Morgen begeht Berlin den CSD und wie jedesmal, wenn dieser „schwule Feiertag“ in der Hauptstadt ansteht, zelebrieren die Medien rauf und runter was der CSD ist, was Schwule sind, wie die Befindlichkeiten der Schwulen aussehen, was schon erreicht wurde, was noch nicht erreicht ist und was man noch erreichen könnte. Zuweilen sind diese Artikel ein wenig bizarr, so als wären sie von Volontären geschrieben, die sich damit ihre journalistischen Hörner abstoßen können, ohne allzu viel Schaden anzurichten, weil es schließlich ja bloß um Homos geht und das eh keinen interessiert.
Einer dieser merkwürdigen Artikel kommt von Martin Reichert und steht in der taz. Merkwürdig ist dieser Artikel deshalb, weil er Wahrheiten mit fantastischen Überlegungen und Vergleichen vermischt. Schauen wir einfach mal rein:
Ausgerechnet in der Berliner „Pride Week“, also der Woche vor dem Christopher Street Day, wurden zwei Schwule im Stadtteil Treptow von jungen Männern angegriffen. Einer von ihnen wurde lebensgefährlich mit einem Messer verletzt. Auch während des schwullesbischen Stadtfestes kam es zu hässlichen Übergriffen. Zugleich werden an diesem Samstag wieder tausende von Schwulen, Lesben, Transgender und Transidenten ihre Parade abhalten. Bestaunt und fotografiert von neugierigen Bürgern. Noch vor zwanzig Jahren wurden sie bespuckt und mit Flaschen beworfen. Das darf man heute nicht mehr. Immerhin.
Der folgende Absatz lässt allerdings erahnen, dass die Tatsache, nicht mehr von Zuschauern bespuckt und mit Flaschen beworfen zu werden, irgendwie auch nicht das Wahre ist, weil es so wie es jetzt ist, ja lediglich zu einer trivialen Feier mit Fressen, Saufen und Ficken ausartet:
Der CSD war mal eine richtige Demonstration und keine große Feier mit schriller Maskerade und Bratwurst. Er erinnert an den ersten gewalttätigen Aufstand von Homosexuellen und anderen sexuellen Minderheiten gegen die Polizeiwillkür in der New Yorker Christopher Street im Stadtviertel Greenwich Village. Was dort in den frühen Morgenstunden des 28. Juni 1969 geschah, bildete den Auftakt zur modernen westlichen Nachkriegs-Schwulenbewegung.
Hier folgt nun üblicherweise eine Kritk, wie unpolitisch der CSD doch geworden sei, weil Schwule immer bürgerlicher und individualistischer werden, das Gefühl zu einer großen Community zu gehören verloren gehe und man sich statt dessen behaglich in der Mehrheitsgesellschaft mit ihrer „repressiven Toleranz“ einrichte. Bevor Reichert das aber beklagt bzw. beklagen lässt, wird er erst einmal konstruktiv:
Im Jahr 2010, und nicht erst seitdem, häufen sich nun wieder Meldungen aus vielen Ländern Europas, in denen Schwule, Lesben und Transgender Opfer von gewalttätigen Übergriffen werden. In Rom rief man nach einem Brandanschlag auf eine schwule Kneipe zum Sitzstreik auf, in Wien nach einer brutalen Attacke auf einen jungen Schwulen zu einem „Kiss-in“. Die Liste ließe sich fortsetzen, ohne Bezug auf die finster-nationalistischen und rechtsradikalen Zustände in Osteuropa nehmen zu müssen.
Zeit für einen neuen Aufstand? Ein neues Stonewall?
Nun, warum nicht? Fragt sich bloß gegen wen oder was sich der Aufstand richten soll:
Die Psychologin Melanie Steffens forscht an der Universität Jena unter anderem über die Lebenssituation von Schwulen und Lesben. Sie sagt: „Soziale Bewegungen, auch gewalttätige, formen sich am ehesten, wenn man den Eindruck hat, man könne strukturell etwas ändern. Wenn es einen identifizierten Feind gibt – die Polizei zum Beispiel, wie seinerzeit in Stonewall. Gewalt gegen Schwule wird aber eher als etwas Individuelles dargestellt – die Täter bleiben anonym, es sind immer andere, es wird von offizieller Seite bedauert, dass so etwas passiert. Diese ganze Darstellung ist nicht beförderlich, einen ,Aufstand‘ hervorzurufen.“
Der „Gegner“ ist also nicht greifbar. Moment, ist er das wirklich nicht?
