Allein im schwulen Raum

1 Dez

Schwul zu sein ist kein Lebensstil, kein Beruf, keine Weltanschauung. Es ist einfach nur eine sexuelle Orientierung, ein simples romantisch-sexuelles Begehren eines Mannes zum eigenen Geschlecht.

Eine Binsenweisheit? Mitnichten! Seit Aufkommen der Schwulenbewegung artikulieren sich Stimmen, die sich mit der Tatsache der Homosexualität als sexueller Orientierung einfach nicht abfinden können. Da wären einerseits die homophoben Elemente jedweder Coleur, die aus der Homosexualität eine Dekadenzerscheinung, eine Sucht, eine Krankheit machen wollen.

Und auf der anderen Seite? Nun, dort tummeln sich eine Fülle zumindest politisch links stehender, oftmals im geistes- oder sozialwissenschaftlichen Bereich tätige Persönlichkeiten, die aus der Homosexualität so etwas wie eine Weltanschauung oder Kultur und aus Schwulen eine Art neuen Menschen kreieren wollen.

Zu ihnen gehört offenbar auch Prof. David Halperin, Professor für englische Literatur an der University of Michigan in Ann Arbor, der tatsächlich der Meinung ist, es gäbe so etwas wie eine schwule Kultur, die es zu pflegen gilt, und dass Homosexualität einerseits und schwul sein andererseits nicht das gleiche ist. In einem Interview mit dem Magazin „Männer“ erklärt er näheres hierzu, wobei queer.de einige Auszüge veröffentlicht hat:

Was macht einen Menschen schwul?

Jedenfalls nicht bloß der Sex, den er praktiziert. Sexuelle Betätigung unter Männern allein macht niemanden gay – homosexuell dagegen schon. Stattdessen gibt es aber alle möglichen Kulturpraktiken, die schwule soziale Welten von der Hetero-Gesellschaft unterscheiden.

Man muss allerdings umgekehrt nicht schwul sein, um daran teilzuhaben. Und manchmal sind schwule Kulturpraktiken wie das „Auftransen“ für schwule Männer schwerer zu akzeptieren als schwuler Sex – sie rufen eine Menge Verleugnung, Verachtung und andere phobische Reaktionen hervor. Wahrscheinlich weil sie mit Weiblichkeit assoziiert werden. Ich frage mich also, ob nicht Kultur vielleicht besser Auskunft über das Innenleben schwuler Männer gibt als ausgerechnet Sex.

Beide Absätze machen keinen Sinn, weil Halperin zwei Begriffe trennt und dann doch wieder zusammenführt: Ein Mann, der Sex mit Männern hat, ist also nicht schwul, sondern erst einmal homosexuell.  Gleichzeitig kann aber auch der nicht-schwule Mann an schwulen Kulturpraktiken teilnehmen ohne schwul zu sein, wobei zu diesen schwulen Praktiken auch das „Auftransen“ gehört, was aber für manche schwulen Männer dann doch schwerer zu akzeptieren sei als schwuler Sex (wo kommt der auf einmal her?), und das obwohl das „Auftransen“ doch eine schwule Kulturpraktik sei, die schwule Männer von ihren homosexuellen Geschlechtsgenossen unterscheidet. Alles klar?

Jedenfalls ist das gemeint, wenn ich sage, dass Schwulsein für gewisse Wertvorstellungen steht. Es ist nicht nur ein Zustand, ein Unfall, der uns passiert: Es ist eine Lebensart, die wir aktiv praktizieren, mit Auswirkungen auf die Art, wie wir leben, fühlen, und die Art, wie wir unsere eigenen Welten schaffen.

Ich verstehe kein Wort. Was ist damit gemeint, dass Schwulsein für gewisse Wertvorstellungen steht? Für welche? Und wie sieht diese schwule Lebensart aus?

