Welches ist die „Most Gay Friendly City“ im Nahen Osten? Keine Frage, Tel Aviv. Anlässlich des Gay Pride Month hat die israelische Botschaft in Berlin eine Sonderausgabe ihres täglichen Newsletters über Lesben und Schwule in Israel produziert. Darin findet sich eine Chronologie der schwul-lesbischen Emanzipation im Land, eine Replik auf den Vorwurf des „Pink Washing“ sowie ein Beitrag über die ermutigende Entwicklung der Situation von Schwulen und Lesben in der israelischen Armee. Die Chronologie verdient eine ungekürzte Wiedergabe, da allein diese Übersicht dem Vorwurf des „Pink Washing“ jede Grundlage entzieht:
1975: Gründung der ersten israelischen Organisation für Schwule, die „Gesellschaft für Schutz der persönlichen Rechte“. Die Organisation heißt heute „Israelische Gesellschaft für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender“. Sie ist allgemein bekannt als „Ha-Aguda“.
1. März 1988: Die Knesset hebt das Gesetz auf, nach dem Homosexualität strafbar war.
1992: Die Knesset beschließt ein Gesetz gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund von sexueller Orientierung
1993: Die Knessetabgeordnete Yael Dayan (Ha-Avoda) gründet den Knesset-Unterausschuss für lesbische, schwule und bisexuelle Themen.
November 1994: Der Oberste Gerichtshof spricht dem Partner eines Flugbegleiters der Fluggesellschaft El Al dieselben Vergünstigungen zu wie verheirateten heterosexuellen Partnern.
1997: Der Oberste Gerichtshof kippt eine Entscheidung von Bildungsminister Zevulon Hammer (Mafdal), eine Fernsehsendung über homosexuelle Teenager zu verbieten.
1998: Gleichgeschlechtliche Partner erhalten Pensionsrechte
Juli 2003: Die Stadt Tel Aviv gewährt homosexuellen Paaren für Kultur- und Sportveranstaltungen dieselben Vergünstigungen wie heterosexuellen verheirateten Paaren
November 2006: Der Oberste Gerichtshof stellt in einem Präzedenzurteil fest, dass fünf schwule Paare, die in Kanada geheiratet hatten, ihre Ehe in Israel registrieren lassen können.
Januar 2007: Im Innenministerium in Jerusalem lässt das erste schwule Ehepaar, Avi und Binyamin Rose, seine im Ausland geschlossene Ehe registrieren.
März 2007: Das Bildungsministerium erkennt die „Israelische homosexuelle Jugendorganisation“ (IGY) offiziell an und ermöglicht ihr damit, staatliche Gelder zu erhalten. IGY, eine Unterorganisation der „Aguda“, besteht seit 2002 und bietet Unterstützung für jugendliche Homosexuelle zwischen 15 und 23 Jahren.
12. Februar 2008: Die israelische Regierung gesteht homosexuellen Paaren dieselben Adoptionsrechte zu wie heterosexuellen.
25. April 2008: Zum ersten Mal wird eine Auslandsadoption durch ein homosexuelles Paar anerkannt. Das adoptierte Kind, ein achtjähriger kambodschanischer Junge, erhält die israelische Staatsbürgerschaft.
März 2012: In einem Präzedenzurteil gestattet es das Familiengericht Ramat Gan zwei Frauen, sich ab der Geburt als Mütter eines gemeinsamen Kindes registrieren zu lassen. Das lesbische Paar hatte 2007 einen Sohn bekommen – dabei war die mit Spendersamen befruchtete Eizelle der einen Frau ihrer Partnerin eingesetzt worden, die das Kind austrug und zur Welt brachte.
Mai 2012: Die von der Regierung eingesetzte Kommission zur Untersuchung von Fertilität und Geburt empfiehlt, künftig auch homosexuellen Paaren zu gestatten, mittels einer Leihmutter Eltern zu werden.
Auch zum Thema „Pink Washing“ lohnt ein Blick zurück:
Wir leben heute in einem der fortschrittlichsten und aufgeklärtesten Staaten weltweit, was die Rechte von Schwulen und Lesben betrifft. Doch diese Realität ist nicht aus sich selbst heraus entstanden. Bis vor weniger als 25 Jahren war Homosexualität in Israel noch strafbar. In den letzten beiden Jahrzehnten wurden viele persönliche und öffentliche Kämpfe geführt, um gleiche Rechte für die schwul-lesbische Community zu erreichen. Und ein Teil dieser Kämpfe (so beispielsweise das Recht auf Elternschaft) dauert noch an.
(…)
Doch was ist mit den Rechten der Palästinenser und anderer Minderheiten in Israel, in deren Namen die Unterstützer der These vom „Pink-Washing“ sprechen?
Erstens ist die Behauptung vollkommen unsinnig, Menschen, die für Freiheit und Frieden sind, könnten sich nicht an der israelischen Öffentlichkeitsarbeit beteiligen, solange nicht alles Schlechte am Staat beseitigt ist. Jeder Staat hat seine Vor- und Nachteile, und wir dürfen genauso wie jeder andere Staat die Vorteile feiern, während wir unablässig daran arbeiten, die Nachteile zu korrigieren.
Zweitens führt die Tatsache, dass die schwul-lesbische Community eine Gemeinschaft geworden ist, die vom israelischen Establishment gefördert wird, dazu, dass die israelische Gesellschaft insgesamt toleranter gegenüber Menschen wird, die „anders“ sind. Die Erfolge der schwul-lesbischen Community bahnen auch den Weg für andere Gruppen. Daher hilft die Aktivität auf diesem Feld nicht nur der schwul-lesbischen Community sondern auch dabei, die Toleranz insgesamt zu fördern und echte und umfassende Rechtegleichheit in Israel insgesamt zu erreichen.
Und so werden in diesem Jahr in Tel Aviv Zebrastreifen regenbogenfarben angestrichen und das Büro des Armeesprechers postet zur Gay Pride Week 2012 via Facebook ein Foto von zwei Hand in Hand gehenden Soldaten. Soweit sind wir selbst in Westeuropa lange nicht. Auch deshalb: Weiter so, Israel!
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