Die Schweizer CVP wirbt ab heute mit einem neuen Plakat um Wähler. Es zeigt ein schwules Paar über dem Slogan „CVP – anders als man denkt“. Darüber beschwert sich Christoph Mörgeli von der SVP mit den Worten:
Einmal mehr versucht es die CVP mit krampfhaft pseudomoderner Urbanität.
Wie die CVP es ihm wohl recht gemacht hätte? Vielleicht mit einem schwulen Paar beim Sado-Maso-Sex? Da weiß man, was man hat.
Claudine Esseiva von der Schweizer FDP fragt ganz schlau nach:
‹Anders als man denkt› – ja wie denn?
Nun, der Slogan „Anders als man denkt“ ist nicht nur auf die Präsenz von Homosexuellen in der Partei beschränkt, wie ein im Artikel abgebildetes weiteres Plakatmotiv belegt. Und was damit gemeint sein soll, ist doch gar nicht so schwer zu begreifen: Die CVP ist anders als man denkt. Markus Hungerbühler, einer der zwei abgebildeten Herren, bringt es auf den Punkt:
Wir wollten mit dem gängigen Klischee aufräumen, CVP-Mitglieder seien im Durchschnitt 70 Jahre alt und regelmässige Kirchgänger.
Funktioniert aber offenbar nicht, denn Esseiva hat noch mehr auszusetzen. Für sie
kommt die Kampagne «versteckt und leicht verschämt»daher: «Zwei CVP-Herren.
Zwei (!) Herren (!). Das ist ja nun wirklich der Gipfel der Spießigkeit. Weiß doch jeder, dass Schwule nur im Rudel bumsen und den Fummel auch beim Sex nicht ausziehen. Überhaupt: Das ganze Plakat ist nicht im geringsten sexualisiert. Und das wollen Schwule sein? Von wegen, „anders als man denkt“. Und dann hat die CVP noch nicht mal die richtigen Punkte im Programm:
Esseiva spricht von konkreten Forderungen wie zum Beispiel die mögliche Adoption für gleichgeschlechtliche Paare.
Und so wiederholt sich auch hier das übliche Drama, das wir aus Deutschland bereits zur Genüge kennen. Sich selbst für homofreundlich haltende Menschen versuchen anderen Menschen vorzuschreiben, wie man sich für Schwule einzusetzen habe und jenen, wie sie auszusehen haben: Anders.
“ Sich selbst für homofreundlich haltende Menschen versuchen anderen Menschen vorschreiben, wie man sich für Schwule einzusetzen habe und jenen, wie sie auszusehen haben: Anders.“
Was manche Schwule aber auch selber tun, wie ich festgestellt habe.
Ist man nicht „anders“, kann einem schnell der Vorwurf des Selbsthasses, der Überanpassung oder der Identifikation mit dem Aggressor um die Ohren gehauen werden.
Seitdem von Praunheim schrieb:
„Die Mehrzahl der Homosexuellen gleicht dem Typ des unauffälligen Sohnes aus gutem Hause, der den größten Wert darauf legt, männlich zu erscheinen. Sein größter Feind ist die auffällige Tunte. Tunten sind nicht so verlogen wie der spießige Schwule. Tunten übertreiben ihre schwulen Eigenschaften und machen sich über sie lustig. Sie stellen damit die Normen unserer Gesellschaft in Frage und zeigen, was es bedeutet, schwul zu sein.“
hat sich glaube ich nicht so viel geändert. Ok, dass man Tunte sein „muss“, um „richtig“ schwul zu sein (zeigen was Schwulsein bedeutet), das ist vergangen.
Aber eine einigermassen monogame feste Beziehung mit einem Mann, vielleicht sogar gemeinsames Haus usw. und einfach „unauffällig“ vom Auftreten, Interessen und Optik her, das ist „spießig“ und das tut man nur um sich bei der Heterowelt anzubiedern bei gleichzeitiger Verleugnung der „wahren“ schwulen Identität.
Kommt mir zumindest so vor als sei das teilweise noch immer so, also dass das von „normalen“ Homosexuellen angenommen wird.
Deshalb ja auch die Begriffe „Straight Acting“ und „Heterolike“ (dass das unterschiedliche Sachen sind, weiss ich mittlerweile).
Wenn ich mir so überlege, muss das doch ein ziemlicher Schlag in die Magengrube sein, wenn man gerne zu Kickboxkämpfen geht und gerne mal ein paar Bierchen zischt und dann gleich einer kommt und sagt „du verleugnest dich selbst, du versuchst, wie ein Hetero zu sein“.
@Atacama:
Was ein Grund für den Fortbestand dieses Blogs ist. Natürlich ist es ok, als Schwuler tuntig zu sein, ebenso wie es ok ist, als Schwuler Macho zu sein. Oder einfach ganz unaufällig. Heutzutage muss man keine Tunte mehr sein, um „richtig“ schwul zu sein, aber es gibt genug andere Regeln, die man nicht verletzen sollte, um von der Community-Polizei nicht einen Platzverweis zu erhalten. Das geht los mit dem Denken (links muss es in jedem Fall sein), setzt sich fort bei den sexuellen Aktivitäten (immer mit demselben ist ganz schlecht, ein bisschen schmutzig sollte es in jedem Fall sein), der Eigentumsfrage (Haus geht gar nicht, Eigentumswohnung ist aber auch schon böse) und endet nicht bei den Accessoires (letztens habe ich einen Eintrag zum transgenitalen CSD gelesen, da hat man eine Bösewichtin an ihrer teuren Sonnenbrille erkannt!).
