Es ist schrecklich ermüdend, etwas über das Thema Homosexualität zu schreiben, wenn andere Dinge doch so viel interessanter sind. So hat etwa die UNO einen Bericht vorgelegt, in dem erstmals die Verfolgung und Diskriminierung homosexueller Menschen kritisiert wird, und den Mitgliedsländern Maßnahmen empfohlen werden, die Verfolgung und Diskriminierung abzustellen. Und? Wen juckt es? Nun ja, mich ehrlich gesagt nicht, denn den eigentlich Angesprochenen – also den Versagerländer aus Afrika und Asien nebst Russland – geht das sowieso am Allerwertesten vorbei. Sie werden weiterhin auf ihre „Souveränität“ pochen, auf ihr „Recht“ als selbstständige Staaten Gesetze zu erlassen um die Gesellschaft zu formen und „zu gestalten“. Und wenn sie ganz clever sind, verweisen sie auf die Demokratie, auf die Volksmeinung in ihren Ländern, die Homos nun mal als veritable Untermenschen sieht.
Was mein Blut dagegen so richtig in Wallung gebracht hat, war ein ganz anderer Artikel, einer der überhaupt nichts mit Schwulen, ja nicht mal mit Lesben zu tun hat, ein Text der im „Tagesspiegel“ veröffentlicht wurde, von einem gewissen Harald Welzer, seines Zeichens „Kulturwissenschaftler“ (man verzeihe mir, wenn ich bei dieser Berufsbezeichnung die Augen verdrehe), also einer von den zahllosen Dampfplauderern der links-grünen intellektuellen Elite, die uns tagtäglich erklären wollen, wie die Welt beschaffen ist, ohne freilich zu wissen, wie die Welt tatsächlich beschaffen ist.
Zugegeben, als quasi libertärer Anarchist ist mein geistig-politisches Wesen Lichtjahre vom allgemeinen Denken entfernt, und höre ich Worte wie „Demokratie“, „Kapitalismus“ und „Gerechtigkeit“, denke ich naturgemäß an etwas ganz anderes als der gewöhnliche Sozi aus Bottrop oder der grüne Oberstudienrat aus Freiburg.
Dennoch ist mir unbegreiflich, wie man sich angesichts der einleitenden Zusammenfassung von Welzers Pamphlet nicht an den Kopf fassen kann, so weit ab von der Realität ist es, was da geschrieben steht:
Die Institutionen versagen, die Politik verabschiedet sich. Unser System verdampft, weil der Markt allein das Geschehen reguliert. Und alle schauen zu.
Der Witz daran ist, dass diese Worte quer durch die Bundesrepublik, von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen und von Aachen bis Görlitz, sicherlich von den meisten mit einem tief seufzenden “ Na endlich sagt es mal einer“ quittiert werden, dabei ist die Aussage vollkommener Blödsinn. Wann bitte schön, hat sich die Politik verabschiedet? Sitzt sie nicht immer noch fett und bräsig wie eh und jeh im Bundestag, im Landtag, im Kreistag, in den Gemeinde- und Rathäusern, in den Amtsstuben und Behörden jedes noch so kleinen Kuhbläke? Werden nicht Jahr für Jahr tausend neue Gesetze und Verordnungen erlassen, die jede Kleinigkeit, jeden Unsinn und jedwede zwischenmenschliche Angelegenheit regulieren? Muss nicht jeder Bundesbürger Jahr für Jahr tausenden Formulare irgendeiner Behörde ausfüllen, bekommt er nicht Jahr für Jahr zahllose behördliche Briefe, die alle mit der Lüge beginnen „Sehr geehrte/r“?
Der Markt alleine reguliert das Geschehen? Schön wäre es! Aber wo ist das denn der Fall? Wir haben ein staatliches Schulsystem. Wir haben ein staatliches Gesundheitssystem. Unsere Infrastruktur wird staatlicherseits kontrolliert und in Gang gehalten. Wir haben einen durch und durch regulierten Arbeitsmarkt. Jeder der ein Unternehmen gründet, muss tausende Auflagen beachten und hunderte Anträge ausfüllen. Unser Steuersystem? Unverständlich und allumfassend. Was ist mit unserer Währung? Politisch verordnet, natürlich. Unserem Finanzsystem? Staatlich reguliert. Ist es nicht der Staat, die Politik, sind es nicht die demokratisch legitimierten Volksvertreter welche „notleidende Banken“ mit Steuergeldern „gerettet“ haben? Ja, sie sind es! Der angeblich alles regulierende Markt hätte dies jedenfalls nicht getan.
Die Aussage, der Markt würde alles regulieren, ist angesichts der bundesdeutschen Realität eine Absurdität sondergleichen und kann nur von einem Kulturwissenschaftler kommen, der den Markt mit einem Politiker verwechselt, welcher dem Bürger Steuergelder abpresst um es seiner eigenen Klientel in den Hintern zu schieben. Letzteres ist übrigens die Definition von Politik. Nicht mehr und nicht weniger.
Natürlich macht sich Welzer in seinem Erguss Sorgen um die Demokratie, dem Lieblingswort aller wohlmeinenden Menschen. Demokratie ist nämlich super toll. Zwar weiß keiner so richtig warum – denn wer würde sich schon gerne von der Mehrheit seiner Mitmenschen sagen lassen, wie man zu leben, was zu denken und mit wem man ins Bett zu gehen hat? – doch ist die Demokratie andererseits das „perfekte Verbrechen“, denn nur sie gestattet es, über andere Menschen zu herrschen, sich in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen, das Leben seiner Nachbarn zu reglementieren – und sich dabei auch noch gut zu fühlen.
Welzers Plädoyer für demokratische Offenheit, die er angesichts eines allumfassenen Marktes bedroht sieht, lässt mich ratlos und staunend vor meinem Rechner sitzen. Demokratie versus Marktwirtschaft? Natürlich würde ich die Marktwirtschaft vorziehen. Gehe ich auf Shoppingtour, suche ich mir nämlich sowohl die Geschäft als auch die Produkte gerne selbst aus, und lasse nicht vorher erst das Volk wählen, was man denn in den Einkaufswagen legen darf.
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