Blasphemie: Original und Fälschung

8 Apr

IdeaSpektrum-Chef Helmut Matthies ist entsetzt (Spektrum 14/2010):

wer je geglaubt hat, alle Tabus seien schon gebrochen, erlebte zum Osterfest, dass er sich getäuscht hat. Hunderttausendfach prangt an Kiosken oder in Buchhandlungen das Titelblatt eines Magazins, auf dem in Großaufnahme zu verstehen gegeben wird, dass sich ein Geistlicher am Geschlechtsteil von Jesus Christus zu schaffen macht, während der Heiland der Welt auf schlimmste Weise stirbt: Er verreckt am Kreuz. Sex mit dem sterbenden Jesus – das war bislang geradezu undenkbar.

Nicht ganz, Herr Matthies. Als aufmerksamer GayWest-Leser wüßten Sie, dass es bereits im Jahre 2007 einen Pornofilm über das Leben Jesu gab. Im Übrigen bringt der Titanic-Titel die Ungeheuerlichkeiten der letzten Wochen doch bestens auf den Punkt. Oder war es nicht Jesus, der gesagt hat:

Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

Mir ist das Motiv der Titanic-Redaktion für die Titelentscheidung herzlich egal. Tatsache ist, dass der Titel in kaum zu überbietender Deutlichkeit illustriert, das sexueller Kindesmissbrauch durch Geistliche ein Verstoß gegen das Liebesgebot Jesu ist. Anders gesagt: Wer Kinder sexuell ausnutzt, schlägt Jesus erneut ans Kreuz und genießt das obendrein. Warum eigentlich soll das nicht dargestellt werden dürfen? „Blasphemie“ nennen Sie die Darstellung. Aber ist die eigentliche Blasphemie nicht eben der sexuelle Missbrauch von Kindern, überhaupt von geistlicher Macht für egoistische und weltliche Zwecke? Oder bin ich da bei Ihnen an der falschen Adresse mit der Idee, Jesu Reich sei „nicht von dieser Welt“? Sie haben sich schließlich seit langem schon ziemlich weltlich engagiert, wenn auch anders orientiert, als die von Ihnen gerne gescholtenen linken und liberalen Theologen. Als Mitglied und Vorstand der Evangelischen Notgemeinschaft in Deutschland beispielsweise, die immer wieder durch – vorsichtig formuliert – geringe Berührungsängste gegenüber Nazis auffiel. Beispiele gefällig für die Übelkeit erregende Rhetorik der Gemeinschaft?

Zur Einführung der Doppelten Staatsbürgerschaft 1999 erklärte die Notgemeinschaft, dass dies „zur Überfremdung und Selbstaufgabe unseres Volkes und Vaterlandes“ führe.

Wenig verwunderlich, Herr Matthies, ist dann auch die Annahme des in Kooperation mit der „Jungen Freiheit“ verliehenen Gerhard-Löwenthal-Preises durch Sie. Die Laudatio hielt Rolf Sauerzapf, der nicht nur zur Evangelischen Notgemeinschaft gehört, sondern auch zu dem die südafrikanische Apartheids-Politik bis heute glorifizierenden Hilfskomitee Südliches Afrika.

Mal sehen, wann Sie uns erklären, dass „Rassenschande“ ebenso blasphemisch ist wie die „Selbstaufgabe von Volk und Vaterland“. Zwar weiß ich nicht, was das dann noch mit der Botschaft von Jesus Christus zu tun hätte, frage mich das andererseits bei Ihren Beiträgen schon lange …

11 Antworten zu “Blasphemie: Original und Fälschung”

  1. hessemonk 9. April 2010 um 16:25 #

    Aber ist die eigentliche Blasphemie nicht eben der sexuelle Missbrauch von Kindern, überhaupt von geistlicher Macht für egoistische und weltliche Zwecke? <– das würde ein Prophet Amos wahrscheinlich nicht treffender formulieren, da gebe ich Ihnen Recht.
    Dennoch war ich schockiert vom Titel der Titanic. Ich habe so etwas noch nie gesehen und fand es sehr schlimm.
    Ich glaube, dass Kirche – Gott sei Dank – Kritik und Satire verträgt. Aber wo ist die Grenze? Ich finde, dass der am Kreuz sterbende Gottessohn ein Tabu darstellt, da diese Plastik seit über 1000 Jahren Zentrum unseres Glaubens ist.
    Es gab andere Karikaturen mit Bischöfen und Kindern, die ich irgendwie akzeptieren kann. Aber das?! LG

