Der weiße Mann und wir – Ein Gentleman bittet um Nachsicht

9 Apr

Der Reggaesänger Gentleman ist wütend. Zumindest ein bisschen. Wegen der Homos? Na ja, nicht ganz. Wegen der Homophobie im Reggae? Nein, auch nicht so recht. Auf jeden Fall ist er wütend. Warum? Hmmm, schwierig. Auf jeden Fall geht es um Jamaika, Reggae und Schwulenhass:

Die Debatte ist meiner Meinung nach aus dem Ruder gelaufen. Sie hat ein Level erreicht, wo Anschläge mit Buttersäure verübt werden. Oder wo ein Volker Beck durchsetzt, dass bestimmte Künstler kein Einreisevisum mehr bekommen. Es geht dabei nicht nur um Sizzla – da wird ein ganzes Genre kriminalisiert. Ich glaube, die Musik hat davon schon jetzt einen unfassbaren Schaden abbekommen. Da steht eine riesige Lobby gegen eine kleine Szene. Und das macht mich wütend.

Es ist also der Mitleidseffekt gegenüber kleinen Minderheiten – in diesem Fall der Reggae-Szene – die in Gentleman die Vaterinstinkte wecken und das Gefühl der Solidarität gegenüber den Sangeskollegen, auch wenn man sich nicht mit allem einverstanden zeigt, was diese tun. Aber eines muss man mal sagen, das ein ganzes Genre kriminalisiert wird, das geht nun wirklich nicht, was die Homos sich hier erlauben, das geht nun wirklich zu weit: Buttersäure und Einreiseverbote, und dann nimmt auch noch die Musik Schaden. Die Homos treiben es nun wirklich zu weit mit ihren Protesten!

Doch halt! Ist es nicht richtig, gegen mörderische Homophobie zu demonstrieren, die sich in den Texten von Sizzla und anderen Knallchargen Ausdruck verleiht?

Ja, aber wir reden hier von einer anderen Kultur. Ich kann ja auch nicht Kondomautomaten im Vatikan aufstellen. Oder im Iran gegen Kopftücher protestieren. Genauso wenig kann ich etwas gegen die Homophobie auf Jamaika tun.

Ach, das kann man also alles nicht? Merkwürdig. Das müssen die hiesigen Spötter des Papstes einerseits und die zumeist jugendlichen Demonstranten gegen das iranische Regime andererseits völlig übersehen haben. Dabei müssten sie nur auf Gentleman hören: Ihre Aktionen bringen nichts, man kann den Vatikan nicht ändern, man kann das iranische Regime nicht verändern und genauso wenig kann man was gegen die Homophobie auf Jamaika tun. Das macht zwar alles keinen Sinn, denn wenn man dieser Annahme folgt, gäbe es die DDR oder den Paragrafen 175 noch, aber Gentleman weiß es nun mal besser. Immerhin geht es bei Jamaika um eine andere Kultur. Und andere Kulturen sind nun mal heilig und unantastbar.

Ich distanziere mich ganz klar von jeder Homophobie. Und ich finde auch manche Lyrics völlig unverantwortlich, die kann man nicht bringen. Aber natürlich hat auch jeder das Recht zu sagen, dass er Homosexualität nicht okay findet oder dass er das mit seinem Glauben nicht vereinbaren kann. Mein Vater ist evangelischer Pastor, der hält das auch nicht für von Gott gewollt.

Natürlich hat jeder das Recht zu sagen, dass man Homosexualität nicht okay findet, aber genau so gut kann man dagegen argumentieren und ganz gewiss kann man gegen Sizzla und Co demonstrieren.

Der Papst sagt das Gleiche wie ein Sizzla, nur in einer anderen Form.

Was natürlich Quatsch ist, denn der Papst hat noch niemals zu Gewalt und Mord gegen Schwule aufgerufen, nicht mal „metaphorisch“, so wie es in den Liedern von Sizzla und Co dutzendfach geschieht. Aber natürlich ist es eine Sache den Papst zu kritisieren und eine ganz andere, jamaikanische Reggae-Künstler zu tadeln. Denn der Papst ist immerhin ein Weißer, ein Bibelschwinger obendrein, und muss demnach mit anderen Maßstäben gemessen werden, nicht wahr?

Die Frage ist, wo kommt die Homophobie her? Der weiße Mann hat die Bibel nach Jamaika gebracht. Diesen Gedanken sollte man sich mal machen.

