Alles, was ein Mann zeigt, kann daraufhin analysiert werden, was es verbirgt oder kaschieren soll. Bei allem, was ein Mann sagt, kann man erwägen, was er verschweigt. Dieses Reflektieren auf Verdacht ist die Vorstufe allen Verqueerens. Jene wissenschaftliche Bewegung will hinter jeder erdenklichen männlichen Aktivität, Interaktion und Absicht versteckte Antriebe ausforschen. Dass jedoch dort überhaupt etwas anderes als der Mann an sich ist, versteht sich nicht von selbst.
Mit diesen ketzerischen Worten eröffnet Martin Hüttinger im aktuellen Heft der Zeitschrift „WERKSTATT SCHWULE THEOLOGIE“ einen Artikel über die Verqueerungsraserei, an der er die damit verbundenen Aberkennungsrituale kritisiert. Während sich schwule Männer von Gott anerkannt und bejaht fühlen dürften, komme dieser positive Bezug auf die Männlichkeit homosexueller Männer beim Verqueeren abhanden. Konstitutiv für das Konzept queer, wie Hüttinger es kritisiert, sei eine Hierarchisierung von Lebensformen und Identitäten, also genau das, was Queers sonst vermeintlich bekämpfen wollen:
Queer-Sein ist das vermeintlich Bessere als das Schwul-Sein. Hier bleibt der Unterschied zwischen wahrem Kern und scheinhafter Hülle gewahrt: der Mann wirkt ein wenig männlicher, dem maskulinen Ideal verpflichteter, und bewahrt sich auf diese Weise die Option für sexuelle Alternativen, welche das öffentliche Publikum weitaus mehr schätzt. (…) Schwul-Sein statuiert eine klare Distinktion, Queer-Sein kennt keine allgemein gültige Definition.
Was für alberne Aussagen dieser Versuch, sich der Diskriminierung von Schwulen durch ihre Umbenennung zu entziehen, hervorbringen kann, hat Adrian an anderer Stelle beschrieben. Hüttinger findet historische Vorläufer des Konzepts queer:
Eine ähnliche Stoßrichtung verfolgte das vor hundert Jahren forcierte Theorem vom „Dritten Geschlecht“, einem jener geschlechtlichen Zwischenstufen. Die Differenz bestand allenthalben in der Deprivation jeglicher Männlichkeit.
Die Grundlage, auf der die scheinbar paradoxe Mischung aus Männlichkeitsidealisierung und -abwertung des Konzepts queer beruht, analysiert Hüttinger als eine zugleich körperbetonte und körperfeindliche, die letztlich inhaltsleer bleibt:
Wie in vielen Lebensbereichen, so wird auch in den anthropologischen Zuschreibungen die Virilität zum einzigen Referenzsystem. Viril sind Heilige per se, Queers offensichtlich auch – der gemeinsame Nenner ist „virtus“, die Mannhaftigkeit an sich, eine aus der Antike tradierte christliche Tugend, der Reinheit nahestehend. (…) Eine neuerlich sexistische Bewertungsproblematik erhebt das Queer-Sein mit seinem hypersexuellen Männlichkeitstypus zum Maßstab gegenüber dem von der Norm abweichenden Schwul-Sein. Insofern versteht sich die Verqueerung als eine bloße Form, die grundsätzlich jeder Mens-Health-Ideologie und selbstredend deren Kontradiktion offen steht.
Demgegenüber hält Hüttinger daran fest, Schwul-Sein sei mannhafter, weil gewagter, als das Queer-Sein, was nicht zuletzt daran liege, dass Schwule der Gesellschaft auch weiterhin ihre Geschlechtlichkeit und ihre Individualität zumuten bzw. darüber definiert würden:
Der queere Körper wird heute als ein kollektiver und sozialer Körper, der schwule als ein nach wie vor geschlechtlicher Körper wahrgenommen.
Für Leidenschaft und Romantik bliebe in den theoretischen Wirren queeren Lebens entsprechend kein Platz, weshalb solch archaische Begierden den rückständigen Schwulen zugeschrieben würden. Wenn das kein Grund ist, schwul zu bleiben.
Es wäre mir neu der der queere Körper überhaupt öffentlich wahrgenommen wird. An der Öffentlichkeit geht das Konzept Queer doch total vorbei.
Queer heißt alles und nichts. Ich bleibe bodenständig und schwul. Einen Verlust an Männlichkeit sehe ich damit nicht verbunden.