Die Täter sind immer andere, auch wenn man auch ohne noch immer nicht erstellte Tiefenstudie weiß, wer sie sind: nämlich in der Regel junge, in der Adoleszenz befindliche Männer, die zugleich in prekären Verhältnissen leben. Man weiß eigentlich auch, dass es in Berlin häufig junge Männer mit Migrationshintergrund sind, das soll man aber nicht sagen – in der Realität ist allerdings in dem von Übergriffen geplagten Schwulenviertel Berlin-Schöneberg eine nicht mehr wegzudiskutierende Türkenfeindlichkeit entstanden.
Diese „Türkenfeindlichkeit“ artikuliert sich allerdings weniger martialisch, als Herr Reicherts Wortwahl vermuten lässt, sondern eigentlich nur in der Anerkennung der Tatsache, dass es nicht selten Jungmänner mit Migrationshintergrund sind, die beleidigen, spucken und zuschlagen, etwas, das die „türkenfeindlichen“ Schwulen trotz ihrer „Türkenfeindlichkeit“ eher nicht tun.
Wie also sich wehren?
Können die Schwulen tatsächlich nur mit rosa Wattebäuschen werfen, wie man im Kreise der Täter – und darüber hinaus sicher auch – glaubt?
„Sie wehren sich, und sie wehren sich nicht“, sagt der Diplom-Psychologe Christopher Knoll. Er leitet das Anti-Gewalt-Projekt von Sub, dem schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum in München. Schwule hätten sich durchaus gewehrt, indem sie zum Beispiel in der Hoch-Zeit von Aids Überfalltelefone und Anti-Gewalt-Projekte wie das von Sub oder „Maneo“ in Berlin gegründet hätten: Opferhilfe, Aufklärungsarbeit, Lobbyarbeit bei jener Polizei, die früher in Zeiten des Paragrafen 175 noch auf der anderen Seite gestanden hatte und nun verpflichtet ist, Schwule und Lesben vor Gewalt zu schützen.
All diese Projekte und Maßnahmen sind aber nur das Herumdoktern an Symptomen, abgesehen vielleicht von der Aufklärungsarbeit.
Knoll kritisiert auch die Schwulen selbst: „Die Diskriminierung wird nicht thematisiert, um die Erzählung des Erfolges nicht zu gefährden.
Was natürlich Unsinn ist, denn diese Diskriminierung wird beständig thematisiert. Zum Beispiel in diesem Augenblick.
Man möchte zur Mehrheitsgesellschaft gehören, anstatt ein schriller Vogel zu sein. Man möchte einfach nicht wahrhaben, dass man eigentlich nur eine schöne Nische gefunden hat.“
Und was will uns Herr Knoll jetzt damit sagen? Dass die Gewalt gegen Homos abnehmen würde, wenn man sich als schriller Vogel inszeniert anstatt „dazu“ gehören zu wollen? Oder wenn man sich eingesteht, von der Mehrheitsgesellschaft nur toleriert zu werden? Und was, wenn man selbst gar kein schriller Vogel ist, sondern eher so stinknormal wie die Mehrheitsgesellschaft? Und wieso assoziiert Knoll Homosexualität eigentlich mit dem Attribut „schriller Vogel“?
Dort, schön eingeschmiegt in die schrille, kreative, interessant eingerichtete und immer so lustige Nische sollen sie auch bleiben, die Homos. Wer sich aus ihr hinausbewegt, bekommt eine aufs Maul: Es wird nämlich auch nicht gerne gesehen, wenn Schwule plötzlich mächtig sind – als Bürgermeister, Parteivorsitzender, Außenminister zum Beispiel. Oder auch als Soldat, Polizist oder Fußballspieler.
