Weihnachten: Zeit der Emanzipation

11 Nov

Gender, das soziale Geschlecht eines Menschen, ist im Unterschied zu seinem biologischen (sex) eine soziale Konstruktion. Diese Unterscheidung ist weitgehend gesellschaftlicher Konsens geworden, zunehmend auch in den Kirchen. Doch es gibt Ausnahmen. So kritisierte Papst Benedikt XVI. in seiner Weihnachtsansprache 2008:

Was in dem Begriff „Gender“ vielfach gesagt und gemeint wird, läuft letztlich auf eine Selbstemanzipation des Menschen von der Schöpfung und vom Schöpfer hinaus.

Wolfgang Scheel widerspricht dem in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „WERKSTATT SCHWULE THEOLOGIE“:

Ja, in der Gendertheorie geht es um die Selbstemanzipation des Menschen, aber nicht um eine Emanzipation weg von Gott, dem Schöpfer, sondern hin zum Schöpfungswerk Gottes, in dem wir Menschen mit so unterschiedlichen, vielfältigen Eigenschaften von Gott geschaffen wurden. Bei welchem Fest wird es deutlicher als zu Weihnachten, dass Gott Mensch wird und den empirischen Menschen annimmt. Somit ist seine Selbstemanzipation christlich und gibt dem menschgewordenen Gott die Ehre.

Wer etwas anderes behaupte, fördere dagegen

seelische Selbstaggression und Selbstzerstörung.

Neben wissenschaftlich-empirischen Argumenten begründet Scheel seine Haltung auch biblisch:

Bei Jesus selbst und im biblischen Zeugnis finden wir dieses Aufbrechen geschlechtstypischer Eigenschaften. Zum Beispiel bricht Jesus in Mk 3,31-35 mit dem für den ältesten Sohn vorgesehenen Stereotyp. (…) In Lk 10, 39-42 sehen wir: Wie „selbstverständlich durchbrechen (…) Frauen die herrschende Sitte, indem sie sich wie Schüler aufführen.“ (…) In 1 Kor 12, 12-27 wird die mannigfaltige Pluralität als Ausdruck der Schöpfungsvielfalt (Vers 24) genannt. (…) Joh 13, 1-17: „Auch die Fußwaschung, die Jesus an seinen Jüngern ausübt – eigentlich ein Intim-Dienst der Frau an ihrem Mann, von dem nur Johannes erzählt – scheint Symbolhandlung für die neue Ordnung zu sein: der Meister übernimmt die dienende Rolle der Frau.“ „Menschen dürfen deshalb im Namen Christi nicht mehr auf überkommene geschlechtstypische Lebensformen festgelegt werden.“ [Links von mir ergänzt, Anm. Damien]

Scheels Fazit: Wer den Menschen nicht auf sein biologisches Geschlecht reduzieren will, kann

sich zwar nicht auf den Papst, aber auf Jesus Christus berufen.

Wie ideaSpektrum diese Haltung wohl bewerten würde? Als rechtsprotestantantische Ökumeneskeptiker müsste ihnen die im Namen Jesu Christi vorgetragene Breitseite gegen den selbsternannten Stellvertreter Gottes eigentlich aus dem Herzen sprechen. Inhaltlich allerdings dürften sie eher mit dem Postulat aus Rom konform gehen. Vermutlich jedoch reicht ihnen schon der Erscheinungsort der Kritik: Schwule Theologie, das geht ja gar nicht. Theologie hat heteronormativ zu sein. Das steht schließlich schon in der Bibel. Oder?

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7 Antworten zu “Weihnachten: Zeit der Emanzipation”

  1. morus 12. November 2010 um 09:42 #

    Wenn der Papst sagt, der Mensch würde sich mit der Genderideologie von der Schöpfung emanzipieren und damit meint, dass der Mensch auch ein biologisches Wesen ist, dann ge-be ich dem Papst Recht. Die Aussagen von Sheel unterstreichen meine Haltung zusätzlich. Sie zeigen nämlich, dass es bei Gender immer um Mann gegen Frau geht. Gerade bei der Erzählung über Jesus geht es aber um etwas völlig anderes. Es geht um die HANDLUNG von Jesus. Er DIENT. Das ist keine, auch wenn Scheel das so darstellen möchte, weibliche Handlung. Es ist die Handlung von Dienern, eine Rolle, die sowohl Männer wie Frauen über-nehmen (müssen). Die Genderideologen aber rücken immer das Geschlecht in der Vorder-grund, also etwas biologisches (sex). Dabei geht es dann auch immer darum, dass der Mann die Frau unterdrückt. Es ist also gerade Sheel, der mit dieser Aussage reduziert. Er reduziert den Mann auf den Unterdrücker, die Frau auf die Unterdrückte.