Was wir uns immer wieder mal fragen, ist: Wieviele (Schwule) sind das eigentlich, die Schwule unbedingt „anders“ haben wollen? Bloß weil sie häufig die Klappe aufreißen, müssen sie ja nicht zahlreich sein. Den Eindruck wollen sie aber in jedem Fall erwecken, so wie sie immer „im Namen der Community“ sprechen.
Ich erklär mir das einfach mit Neid, weil die Leute sich nicht trauen, ihre selbstgebauten Identitätsgefängnisse zu verlassen.
Na dann scheine ich mit meinen Eindrücken ja nicht so falsch zu liegenAuch wenn der Satz alt ist, sollte man von Praunheim da nochmal mit der Nase drauf stoßen.
Der enthält gleich drei Beleidigungen:
1. Wer schwul ist, ist nicht männlich. Wenn überhaupt „erscheint“ er nur so (während er innerlich jeden Tag Sturzbäche von Tränen weint weil er in Wahrheit viel lieber mit goldener Hotpants und pinken Moonboots aus dem Haus will und in seiner Jeans Höllenqualen leidet. Er traut sich bloß nicht)
2. Wer nicht tuntig oder sonstwie „Geschlechternormen“ durcheinanderwirbelt (über das Zusammensein mit dem gleichen Geschlecht hinaus), ist a.) verlogen (!!) und b.) spießig.
Und
3.
Offenbar bedeutet „Schwul“-Sein nicht, Männer zu lieben, jedenfalls nicht nur, nein, es muss noch ein politisches bzw. gesellschaftskritisches Statement dahinter sein und es gibt „schwule Eigenschaften“ und nur die Tunte kann richtig zeigen was „Schwul“ bedeutet.
Irgendwie scheint bei solchen Leuten „schwul“ etwas anderes zu bedeuten als „homosexuell“.
Ich kenne einen Mann der in seiner Jugend aufgrund dessen Probleme mit dem Coming Out hatte weil er wirklich -aus sich selbst heraus – extrem klischee-maskulin ist, sowohl vom Auftreten als auch Interessen her ( hat auch eine Zeit lang als Türsteher gearbeitet und sieht auch so aus,) und der wollte sich nicht outen weil er der Meinung war, er könne ja nicht schwul sein, wenn schwul = tuntig oder bestenfalls Westerwelle ist.
Man muss sich ja nicht Bomberjacke anziehen und Steroide nehmen um männlich zu sein, aber mir scheint es schon so, dass in der Szene ein ziemlicher Fokus auf….ich weiss nicht wie man das nennen soll, aber „ganz normale Standardmännlichkeit“ scheint da nicht so gerne gesehen zu sein (oder ich war immer auf den falschen Partys).
Wenn Männlichkeit vorkommt, dann eher in überzogener Form, also dann zieht man sich eine Ganzkörperlederpolizeiuniform an oder ein Skinheadoutfit oder wie siehst du das?
Ich weiß nicht, ob man Praunheim da erinnern muss. Vermutlich denkt er heute noch genauso wie damals. So wie manch anderer aus dieser Zeit, der heute immer noch darauf besteht, dass Schwulsein ein Programm ist. Zum Beispiel Martin Dannecker, vgl. hier und hier.
Dein Türsteher ist nicht der Einzige mit solchen Coming-Out-Problemen. Ich kenne eine ganze Reihe von Schwulen, die sich mit ihrem Coming-Out auch oder sogar nur deshalb schwer getan haben, weil sie nicht so waren wie die, die man ihnen als role models vorgestellt hatte (seitens der ach so toleranten Gesellschaft oder seitens anderer Schwuler).
Die übertriebenen Männlichkeitstypen haben ja eher sexuellen (Fetisch-)Charakter, das kann man von den Tunten gerade nicht behaupten. Zumindest habe ich noch keinen Schwulen getroffen, der auf Tunten stand. Selbst die politischsten wollten dann letztlich doch „richtige“ Männer, die sollten schlank sein und was auch immer.
Vielleicht findet man die ganz normalen Schwulen eher nicht auf schwulen Partys?
Meiner Erfahrung nach trifft man ganz normale schwule Männer in manchen schwulen Vereinen und Clubs (Kirche, Sport, Politik, Freizeit, etc.) und vermutlich überall dort, wo sich Menschen nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zusammengefunden haben.
Das Problem ist doch viel mehr, dass die CVP sich ansonsten überhaupt nicht für die schwulen einsetzt und jedes politische vorhaben Sabotiert was die LGBT rechte ausbauen würde.. Was sie natürlich mit ihrem christlichen Hintergrund rechtfertigen. Somit ist dieses Plakat eigentlich blosse Wählerverarsche.
@Mike: Ich verstehe das Plakatmotiv so, dass die CVP sich auch über schwule Mitglieder und Funktionäre freut. Schwule sind ja erst einmal genauso Bürger, Steuerzahler, etc. wie Heteros auch und haben nicht automatisch spezielle politische Forderungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Nicht jeder Schwule setzt sich für LGBT-Rechte ein. Ich sehe daher nicht, wo das „Verarsche“ sein soll. Sie fordern ja nicht auf dem Plakat bspw. das Adoptionsrecht für schwule Paare, um das dann in der politischen Praxis nicht durchzusetzen – das könnte man ev. als „Verarsche“ interpretieren.