Oder anders gesagt: Wenn ein Schwuler einen auf „schriller Vogel“ macht, dann ist das okay, dann weiß der gemeine Hetero woran er ist. Homos als Zootiere, die man auf den CSDs der Republik bestaunen kann, das ist der normale Lauf der Welt. Aber wehe, der Homo zieht mit Partner und Schäferhund ins Reihenhaus nebenan. Wehe, er lässt unter seiner Individualität die Gemeinsamkeit mit dem Leben des gewöhnlichen Hetero erkennen. Wie kann sich der Hetero noch abgrenzen, wenn der Homo vom Zirkusclown zum Menschen mutiert?
Auch Christopher Knoll kann keine Solidarisierung mit den Schwulen erkennen: „Die bürgerliche Mittelschicht findet doch im Grunde ihres Herzens, dass Schwule ganz schön nerven, obwohl sie es doch gut haben.“ Und sein Resümee ist bitter: „Man kann Gewalt gegen uns ausüben und es interessiert niemanden. Das ist ein Skandal. Wenn es gleich viele Attacken gegen Juden oder Schwarze gäbe, dann wäre aber was los.“
Da muss ich dem Herrn Knoll zustimmen. Fragt sich bloß, woran das liegt.
Wenn das stimmte, müsste sich die Regenbogen-Minderheit selbst wehren. Der Historiker Jens Dobler arbeitet unter anderem für das Schwule Museum in Berlin. Er sagt, dass man gar nicht genau wissen könne, wie oft sich Schwule schon gewehrt haben, weil das nicht dokumentiert ist. Historisch belegt sind die „Pink Panthers“ aus New York, die seinerzeit mit Walkie-Talkies ausgerüstet und durch Selbstverteidigungskurse gestählt für Sicherheit in den Schwulenvierteln New Yorks sorgten. Dobler ärgert sich über die Frage, warum Schwule sich nicht wehren: „Das ist so, als ob man fragt, warum sich denn die Juden nicht gegen den Holocaust gewehrt haben.“
Und ab hier wird es leicht grotesk, denn von nun an schwebt das Wort „Holocaust“ über der beschriebenen Situation von Schwulen und Lesben in Deutschland im 21. Jahrhundert. Glücklicherweise weiß Herr Reichert, wie man diese Assoziation etwas entschärft:
Historisch betrachtet ist die Situation in Europa natürlich viel besser geworden. Aber hätte man sich vor zehn Jahren vorstellen können, dass Pfaffen wieder offen Hass gegen Schwule predigen und damit sogar in öffentlich-rechtliche Talkshows kommen?
Also, ich wusste das, habe es mir auch vorstellen können und finde es im Grunde genommen banal. Denn zwischen dem Bekenntnis, Homosexualität für Sünde zu halten, Hass zu predigen und dem Holocaust liegen ganze Galaxien.
Die Fragestellung ist eigentlich: Wie können die erzielten Fortschritte gesichert und verteidigt werden?
Eine gute Frage. Und die Antwort hat es in sich:
Es gab in Europa schon einmal eine Minderheit, die versucht hat, sich anzupassen.
(Holocaust)
Die es stets verstand, Nischen zu suchen – am Ende wurde sie doch zum Opfer.
(Holocaust)
Ihre Selbstermächtigung trägt den Namen Israel. Man verfügt über Atombomben, und seitdem kann diese Minderheit nicht mehr mit Sympathie rechnen. Sie braucht aber auch kein fades Mitleid mehr.
Kann mir mal einer erklären, wo wir hier gelandet sind? Von Gewalt gegen Schwule, über den Holocaust, bis zu einem mit Atombomben ausgestattenen Israel – das ist eine journalistische Glanzleistung, alle Achtung, so weit muss man erst einmal kommen.
Und was will uns Herr Reichert eigentlich damit sagen? Dass es Sympathien für Juden gab, bevor sie die Atombombe hatten? Dass Homos einen eigenen Staat gründen und nach der Atombombe greifen sollten?
Offensichtlich nicht, denn Reichert hat diese Ideen nur gestreift, hat mal eben schnell die Situation von Schwulen und Lesben mit der von Juden in einen Topf geworfen, und lässt das Gebräu nun ziehen, auf dass sich das Aroma in den Köpfen der Angesprochenen fest setzen kann.