    • Damien 12. November 2010 um 14:50 #

      @morus: Bei der von Dir so genannten Gender“ideologie“ geht es eben nicht um die Biologie, dafür gibt es ja die Unterscheidung zwischen sex (biologisches Geschlecht) und gender (soziales Geschlecht). Ebensowenig geht es um Mann GEGEN Frau, vielmehr um Mann und Frau. Das Dienen weiblich zu assoziieren, ist keine Erfindung von Scheel, sondern eine historische Praxis, auf die Scheel sich bezieht. Tatsächlich war es Jesus, der uns gelehrt hat, dass wir alle einander dienen sollen. Das war ja gerade das Revolutionäre an ihm (natürlich nicht nur das, aber eben auch das). Das Geschlecht muss dann in den Vordergrund gerückt werden, wenn es im Hintergrund selbstverständlich Gesellschaft strukturiert, ohne dass das bewusst passiert. Mit der Heteronormativität verhält es sich ähnlich: Wer darauf hinweist, handelt sich rasch den Vorwurf ein, er schenke der Kategorie der sexuellen Orientierung zuviel Beachtung, dabei weist er nur daraufhin, dass sie eine Rolle spielt, auch wenn uns das im Alltag nicht bewusst ist. Wo Scheel „den Mann auf den Unterdrücker, die Frau auf die Unterdrückte reduziert“, kann ich nicht erkennen. Er beschreibt den Alltag zur Zeit Jesu. Willst Du ernsthaft behaupten, Männer und Frauen seien damals gesellschaftlich gleichberechtigt gewesen?

  2. morus 13. November 2010 um 21:48 #

    Es geht um Gender, nicht um Sex, das ist mir klar und ich nehme an, dem Papst ebenso. Nur, was ist, wenn das Geschlecht nicht nur soziales Konstrukt ist, wie uns Gender immer wieder weiss machen möchte? (Natürlich kann man das jetzt abstreiten und behaupten, Gender würde das nicht tun.) In erster Linie ist das Geschlecht jedoch biologisch vorgegeben. Wer dem keine Rechnung trägt, der ignoriert die biologischen Bedingungen. Damit sind auch bereits eine Rollen vorweggenommen. Ein Mann wird nie ein Kind gebähren, die Rolle der Gebährenden ist ihm damit verwehrt. Wäre es denkbar, dass noch andere Konsequenzen mit der Biologie verbunden sein könnten?
    Und ja, ich möchte ernsthaft behaupten, dass es in der Antike männliche Diener und männliche Sklaven gab. Warum also sagt Sheel, Jesus hätte die Rolle einer Frau angenommen, wenn es auch männliche Diener gab? Die Rolle war also keineswegs per se weiblich belegt? Mir suggeriert er damit ein anderes Rollenklischee, nämlich das des unterdrückenden Mannes und der unterdrückten Frau. Anders formuliert, das (vielleicht korrekte) Bild, des bösen Mannes und der guten Frau.

  3. Damien 15. November 2010 um 20:35 #

    @morus: Gebären zu können, ist eine biologische Funktion, keine Geschlechtsrolle. Geschlechtsrolle meint Verhaltensweisen.
    Ich habe nicht bestritten, dass es in der Antike männliche Diener und Sklaven gab. Meine Frage an Dich war eine andere: Ob Du behauptest, Männer und Frauen seien in der Antike gleichberechtigt gewesen?
    Scheel sagt, wie Du richtig zitierst, Jesus habe die „Rolle einer Frau“ angenommen. Diese Rolle war „weiblich“ belegt, konnte aber von Frauen und Männern ausgefüllt werden.