Wenn ich sage, dass der große Wert traditionell schwuler Kultur in einigen seiner meist-verachteten Aspekten liegt, erkenne ich das durchaus an. Die meisten Schwulen würden diese gerne hinter sich lassen, wie du sagst. Und ich bestreite nicht, dass es Klischees sind. Aber ob wir sie hinter uns lassen wollen oder nicht, sie haben Bestand: Wie sonst lässt sich die immense Popularität von Lady Gaga bei Schwulen erklären? Aber mein Punkt ist nicht, dass Diven-Verehrung oder eine Art Besessenheit mit der Mutterfigur die Essenz schwuler Kultur ausmachen.

Ich würde gerne mal die Umfrage sehen, die es Halperin ermöglicht, Lady Gaga eine immense Popularität unter Schwulen zu attestieren. Ich jedenfalls habe an dieser Umfrage nicht teilgenommen. Andererseits, vielleicht ist das ja gerade auch der Kern in der Argumentation Halperins: dass ich eben nur homosexell bin und nicht schwul, weil ich mich weder „auftranse“ noch auf Lady Gaga stehe und auch keine Diva als Mutterfigur brauche?

Es gibt viele Formen von Weiblichkeit unter schwulen Männern: das Verkleiden als Drag Queens, das Anschauen alter Hollywood-Melodramen oder ganz speziell die Faszination für die Aristokratie oder die Royal Family.

Und wen meint Halperin jetzt mit „schwulen Männern“? Oben hieß es ja noch, der gleichgeschlechtliche Sex alleine mache Männer nicht schwul, sondern eben die schwule Kultur, die aus Drag-Queens, Lady Gaga und der Royal Family besteht. Sind also alle diejenigen Männer, die auf diese Dinge nicht abfahren aber dennoch mit Männern ins Bett gehen und  zusammenleben, nicht schwul?

Du schreibst, dass Homosexualität an vielen Schwule verschwendet sei. Das setzt voraus, dass sie einen eigenen Wert hat. Welchen?

Unser Schwulsein ermutigt uns, kritisch zu betrachten, was für andere Leute selbstverständlich ist. Vor allem die selbstentlarvende Natur heterosexueller oder heteronormativer sozialer Formen wie etwa die Ehe.

Aber wie kann Homosexualität an Schwulen verschwendet sein, wenn doch Homosexualität und Schwulsein gar nicht dasselbe ist? Oder meint Halperin das in Wirklichkeit gar nicht, sondern versucht mit Worten einen totalitären Standpunkt zu verschleiern, der darin besteht, dass jeder homosexuelle Mann sich in einer ganz bestimmten Art und Weise zu verhalten habe, auf die Art nämlich, die Halperin selbst für „schwul“ hält?

Und wieso bitte schön entlarvt sich die Ehe selbst, wenn man sie mit schwulen Augen kritisch betrachtet?

Als du den Kurs „How to be gay“ damals an der Uni gehalten hast, gab es ziemliche Aufregung. Die Leute müssen große Angst vor dir gehabt haben.

Ich weiß nicht, ob sie Angst vor mir hatten. Ich glaube, eine Menge Konservative sahen den Kurs als Bestätigung dafür, was sie immer schon dachten, was die Unis tun, ohne es zuzugeben: nämlich aus „normalen“ Teenagern schwule machen.

Ehrlich gesagt, ich würde asl Vater auch nicht wollen, dass mein Sohn eine Kurs Halperins besucht. Was sollte er da lernen? Dass es nicht reicht sich in einen anderen Mann zu verlieben? Dass er so zu leben hat wie Halperin es für richtig hält, nur weil er auf Männer steht? Dass man auf Lady Gaga stehen muss, weil man sonst aus der schwulen Gemeinschaft ausgestoßen wird?

Ich muss niemanden für einen Gay Lifestyle rekrutieren. Einige – Männer wie Frauen – sind kulturell eh schon schwul. Man muss dafür nicht homosexuell sein. Und es gibt eine Menge Schwuler, die keinen Schimmer haben, wie man kulturell schwul ist – ich gehörte früher auch dazu. Darum fand ich das Thema ja so interessant. Diesen Kurs zu machen und später das Buch zu schreiben, hat mich kulturell schwuler gemacht. Vielleicht in anderer Hinsicht auch.

