Normal, na und?

23 Nov

Neue Studien zum Thema „Homosexuelle Männer in der frühen Bundesrepublik“ verspricht der Band „Ohnmacht und Aufbegehren“. Enthalten ist ein Einblick in die „Homophilenbewegung“ der 1950er Jahre, die vor den späteren studentisch geprägten Aktivisten keine Gnade fand:

Die Studenten nahmen jene bürgerlichen Intellektuellen, die Humanitätsappelle an Regierung und Öffentlichkeit richteten und kaum selbst zu sagen wagten, dass sie in eigener Sache sprachen, kaum ernst. (…) Sie machten ihr „Schwulsein“ öffentlich und zum Programm.

Spannend finde ich, dass Praunheims 1971 geäußerte Kritik an der schwulen Subkultur zuvor längst von Vertretern der „Homophilenbewegung“ formuliert worden war, die sich ebenso an Promiskuität und Anonymität der Szene gestört hatten. Bemerkenswert auch der Verweis auf

nationalstaatliche Besonderheiten. Die Homosexuellenpolitik der frühen Bundesrepublik übertrifft mit ihrer forcierten staatlichen Unterdrückung und Verfolgung von Homosexuellen bei weitem ihre europäisch-nordatlantischen Bündnispartner und Nachbarn. In keinem anderen Land war die staatliche Verfolgung homosexueller Männer durch Polizei und Justiz so intensiv, waren die Verurteilungszahlen so hoch wie in der Bundesrepublik.

Warum das so war?

Bewährt erscheinende staatliche Verfolgungsstrukturen aus der NS-Zeit konnten aktiviert und an homophobe Feindbilder und Bedrohungsszenarien konnte angeknüpft werden.

In den Medien kamen Homosexuelle meist als „Kriminelle“ und „Sittenverderber“ vor und selbst nicht zu Wort. Bis in die 80er Jahre hinein waren weder

die anderen NS-Verfolgten und ihre Erinnerungskollektive, noch die politische Klasse der Bundesrepublik (…) dazu bereit, sich den Opfern der Homosexuellenverfolgung zuzuwenden.

Im Gegenteil, wirkten nicht wenige Linke aktiv an der postfaschistischen Verfolgung homosexueller Männer mit. So erklärte z. B. der Hamburger Gesundheitssenator Friedrich Dettmann (KPD) 1946 einem im NS nach § 175 Verurteilten und Inhaftierten, der eine Wiederaufnahme des Verfahrens und Freispruch verlangte:

Vergessen Sie doch nicht, dass Sie nach dem gesunden Volksurteil mit Recht bestraft sind, ganz gleich uner welchem Regime. Sie scheinen der irrigen Auffassung zu sein, dass Kommunisten irgendwie doch den homosexuellen Standpunkt teilen.

Auch der Kampf gegen Homosexuellenzeitschriften wurde in Hamburg durch Politiker geführt,

die der SPD angehörten und zu den Verfolgten des Nationalsozialismus gehört hatten

– darunter Fritz Sänger, später Chefredakteur der dpa, Bundestagsabgeordneter und Mitautor des Godesberger Programms, sowie Max Zelck aus der Freidenker- und Jugendweihe-Bewegung. Der Kampf gegen den § 175 hingegen wurde in Hamburg – manche mag es überraschen – geführt von evangelischen Juristen.

Beeinflusst waren diese Juristen vor allem von englischen Bemühungen um die Aufhebung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen, die von der Anglikanischen Kirche, der Katholischen Kirche Englands, den Quäkern und der Konservativen Partei ausgegangen waren

und so ist es kaum noch überraschend, dass eine veränderte Haltung gegenüber den homosexuellen Opfern des Faschismus in der Politik ausgerechnet von einem CDU-Politiker kam:

Es war der deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der auf einer Veranstaltung zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus erstmals die Opfergruppe der Homosexuellen in seiner Rede öffentlich erwähnte, sie an die Seite der anderen Opfergruppen stellte und sie in das kollektive Gedenken einschloss.

Es folgte 1994 die Abschaffung des Sonderparagraphen 175.

Sieben Jahre später, im Jahr 2001, entschuldigte sich die Bundesregierung offiziell für die Verfolgung der Homosexuellen und das lange Verschweigen. Und im Mai 2002 beschloss der Bundestag die strafrechtliche Rehabilitierung der verfolgten Homosexuellen mit einer weitgehenden Aufhebung der NS-Urteile.