  4. morus 15. November 2010 um 22:43 #

    „Gebären zu können, ist eine biologische Funktion, keine Geschlechtsrolle. Geschlechtsrolle meint Verhaltensweisen“. Da liegt der Kern unseres Missverständnisses. Männlich oder Weiblich ist für mich in erster Linie ein biologischer Begriff und erst in zweiter soziologisch. Es ist das von der Biologie vorgegebene Geschlecht, genau wie schwarze, rote, gelbe oder weisse Haut von der Biologie vorgegeben wird. Dass damit natürlich Vorstellungen und Rollen verbunden sind, dem widerspreche ich nicht. Der Papst sagt ja auch „Was in dem Begriff “Gender” vielfach gesagt und gemeint wird, läuft letztlich auf eine Selbstemanzipation des Menschen von der Schöpfung und vom Schöpfer hinaus“. Da hast du wohl das Wort VIELFACH überlese, denn er generalsiert an dieser Stelle nicht, kritisiert lediglich einzelne Aspekte.
    Wo die soziologischen Rollen anfangen und die natürlichen Präferenzen aufhören weiss ich leider nicht, vielleicht kannst du mich ja aufklären. Der Wunsch zu Gebähren und Mutter zu werden beispielsweise; ist dieser Wunsch antrainiert oder wird er gar von einer biologischen Komponente angetrieben? Vielleicht auch ein Zusammenspiel? Aber ist das Zusammenspiel (Gruppendruck, Zusammengehörigkeitsgefühl,…) biologisch oder soziologisch bedingt?
    Das Leben ist nicht so einfach, insbesondere wenn der Mensch versucht sich selbst zu definieren und zu analysieren. War es vielleicht diese Komplexität, die der Papst im Hinterkopf hatte? Nun, der Papst ist viel klüger als ich, dementsprechend hüte ich mich davor, hier irgendwelche Mutmassungen zu betreiben.
    Mann und Frau waren in der Antike nicht gleicberechtigt – nein, das möchte ich nicht behaupten. (Sie sind es auch heute nicht.) Sie hatten jeweils abhängig von Geschlecht, Herkunft und anderen Faktoern unterschiedliche Lasten zu tragen. Doch nur weil in der antiken jüdischen Tradition allenfalls die Frau auf die Rolle der Dienerin reduziert wurde, ist der Umkehrschluss den Sheel hier anscheinend vollzieht, nicht zulässig (sofern ich in den Logikvorlesungen diesen Teil nicht falsch verstanden habe), denn dies macht die Rolle des Dieners nunmal bei allem guten Willen nicht weiblich, denn sie wurde von beiden Geschlechtern ausgeübt. (Im übrigen war die Mehrheit der Männer ebenfalls in einer dienenden Rolle)
    Da hätte Jesus wohl besser die Rolle der Mutter übernommen, die für mich nun definitv weiblich ist, dann hätte auch ein etwas sturer Bock wie ich die Botschaft verstanden… 😉
    Vielleicht verstehst du jetzt besser, was ich sagen wollte.

  5. Florian 8. Dezember 2010 um 09:34 #

    Krass, dass hier rassistische Aussagen (morus: „Es ist das von der Biologie vorgegebene Geschlecht, genau wie schwarze, rote, gelbe oder weisse Haut von der Biologie vorgegeben wird.“) einfach so geäußert werden können. Klar war Leuten in der frühen Neuzeit noch, dass bspw. dunkle Hautfarbe gerade dann entsteht, wenn Menschen über mehrere Generationen in heißen Gegenden leben. – Und Hautfarbe wurde vielfach noch gar nicht als „Merkmal“ gesehen; man übersah sie. Erst durch den zunehmenden Kolonialismus und Menschenraub hat sich das geändert und entstand das heutige Sehen von Hautfarbe – und die Suche nach vermeintlichen vorgebenden „biologischen“ Ursachen. / Zu Geschlecht kritisch ist zu empfehlen: „Making Sex: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive“, wo der Autor erläutert, dass auch biologische Geschlechtertheorien ein Produkt der Gesellschaft sind und ausarbeitet, wie viele unterschiedliche solcher Theorien es gab und gibt.

    • Adrian 8. Dezember 2010 um 11:45 #

      Äh, Entschuldigung, Geschlecht und Hautfarbe haben nun mal biologische Ursachen. Google mal bezüglich Hautfarbe „Melanin“ und „Eumelanin“ und bezüglich Geschlecht „Chromosom“ und „Hormon“. Sicher, die Menge an Melanin kann durch die Umwelt beeinflusst werden – wobei ich mit Umwelt „Natur“ meine und nicht „Gesellschaft“ -, es gibt aber bei jedem Menschen einen genetisch vorgegebenen Grundstock.

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