Man mag mir verzeihen, aber der Satz, es gäbe eine Menge Schwuler die nicht wüssten wie man kulturell schwul ist, ergibt im Lichte dessen, was Halperin vorher über die Dualität schwul-homosexell gesagt hat, keinen Sinn. Aber es ist zumindest interessant, dass Halperin es als einen Maßstab schwuler Kultur ansieht, selbst ein Buch über schwule Kultur zu schreiben, in dem man munter definieren kann, was schwule Kultur ist. Interessant und zirkulär. Aber vielleicht ist das ja eine Form schwuler Logik?

Tatsache ist, dass einige Schwule heute immer noch oft mehr Bedeutung in nicht-schwulen Darstellungen finden als in schwulen.

Das liegt womöglich daran, dass einige Schwule die Darstellung von Schwulen in nicht-schwulen Darstellungen realistischer finden, zumindest wenn man unter nicht-schwulen Darstellungen versteht, dass dort nicht alle Schwule (oder Homosexuelle?) auf Lady Gag stehen.

Die Schwulenemanzipation hätte dem ein Ende setzen müssen.

Und wie? Indem man Blockwarte bezahlt, die dafür sorgen, dass Schwule nur so dargestellt werden, wie es „der Schwulenemanzipation“ passt?

Wir fragen nicht mehr, wie es sich anfühlt, schwul zu sein, oder verfechten die Art, wie wir anders fühlen. Wir sind nicht wirklich stolz auf unsere nicht-standardisierte Art zu leben und zu fühlen. Stattdessen haben wir einen leeren schwulen Stolz.

Nun, vielleicht ist das so. Aber wen interessiert das ?

4 Antworten zu “Allein im schwulen Raum”

  1. Atacama 1. Dezember 2012 um 16:40 #

    Hahahahahaha 😀 Sehr schön, ich habe sehr gelacht. Das klingt echt ziemlich verwirrt was er da erzählt. Er erzählt zwar viel, abe trifft irgendwie keine einzige klare Aussage, ich verstehe auch nicht was er will.

    „Ich würde gerne mal die Umfrage sehen, die es Halperin ermöglicht, Lady Gaga eine immense Popularität unter Schwulen zu attestieren.“

    Also ich verkehre öfters mal in „schwulen Kreisen“, im Sinne von „Szene“, was in meinem Fall Clubszene heisst (Klappen, Sauna und Cruisingclubs natürlich nicht XD), aber da wurde immer wirklich extrem viel Lady Gaga und Britney Spears gespielt. Vielleicht denkt er das deshalb.
    Und Lady Gaga setzt sich ja auch viel für LGBT Rechte ein und verwurstet das manchmal auch in ihren Videos. Alejandro z.B.
    http://www.metacafe.com/watch/4781175/lady_gaga_alejandro_official_music_video_new_full_video/

    Lederfetish-Bezug würde ich mal sagen. Und auf drag queen macht se auch oft.

    „Sind also alle diejenigen Männer, die auf diese Dinge nicht abfahren aber dennoch mit Männern ins Bett gehen und zusammenleben, nicht schwul?“

    Ich glaube, in etwa das will er damit sagen.

    In einem anderen Blog wurde vor Kurzem die tatsächliche oder angebliche Differenz zwischen „homosexuell“ und „schwul“ auch aufgegriffen am Beispiel von Jens Spahn.

    http://www.stevenmilverton.com/2012/11/20/spahn-will-kein-ferkel-sein/#more-8132

    Und wieder ein anderer hat sich auf eben diesen Blogeintrag kritisch bezogen.

    http://bronioblog.blogspot.de/2012/11/schwarze-schwule-schweinereien.html

    Offenbar besteht da Diskussionsbedarf. Ich dachte auch immer, dass schwul/homosexuell und lesbisch/homosexuell sich einfach auf die sexuelle Orientierung bezieht, aber offenbar gibt es Menschen die das anders sehen.