Bastian Finke vom Berliner Anti-Gewalt-Projekt Maneo rät zu Besonnenheit: „Es hat sich gezeigt, dass viele Schwule aus Angst überreagieren, wenn sie auf der Straße angepöbelt oder bedroht werden. Ein aggressives ,Dann komm doch, wenn du ein Problem hast‘ ermutigt viele Täter, extrem gewalttätig zu werden. Sie drehen dann die Situation um und sagen, dass sie es waren, die bedroht wurden.“ Finke rät, sofort die Polizei zu verständigen – weil Gegengewalt niemals konstruktiv sei.
Dass Gegengewalt niemals konstruktiv sei, ist natürlich ein Mythos, denn wenn es anders wäre, würde man auf den CSDs der Welt nicht Stonewall feiern, einen reinsten Akt der Gegengewalt also – mit ziemlich konstruktiven Folgen.
Das sieht auch Reichert ein:
Bastian Finke leitete ein Anti-Gewalt-Projekt und bohrt seit Jahren dicke Bretter. Er tut gewiss das Richtige. Doch leider handelt es sich bei den Aggressoren oft nicht um junge Abiturienten, mit denen man sich beim Bier auf diskursive Höhen schrauben könnte. Es sind Leute, die ein Einsehen erst haben, wenn man ihnen eine verbrettert.
Eben. Schwule werden deshalb als leichtes Opfer betrachtet, weil es nun mal das Klischee von der schwachen, weibischen Tucke gibt, vom „schrillen Vogel“, der sich nicht wehrt, und mit dem man somit alles machen kann. Reicherts Fazit kann ich deshalb nur zustimmen:
Am besten sind die Schwulen und Lesben noch immer gefahren, wenn sie ihr Schicksal selbst in die Hand genommen haben. Notfalls auch in die eigene Faust.
Oder in die eigene Handfeuerwaffe. Doch leider ist das in Deutschland ja verboten.
Gay Rights und Gun Rights gehören eben zusammen. Aber so ein Schwulen-Staat mit Atombombe in sonnigen Gefilden – da würde ich doch glatt meinen Anarchismus nochmal überdenken. 😉
Übrigens kommt kein Geringerer als Didrik Solli-Tangen zum Berliner CSD! 🙂
17:30, Opening by Mayor Klaus Wowerweit and Jan Salloch, evangelical christian, with special appearance by Didrik Solli-Tangen, „My Heart Is Yours“, singer for Norway at Eurovision 2010.
Ein Schwulenstaat wäre schon von daher wünschenswert, weil er sämtliche Vertreter und Kritiker der diversen Biopolitiktheoreme ganz schön fett ins Rudern bringen würde 😉
Der erste Schwulenstaat ist ja so was von ein Misserfolg. Kein Wunder: Der „König“ dort hat offensichtlich keinerlei Ahnung von geopolitischen, militärstrategischen und infrastrukturellen Gegebenheiten und hat sich dutzende winzige Inseln als Territorium ausgesucht:
http://en.wikipedia.org/wiki/Gay_and_Lesbian_Kingdom_of_the_Coral_Sea_Islands
So wird das nichts.
Ich schlage San Francisco vor. Das ist jetzt schon ziemlich schwul, und ist lediglich von den USA besetzt. Da Obamas Oberbefehlshaber ist, dürfte es ein leichtes sein, diese Stadt zu erobern und sich dann auszubreiten. Wir könnten die gesamte Bay Area beherrschen (de facto tun wir das ja bereits).
http://de.wikipedia.org/wiki/San_Francisco_Bay_Area
Denkbar wären auch die Florida Keys. Auch die sind bereits jetzt halb verschwult.
http://de.wikipedia.org/wiki/Florida_Keys
Natürlich könnte man sich auch ein gänzlich unbewohntes Gebiet angeln. Klimatisch gibt’s da noch so einiges. Wüsten sind übrigens kein Problem, solange man die Leute machen lässt und nicht den Sozialismus einführt, bekommt man auch Wüsten zu blühen.
P.S.: