Ich habe lange überlegt, ob ich zu der ganzen Debatte um Thilo Sarrazin etwas schreiben soll, da es zum einen doch so gar nichts mit Homosexualität zu tun hat, und zum anderen, mich das Thema Islam, Integration und Moslems längst nicht mehr so auf- bzw. anregt, wie noch vor einiger Zeit. Und so war ich gewillt, das Thema der restlichen Bundesrepublik zu überlassen und lieber darüber zu berichten, dass sich der kubanische Oberkommunist dafür entschuldigt hat, Homosexuelle verfolgt zu haben. Aber andererseits: wen interessiert schon, was Fidel Castro zu sagen hat?
Und dann las ich folgenden Beitrag zur Causa Sarrazin, und meine Bedenken das Thema auch hier breit zu treten, waren wie weg geblasen. Denn der Text ist einfach zu gut, um ihn nicht zu verlinken. Ich jedenfalls habe selten eine so geistig anregende Lektüre genossen, eine Lektüre, die dazu geeignet ist, sämtliche Weltbilder über den Haufen zu werfen, auch wenn man vielleicht nicht allem zustimmen mag. Unbedingt lesenswert!
„Wieso eigentlich Integration?“
Warum MUSS Deutsch sprechen, wer in Deutschland lebt? Es ist doch Sache eines jeden Einzelnen, wie er sein Leben verbringt – und wer die deutsche Sprache nicht lernen will, der muss dies nicht. Wenn ich auswandere MUSS ich auch nicht unbedingt die Sprache meines neuen Wohnortes lernen. Von MÜSSEN als imperativ anderer kann überhaupt keine Rede sein. Was geht es mich an, wie andere ihr Leben führen? Gerade diese Toleranz sollte doch der Grundstein unserer sogenannten „modernen“ und „freiheitlichen“ Gesellschaft sein. […]
Ich wünsche mir auch noch so einiges anderes etwa einen neuen Rechner – dennoch habe ich keinen Anspruch gegenüber Anderen, dass diese ihn mir schenken, damit ich davon profitiere. Ebensowenig habe ich einen Anspruch darauf, dass andere Menschen für mich eine Sprache lernen, damit ich davon profitiere. So empört der Kulturkonservative bei dieser Aussage auch aufschreien mag: Ich habe ebensowenig einen Anspruch darauf, dass ein eingewanderter Türke deutsch lernt, wie ich Anspruch darauf habe, dass alle Türken Deutsch lernen, sobald ich in die Türkei einwandere. Ich habe überhaupt keinen Anspruch auf die Handlungen anderer. […]
Wieso bilden sich kulturell abgeschottete Gesellschaften innerhalb der Restgesellschaft, die mit dieser kulturell wie sprachlich nicht kommunizieren können? Dies hat wenn überhaupt zweitrangig irgendetwas mit Nationalität oder Religion (hier: Islam) zu tun. Denn selbst der radikale Religiöse oder der anpassungsunwillige Nationalist muss essen, muss eine Wohnung haben, muss Geld verdienen usw. Und für all das muss er kommunizieren. Selbst der radikalste türk-nationalistische Islamist würde die Deutsche Sprache lernen müssen, um sich eine Wohnung zu suchen, den Mietvertrag zu verstehen, einen Job zu finden, sich beim Einstellungsgespräch vorzustellen, oder einfach nur beim Bäcker Brötchen zu kaufen. […]
Wieso aber funktionieren bzw. funktionierten diese natürlichen Anreize und Entwicklungen nicht? Die Antwort ist denkbar einfach: Der Staat hat natürliche gesellschaftliche Mechanismen manipuliert und/oder zerstört. […]
Der Staat legte den Grundstein der Parallelgesellschaft, der Staat festigte das Gebilde und zementierte es schließlich. In sofern stimmt es, dass die Politik gescheitert ist – allerdings nicht, weil sie nicht genug tat, sondern eben weil sie etwas tat und die Menschen lange und erfolgreich davon abhielt sich ganz natürlich zu integrieren. Ohne Politik, wäre nichts davon geschehen. [Hervorhebungen im Original, A.]
In Sachen Sarrazin ist jetzt der Gabriel von der SPD dran, mal klare Kante zu zeigen. Was ist jetzt nicht verstehe ist, warum der Wulff erstmal die Merkel fragen muss, denn er hat doch vor dem Antrag der Bundesbank gesagt, dass der Sarrazin weg soll. Ist er sich jetzt auf einmal nicht mehr so sicher und wir erlebe eine Überraschung, aber vielleicht ist das nur Alibi.
deinem letzten absatz kann ich nicht zustimmen. als ich im ausland lebte wollte ICH wissen wie die menschen dort leben, wie sie denken, ticken. ergo habe ich deren sprache gelernt. die einzigen anrreize die ich brauchte waren, meine neugier, mein hunger, mein durst, mein bedürfnis nach nem dach über dem kopf mal gang banal gesagt.
Wäre es für klassische Liberale nicht ideell gewinnbringender, wenn sie Roland Baaders Neuerscheinung „Geldsozialismus“ in die Bestsellerlisten katapultierten, anstatt sich über den Sarazenen die Köpfe heißzureden? Nur mal so im Vorübergehen^^
@ Konrad
Das schöne am Liberalismus ist, dass man selbst entscheiden kann, was man für sich selbst als gewinnbringender erachtet.
Die Frage ist doch eine ganz andere: Wenn ich in einem anderen als meinem Herkunftsland leben will, ohne mich der dortigen Rechts- und Gesellschaftsordnung einzufügen und ohne die dortigen Sitten zu achten, insbesondere die Sprache zu erlernen – was will ich dann dort?
@ Ralf
Ich vermute, sie wollen besser leben, als in ihrer Heimat. Warum sonst wandert man aus?
@ Adrian
Das wäre dann die von Sarrazin kritisierte Einwanderung in die Sozialsysteme im Gegensatz zur Einwanderung in den Arbeitsmarkt, wie er für die klassischen Einwanderungsländer USA, Kanada, Australien und Neuseeland üblich sei.
Sicher, aber wenn man ein Sozialsystem hat, dann ist es reichlich verquer zu kritisieren, dass es in Anspruch genommen wird.
Andererseits fragt sich, ob wir uns wirklich den Luxus leisten wollen, als einziger Staat der Welt das Prekariat anderer Staaten durchzufüttern, das bei uns eine weitgehend abgeschottete Einwandererkolonie bildet.
ich glaube, hier gerade eine neue heimat gefunden zu haben 🙂 nicht nur ist der artikel genial, auch sehe ich die kommentare als beweis dafür an, dass in diesem land doch noch nicht alle komplett verblödet sind 🙂
@Robert:
Das liegt wahrscheinlich zur Hauptsache daran, dass sich der rechte Netzpöbel nicht unbedingt in schwule Blogs verirrt… Arschficker, igitt, das ist ja pervers! Oder so…