konservativ?
wie erfrischend! vielen dank für diesen text und viele vorherige und weitere. la fan, die.tipse