Ja, und heute dürfen in vielen Ländern des weißen Mannes Schwule und Lesben Partnerschaften eingehen, zuweilen gar heiraten, sich dort freier bewegen, als anderswo. Wieso bekommen die Jamaikaner das bloß nicht hin, wenn sie doch so vom weißen Mann geprägt sind?

Was mich stört, ist diese Doppelmoral. Manche Rapper, die genauso schwulenfeindlich sind und in ihren Texten Frauen verprügeln, werden gesellschaftlich anerkannt. Oder eine NPD, die auf der Straße ihre Parolen brüllt, wird dafür auch von meinen Steuern finanziert. Und gleichzeitig landen irgendwelche Reggae-Platten auf dem Index. Das macht für mich keinen Sinn.

Das macht natürlich wirklich keinen Sinn. Viel besser wäre es selbstverständlich, die Steuerfinanzierung für sämtliche Parteien abzuschaffen. Dann hätte man nämlich auch Gelder frei, um hierzulande endlich eine Frauenbewegung zu gründen, damit endlich mal jemand das Thema Gewalt gegen Frauen zur Sprache bringt, jene Gewalt also, die momentan ja gesellschaftlich voll anerkannt wird…

Wenn ich mir heute Texte von Sizzla, Bounty Killer oder Buju Banton anschaue, die sind nicht mehr so krass, wie sie in den Neunzigerjahren mal waren. Den Künstlern ist klar: Wir kommen damit nirgendwohin, wir handeln uns nur Auftrittsverbote ein. Mittlerweile hört man auch auf Jamaika im Radio keine homophoben Texte mehr, und die Promoter achten genau auf das, was da gesungen wird. Reggae ist ja ein internationales Ding geworden, durch die Globalisierung und das Internet.

Verdammt, haben die Proteste des weißen Mannes jetzt doch die jamaikanische Kultur verändert, und das obwohl das doch eigentlich gar nicht machbar ist, wie uns Gentleman gerade eben noch erklärt hat?

Also, nicht wirklich, denn da muss man jetzt differenzieren:

Man ist vorsichtiger in der Wortwahl. Aber im Kern haben sich die Überzeugungen nicht geändert. Homosexualität gilt auf Jamaika als absolute Sünde. „God made Adam and Eve, not Adam and Steve“, diesen Spruch hört man dort immer wieder. Und nicht nur auf Jamaika. Ich bin ja viel in der Welt unterwegs, in Afrika oder Asien. Wir, die Homosexualität akzeptieren, sind weltweit gesehen eine Minderheit.

Und wäre das nicht ein Ansporn, Dinge zu ändern, auf dass aus der Minderheit eine Mehrheit wird?

Ja, aber das funktioniert so nicht. Auch diese Unterschriftenaktionen oder Petitionen haben keinen Sinn. Das ist eine feste Überzeugung, die in Jamaika auf der Bibel gründet und die dort sogar gesetzlich geschützt ist.

Man stelle sich Gentleman in den späten 60er Jahren vor, wie er vor den ersten Schwulengruppen auftritt und ihnen erklärt, dass ihre Mission eh hoffnungslos ist, weil man nun mal gegen eine feste gesellschaftliche Überzeugung anzugehen versucht, die auf die Bibel gründet…

Und überhaupt: Es muss endlich Schluss sein mit diesen Interpretationen, was jamaikanisches Liedgut angeht. Der weiße Mann muss endlich begreifen, dass er die Symbolik des Reggae einfach nicht checkt:

Aber einen Reggae-Text einfach eins zu eins ins Deutsche zu übersetzen, das funktioniert nicht. „Fire burn“ zum Beispiel ist eine Metapher, die häufig vorkommt im Reggae, auch Bob Marley hat sie oft benutzt. Das heißt nicht wörtlich, dass man Leute anzünden soll. Das heißt so viel wie: Ich bin dagegen. I bun this. Da wird eine fremde Symbolsprache missverstanden. Und ich habe es noch nie erlebt, dass Leute nach einem Konzert auf die Straße gehen und Homosexuelle angreifen – so wie das jetzt dargestellt wird.

Was natürlich nicht heißt, das Homosexuelle auf Jamaika nichts zu befürchten hätten. Aber mit Reggae hat das nichts zu tun. Versprochen:

Natürlich wird da eine Aggression an Minderheiten ausgelassen, die gesetzlich keinen Schutz genießen. Im Gegenteil: Homosexualität wird auf Jamaika mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft. Und natürlich stört mich das: Jeder Übergriff ist einer zu viel. Aber im Schnitt kommt das auf Jamaika nicht häufiger vor als, sagen wir, in Russland oder im Iran.