  2. martin 10. April 2010 um 09:37 #

    Was hättest Du, Damien, wohl gesagt, wenn nicht Priester auf diesem Titelbild – vorsichtig gesprochen – karikiert würden, sondern z.B. Homosexuelle? Wird gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit irgendwie „besser“, nur weil sie auf dem Titelblatt eines Satiremagazins erscheint?
    Nein, ich halte nichts von Blasphemie-Verbotsgesetzen und dgl. Aber auch Satire wird, wenn sie mit Wahrheit nichts mehr zu tun hat, schlicht widerwärtig. Das ist kein juristisches Problem, sondern ein moralisches, denn schließlich sollte sich jedes Mitglied einer pluralistischen Gesellschaft einigermaßen so verhalten, dass ein friedliches Zusammenleben gewährleistet bleibt. Das geschieht aber nicht, wenn man absichtlich Dinge herabwürdigt, die für das Leben vieler Menschen großen Wert besitzen. Falls das Titanic-Titelbild stattdessen insinuiert hätte, Schwule seien Kinderschänder, könnte ich da keinen Unterschied erkennen.

    • Damien 10. April 2010 um 11:41 #

      @Martin: Noch einmal: Die eigentliche Herabwürdigung liegt für mich im sexuellen Missbrauch von Kindern durch Geistliche und dessen Bagatellisierung und Vertuschung durch die Kirche. Das bringt das Titanic-Cover für mich auf den Punkt. Das moralische Problem haben für mich an dieser Stelle die Priester, die ihre Position und das in sie gesetzte Vertrauen missbraucht haben. Auch das ein friedliches Zusammenleben gewährleistende Verhalten haben die Täter nicht an den Tag gelegt. Warum Du nun Menschen, die dies kritisieren, Unmoral vorwirfst, Menschenfeindlichkeit, Widerwärtigkeit, Störung des friedlichen Zusammenlebens, Herabwürdigung, etc., das kann ich nicht nachvollziehen.

  3. martin 10. April 2010 um 14:13 #

    @ Damien: Das macht die Sache natürlich gleich viel besser, dass die Priester noch viel übler sind. Entschuldigung, aber „kritisiert“ wird mit diesem Cover gar nichts, es wird nur einmal mehr Auflage gemacht mit den üblichen antikatholischen Ressentiments. Damit ist man freilich in guter Gesellschaft.
    Im Übrigen sind Priester, die ihre Schützlinge sexuell missbrauchen, Verbrecher, nicht bloß Leute, die sich unzivilisiert aufführen. Wenn überhaupt bewegt sich Titanic allenfalls auf dem Niveau derjenigen Bischöfe und Laien, die die Schuld am sexuellen Missbrauch von den Tätern auf die sexuelle Revolution oder dergleichen verlagern, und damit natürlich auf der Höhe der Debatte. Denn um sexuellen Missbrauch geht es ja sowieso nicht.

    • Damien 10. April 2010 um 15:42 #

      Lieber Martin, „besser“ macht das natürlich gar nichts. Ich habe bereits in meinem Beitrag geschrieben, dass mir das Motiv der Titanic-Redaktion für Ihr Cover egal ist. Die Aufregung über das Cover finde ich übertrieben und kann sie, auch als Christ, nicht nachvollziehen. Lustig gemacht wird sich doch über die Priester und nicht über Jesus. Und eben dafür haben Priester eine ziemliche Steilvorlage geliefert.
      Wenn sich die Titanic auf der Höhe der Debatte bewegt, sollte man ihr das nicht vorwerfen. Jedenfalls nicht mehr als den mitdiskutierenden Bischöfen und Laien.
      Wenn Jesus auf dem Cover nicht am Kreuz zu sehen wäre, sondern entspannt in einer Hütte liegen würde und den Priester vor sich hätte, fände ich die Darstellung nicht im geringsten empörend. Sex ist schließlich für Menschen nichts ehrenrühriges, nicht mal, wenn er mit einem Priester vollzogen wird. ideaSpektrum jedoch, da bin ich ziemlich sicher, würde sich genauso aufregen wie bei der jetzigen Darstellung.

  4. martin 10. April 2010 um 17:16 #

    Lieber Damien, mir ging es aber gerade um das Motiv der Titanic-Redaktion. Übrigens möchte ich betonen, dass ich mich hier weniger als Christ, denn als Bürger aufgeregt habe. Als Christ bin ich vielmehr der Überzeugung, dass ein Mehr an Demut und ein Weniger an moralischer Arroganz nicht schaden könnte. Und ja, über Jesus selbst wird sich nicht lustig gemacht – womöglich könnte man eher sagen, dass er stellvertretend in allen Missbrauchsopfern missbraucht wird. Aber, wie Du weißt, sind für Katholiken Priester nicht bloß irgendwelche verbeamtete Gläubige.
    Du hast insofern recht, dass es die Titanic auch nicht schlechter steht als um den Rest der Debatte. Sie ist mir gewissermaßen zum Opfer gefallen. Du darfst also davon ausgehen, dass ich sie hier stellvertretend für all das, was sonst im Argen liegt, gekreuzigt habe.
    Um aber noch einmal auf Bürgertugend zurückzukommen: Ob Du der Meinung bist, dass Sex für Menschen und auch für Jesus nicht ehrenrührig sei, ist nicht anders zu beurteilen, als wenn sich ideaSpektrum darüber aufregen würde. Ich halte es schlicht nicht für richtig, die Provokation von Mitmenschen wie einen Selbstzweck zu behandeln. Denn dass es hier um etwas anderes als die publizistische Selbstbefriedigung auf Kosten anderer ginge, das braucht mir niemand zu erzählen. Steilvorlage hin oder her – an Anlässen hat es noch nie gemangelt.

  5. Carsten Penkella 12. April 2010 um 13:45 #

    Kinderschänder gibt es überall, auch unter homosexuellen Männern.

  6. Damien 12. April 2010 um 20:35 #

    Und, was hat das mit dem Thema des Beitrags zu tun?

  7. Carsten Penkella 12. April 2010 um 22:38 #

    Ein Stichwort zum Beitrag lautet: Sexueller Kindesmissbrauch. Den gibt es in der katholischen Kirche. Aber nicht nur dort.

  8. Damien 12. April 2010 um 23:37 #

    Ihre Feststellung scheint auf der Idee zu beruhen, in der katholischen Kirche gebe es keine homosexuellen Männer. Merkwürdige Idee. Und immer noch ist mir nicht ganz klar, wo Ihr Kommentar einen sinnvollen Gedanken in der Diskussion meines Beitrags hinzufügt. Schließlich erfaßt kein Beitrag die ganze Wirklichkeit, sondern immer nur einen Teil daraus. Wenn ich also über schwule Fußballspieler schreibe, wäre ein Verweis Ihrerseits, es gebe auch schwule Handballspieler, oder heterosexuelle Schwimmer zwar nicht verkehrt, aber ziemlich überflüssig. Ähnlich verhält es sich mit Ihrem Kommentar. Oder habe ich behauptet, dass es Kinderschänder nur in der katholischen Kirche gebe oder nicht unter homosexuellen Männern?

  9. martin 20. April 2010 um 11:14 #

    Lieber Damien,
    ich möchte meine hier geäußerte Meinung in Teilen revidieren: Zwar bin ich immer noch kein Freund von Katholiken-Bashing im Allgemeinen und Priester-Bashing im Besonderen, und ich auch weiterhin nicht viel von selbstzweckhafter Provokation und Debatten-Hysterisierung , allerdings bin ich nach einigem Nachdenken zu dem Schluss gekommen, dass das bei dem Titanic-Cover so nicht gegeben ist. Du hast insofern Recht: den Gekreuzigten schändet, wer Kinder schändet. Und ihn schändet obendrein, wer missbrauchte Kinder zu politischen Zwecken gleichsam nochmals missbraucht, indem er den Pädophilie-Skandal zu einem Homosexualitäts-Skandal stilisiert. Deshalb trifft das Titanic-Cover sogar den Nagel auf den Kopf.

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