War damit alles „wiedergutgemacht?“ Ein Versuch „wiederherstellender Gerechtigkeit“, der über den Ausgleich des Unrechts in Form von Individualrestitution, Rehabilitierung und Entschädigung hinausgeht, nennt sich „Restorative Justice“. Diese

zielt auf einen Prozess wiederherstellender Gerechtigkeit durch eine weitergehende gesellschaftliche Transformation. (…) Es geht um einen gesellschaftlichen Heilungsprozess, der die Wunden nicht verschweigt, die Verletzungen anerkennt und nach Maßnahmen sucht, um das, was in der Gesellschaft durch die Verfolgung Homosexueller an Schaden angerichtet wurde, zu bewältigen. Nicht nur die Opfer, auch die Gesellschaft hat Schaden genommen.

Konkreter Ausgleich kann hergestellt werden bspw. durch Antidiskriminierungspolitik sowie rechtliche Gleichstellungspolitik. Martin Dannecker würde das vermutlich als reformistischen Quatsch abtun, schließlich haben wir es mit einer Bewegung zu tun, die

ihren politischen Kampf  als einen Kampf um Anerkennung führt und den Erfolg ihrer Politik am Grad des gesellschaftlichen Wohlwollens und der zugestandenen Freiheitsspielräume misst.

Was ist daran so problematisch?

Es ist eine Position der Ohnmacht, in die sich eine ausschließlich um Anerkennung kämpfende Politik begibt. Denn jeder, der als Angehöriger einer Minderheit um Anerkennung kämpft, begibt sich notwendig in eine Position der Abhängigkeit von jenen Instanzen, von denen er anerkannt werden möchte. Das führt zwangsläufig dazu, dass er das, was er zur Anerkennung bringen möchte, nach den Ansprüchen der anerkennenden Instanzen zurechtmodeln muss.

Ist das tatsächlich so? Ist es nicht einfach üblich in einer Demokratie, dass unterschiedliche Interessen darauf angewiesen sind, sich zueinander ins Verhältnis zu setzen? Und ist eine gewisse Anpassung an die Umgebung nicht geradezu – Verzeihen Sie mir das böse Wort! – natürlich? Umgekehrt gehört selbstredend zu einer gelungenen Integration auch eine  Anpassung der Umgebung an mich und meine Bedürfnisse. Die Gegenseitigkeit aber fehlt mir völlig in der Position von Dannecker. Da ist nur Platz für mich und die anderen haben sich damit abzufinden. Kann man so Gesellschaft gestalten? Wobei es fraglich ist, welche Existenzberechtigung Dannecker einem „bürgerlichen“ Schwulen wie mir, der kein Loblied auf anonymen Klappensex singt, überhaupt zugesteht. Letztlich hat der Schwule bei Dannecker schließlich nicht seinem Hedonismus zu frönen, sondern seine historische Aufgabe zu erfüllen, die er schon 1972 so formulierte:

Brüder und Schwestern, ob warm oder nicht, den Kapitalismus bekämpfen ist unsere Pflicht.

Entspannter angehen lässt es Jan Feddersen, dessen Beitrag den Band beschließt. Er erzählt , wie Anfang der 80er Jahre in schwulen Bewegungszusammenhängen immer noch Konflikte ausbrachen zwischen den Jungen, Frechen und den Alten, Vorsichtigen. Diese

liebten die Kultur des Dunklen und Dräuenden, sie bevorzugten das Wort „verzaubert“ (statt: schwul), sie waren wahnsinnig uneigentlich und verklemmt.

Doch ist der Unterschied zwischen den Aktivisten der 1970er Jahre und ihren ungeliebten Vorgängern der 1950er Jahre wirklich so groß ?

Die Liebe zum Dunkeln, zum Underground, zur Aversion gegen das Bürgerliche, haben die Männer der 1950er Jahre, die gebrochenen Prinzen, perfekt weitergegeben. Auch die Schwulenbewegung der 1970er Jahre, die weder homophil noch gay sein wollte, hat diese Erbschaft übernommen: In der Einbildung, ganz anders als die Heterosexuellen zu sein. Sie vergötterten ihren Sex, ihre Promiskuität, ihre Darkrooms und ihre Differenz zum angeblich ewig-spießigen Heterosexuellen. Dass in dieser Weltwahrnehmung jede Menge altbürgerlicher Pathos steckt, entging ihnen vollständig.

Mut zur Normalität wäre eine Lehre aus dieser Geschichte.

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