Das mag so sein, heißt doch aber nichts andere, als das Jamaika genauso ein beklopptes Land ist, wie der Iran und Russland und das jeder so sein eigenen Motive hat, Homosexuellen ans Bein zu pissen.

Als sich die Ersten [Homosexuellen] dort [in Jamaika] geoutet haben, fand ich das sehr mutig und dachte: na endlich! Und ich hoffe auch, dass sich das irgendwann mal ändern wird. Aber ich glaube nicht dran. Weil sie da sehr radikal sind, im Vergleich zu westlichen Ländern.

Andererseits ist Radikalität ja auch ein Zeichen von tiefer Gläubigkeit und Spiritualität. Sizzla z. B., ist voll der gute Kumpel:

Ja, Sizzla ist ein Freund von mir. Er gehört zu den Leuten, mit denen ich mich immer treffe, wenn ich in Kingston bin. Ich stimme mit ihm in diesem Punkt zwar überhaupt nicht überein und habe auch schon mit ihm viele Diskussionen gehabt: Wie kannst du nur solche Texte schreiben? Aber da läufst du gegen eine Wand.

Dabei sollte Gentleman doch wissen, dass solche Diskussionen überflüssig sind, weil andere Kulturen nun mal nicht zu ändern sind. Denn merke: Der weiße Mann kann mit seiner Bibel zwar die Homophobie nach Jamaika bringen, aber die Homo-Ehe dort zu etablieren, das kann er einfach nicht schaffen.

Wo kämen wir andernfalls auch hin?

5 Antworten zu “Der weiße Mann und wir – Ein Gentleman bittet um Nachsicht”

  1. martin 9. April 2010 um 19:58 #

    „God made Adam and Eve, not Adam and Steve“ – dabei wird sich der Herr gewiss etwas gedacht haben. Möglicherweise wollte er verhindern, dass es mit Adam und Steve sein Bewenden hat und die Menschheit kurz nach ihrer Erschaffung gleich wieder endet. Nur sind wir ja alle weder Adam, Eve oder Steve und um den Fortbestand des Menschengeschlechts müssen wir uns auch keine Sorgen machen. Außerdem wurde Eve bekanntlich aus Adams Rippe geschaffen, was dem heterosexuellen Geschlechtsverkehr einen eigenartigen Beigeschmack verleiht.

  2. Harlenberg 10. April 2010 um 16:05 #

    Viele Krankheiten werden diskriminiert. Dabei handelt es sich besonders um Infektionserkrankungen, die aus Ängsten vor Ansteckung diskriminiert werden. AIDS, z.B. ist letztendlich durchaus eine schlimme Erkrankung, und wird diskriminiert. Niemand wird einem Infizierten eine Stelle, oder ein Zimmer geben.

  3. neglectable 10. April 2010 um 18:13 #

    Wenn „Eve bekanntlich aus Adams Rippe geschaffen“ wurde, martin, verleiht es immerhin einen angenehmen, „eigenartigen Beigeschmack“.