    Vielleicht heisst in den Augen dieses Mannes „homosexuell“ einfach dass man von der Empfindung her auf Männer steht und „schwul“ heisst alles was mit Gaypride, CSD, Regenbogenfahnen, Aktivismus und eben dem was er als schwule Kultur ansieht zu tun hat.
    Und es gibt ja auch Männer die damit nichts zu tun haben, vielleicht nicht einmal offen zu ihren gleichgeschlechtlichen Empfindungen stehen und deshalb auch kein diesbezügliches „kulturelles“ oder politisches Bewusstsein haben. Die sind dann eben nicht schwul, sondern stehen nur auf Männer.
    Aber das ist nur eine Vermutung.

    Vielleicht ist ein an Frauen interessierter unsportlicher Mann der sein Auto nicht selbst reparieren kann ja auch nicht straight sondern nur heterosexuell, who knows^^

  2. bombastu 2. Dezember 2012 um 23:26 #

    Die Wörter eines mündlich(?) geführten Interview in die Goldschaale zu legen, ist natürlich immer so eine Sache… klar, hier herrscht eine etwas unklare Terminolgie, aber grundsätzlich ist das doch nachvollziehbar. Es gibt zum einen eine homosexuelle Orientierung und zum anderen eine homosexuelle Kultur, welche besonders medial präsent ist und zu jener derzeit natürlich Lady Gaga gehört. Ich finde es erst einmal von großem Erkenntniswert zwischen diesen beiden Dingen zu unterscheiden und klarzustellen, dass das eine nicht zwangsläufig das andere bedingt. Man kann homosexuell sein, ohne zu dieser Kultur zu gehören und man kann zu dieser Kultur gehören, ohne schwul zu sein. (Die Unterscheidung zwischen homosexuell und schwul finde ich dann aber auch Humbug – es gibt eben zwei Betrachtungsweisen auf diese Begriffe…) Das ist jetzt aber eigentlich nicht die große Neuentdeckung, ist doch alles bekannt und alter Kaffee. Klar, aus diesem deskriptiven Ansatz nun normative Schlussfolgerungen zu ziehen, das geht mir auch auf den Senkel.

  3. Adrian 2. Dezember 2012 um 23:51 #

    „Es gibt zum einen eine homosexuelle Orientierung und zum anderen eine homosexuelle Kultur“

    Das möchte ich in der Form bestreiten. Es gibt höchstens kulturelle Ausprägungen, die unter Schwulen besonders beliebt sind. Aber eine „schwule Kultur“ gibt es ebensowenig wie es eine „heterosexuelle Kultur“ oder eine „weibliche Kultur“ gibt.

    „Klar, aus diesem deskriptiven Ansatz nun normative Schlussfolgerungen zu ziehen, das geht mir auch auf den Senkel.“

    Aber darum geht es Halperin doch offenbar.

  4. bombastu 3. Dezember 2012 um 00:17 #

    Nein, es gibt keine „schwule Kultur“ per se, das ist wohl richtig. Und – haha, paradox – trotzdem gibt es sie, und zwar in den Köpfen sehr vieler Menschen und den meisten medialen Repräsentationen des Schwulen… trauriger Fakt. Deswegen fand ich ja die Unterscheidung Halperins zuerst einmal brauchbar, weil der gemeine Mensch ja nicht zwischen „Homofürst“ und „homosexuell“ unterscheiden kann. Aber du hast recht: Sie ist eben doch nicht brauchbar, weil der Homosexuelle seiner Ansicht nach gefälligst immer auch Homofürst zu sein hat. Aber da hätte es keines solchen langen analytischen Artikels gebraucht: Ein einfaches „Verpiss dich und sag mir nicht, wie ich zu sein habe“ wäre wohl ausreichend gewesen. 😀

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