  4. Culture 31. Januar 2013 um 04:34 #

    Auch wenn der Blogeintrag eine gefühlte Ewigkeit her ist, wollte ich ihn dennoch kommentieren und an erster Stelle meine Bewunderung für die Reflexion des Gesagten zum Ausdruck bringen und Mut und Kraft wünschen. Der Streitpunkt der unantastbaren oder schützenswerten fremden Kultur ist ist allerdings nicht so einfach abzutun. Ja, so wie es Gentleman darstellt, darf es auf keinen Fall hingenommen werden. Ich glaube, dass es sehr wohl möglich ist die Schwulenfeindlichkeit auf Jamaica und andernorts endgültig aufzuklären. Denn nichts anderes ist Schwulenfeindlichkeit in Bezug auf Rastafarismus und die jamaikanische Gesellschaft: ein fundamentales Missverständnis, oder klarer ausgedrückt eine Verirrung in den Gedanken und Prinzipien auf denen Rasta Livity (die Lebenspraktik Rastafarismus, die auf jeden Fall eine Philosophie und keine Religion darstellt) fußt:
    1. Gleichheit der Menschen vor Gott
    – sicherlich als Folgerung der Idee und Vorstellung Garveys und Howells, dass Jesus als schwarzer Mensch in Gestalt des „King of Kings“ und König Afrikas wiedergeboren würde (Ras Tafari Makonnen/Haile Selassi) und damit die Herrschaft der weißen Menschen über die Versklavten und Kolonialisierten endgültig beenden würde um das gelobte Land des Friedens (Ethiopia = Zion) zum Erblühen zu bringen.
    -> Eine Metapher für die Gleichwertigkeit jedes Einzelnen Menschen unabhängig von Rasse und Hautfarbe (und übrigens war weder bei Garvey noch bei Howell die Rede von sexueller Orientierung und deren Einschränkung)
    2. Der Diesseitsbezug
    – der Körper ist mein Tempel, es gibt keine Kirche, das Göttliche ist ein Teil von mir „I and I“ als Teil der heiligen Dreifaltigkeit
    – Die Erde ist das Paradies („Der Himmel auf Erden“) und unsere Anwesenheit, unser Leben soll erfüllt sein.
    – Spiritualität erbaut keine Dogmen, dafür führen Rituale (Shabat = der Ruhetag, Ital Food, Ital Ingrediants = vegetarische Ernährung, keine Salze oder Gewürze, keine Drogen außer Marihuana in kleinen Mengen zur Beruhigung des Geistes) zu einer fördernden Form der Meditation.
    3. Respect Mother Earth
    – ein Leben in Einklang mit der Natur und nach den Gesetzen der Natur

    Diese Grundlagen sind praktisch die Basis auf denen die Praktiken der einzelnen Manisons (Häuser), wie 12 Tribes of Israel, Nyabinghi und Bobo Ashanti fußen. Alle Manisons haben weitere eigene „Geschichten“ und Legenden und einen mehr oder weniger starken Bezug zur Bibel. Es ist sehr wichtig klarzustellen, dass die Entlehnung des Verbots homosexueller Handlungen aus der Bibel stammt und in unterschiedlichen Manisons unterschiedlich stark Vertreten wird. Bobo Ashanti, denen sich zum Beispiel die negativ in Erscheinung getretenen Sänger Capleton, Sizzla und Anthony B. zugehörig fühlen vertreten dieses Verbot uneingeschränkt. Es ist wichtig auf die soziale Struktur dieser Gemeinden hinzuweisen, die in sogenannten „Yards“ – z.B. Sizzlas „Judgement Yard“ leben: Die Gemeinden machen ihre eigenen „Gesetze“ oder keine Gesetze. Oft sind sie für die Bildung der Jugendlichen verantwortlich. So kommt es auch zu weiteren Verblendungen innerhalb der Rastas, wurde der Samen des Hasses erst einmal gesäht. Was ist dieser Samen? Es ist die Ablehnung der Gesellschaftsform des Weißen Mannes. Mit ihr in Verbindung gebracht wird auch ein Bild von Homosexualität, dass fälschlicherweise durch Dekadenz und Verschwendungs- sowie Vergnügungssucht geprägt ist. Es ist dieses Zerrbild, das Homosexualität zum Verbündeten Babylons werden lässt.
    Unter den Versklavten war die Mehrheit Männer- Die Kolonialherren verboten unter Androhung drakonischer Strafen Homosexualität. Das Humankapital sollte gemehrt werden. Aus dieser Zeit stammt die noch heute gültige Gesetzgebung zur Homosexualität auf Jamaica!

    Aus den Augen verloren wird die Livity. Das Bestreben Gottes Paradies auf Erden zu errichten hat vorallem mit zwei Dingen zu tun: Frieden und das Leben in Einklang mit der Natur. Das ist die wahre Bedeutung des Rastafarismus, die so verkümmert ist in den Hirnen der geldgeilen vermeintlichen Prediger unserer Kultur. Schaut sie euch doch an diese Dancehall-Kings. Sie tragen ihr glänzendes Gold und verzehren sich nach ihrem Spiegelbild. Sie haben das Streben nach Weisheit aus den Augen verloren und sich verirrt. Möge man ihnen gnädig sein. Sie sollen nicht erhört werden. Sie sollen nicht länger als Rasta gelten.

  5. Culture 31. Januar 2013 um 04:55 #

    Alle Menschen haben das Recht ihr Leben so zu gesalten, wie sie es gestalten wollen. Alle Menschen haben das Recht zu lieben, wen sie lieben wollen. Alle Menschen sind Teil der Natur. Jeder sollte sich mit Respekt begegnen und Dankbar für seine Zeit auf dieser Erde sein.

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