Kaiser ohne Kleider

3 Mai

Gespräche zwischen Religionsvertretern sind oftmals seltsam, manchmal erheiternd, zuweilen lehrreich, selten jedoch uninteressant. Als Quasi-Ungläubiger, der sich zwar einen Gott vorstellen kann, die Existenz eines Gottes aber für belanglos zur Beantwortung moralischer Fragen hält, lese ich desöfteren mit Staunen, wie die Beteiligten einer theologischen Diskussion versuchen, zwischen dem eigenen moralischen Kompass und einer jahrhundertealten biblischen Überlieferung einen Mittelweg zu finden, dem man logisch gerade noch so begründen kann.

Das Gespräch mit dem Rabbi Abraham Skorka und dem ehemaligen Kardinal und heutigem Papst Franziskus, Jorge Bergoglio, ist dafür ein gutes Beispiel. Entnommen wurde es dem Buch „Über Himmel und Erde. Jorge Bergoglio im Gespräch mit dem Rabbiner Abraham Skorka“. Die „Welt“ hat Auszüge aus diesem Buch veröffentlicht. Kernthemen sind hierbei die Rolle der Frau, Homosexualität, Abtreibung und Ehe.

Bergoglio: Wenn wir Christen von der Kirche sprechen, dann tun wir das in der weiblichen Form. Christus vermählt sich mit der Kirche, einer Frau. Die Stelle, an der man die meisten Angriffe erfährt, auf die am meisten eingedroschen wird, ist immer die wichtigste. Der Feind der menschlichen Natur – Satan – schlägt dorthin, wo es am meisten Erlösung, am meisten Übermittlung des Lebens gibt.

Ich bin sicher, dass diese These einiges an Widerspruch provozieren dürfte (und sollte), und das auch und gerade von Christen, die nicht katholisch sind. Die Kirche als „weiblich“ zu bezeichnen ist m. E. nicht nur eine Idee von atemberaubender Phantasterei, in der Verbindung mit der Kirche als Gemahlin Jesu ist sie geradezu dreist. Aus dem Jesus der Armen und Unterdrückten, dem ungebundene Rebell, der jeden Menschen liebt, wird mittels dieser Interpretation ein pflichtbewusster Ehemann, ein Beschützer der (katholischen) Kirche. Und eben jene Kirche wird als „Ehegattin“ Jesu, damit gewissermaßen sakrosankt und über jede Kritik erhaben.

Skorka: […] In vielen Kulturen besaßen und besitzen Männer mehr Macht als Frauen. So war auch das jüdische Volk nicht gegen diese Einflüsse gefeit und natürlich auch nicht gegen eigene Niedertracht. Noch heute gibt es jüdische Gemeinden mit strengen Regeln für den Umgang zwischen Mann und Frau. Dort ist es beispielsweise verboten, dass ein Mann einer Frau, die nicht die eigene ist, die Hand oder einen Wangenkuss gibt. Das hat etwas damit zu tun, den niederen Instinkten entgegenzuwirken.

„Niedere Instinkte“. Eine bezeichnende Umschreibung für die Angst und Besessenheit von Religionen, mit allem, was auch nur im Entferntesten an Sexualität erinnern könnte. Menschen mit einem gesundem Bild von Freundschaft, Liebe und Sexualität würde es nicht in den Sinn kommen, in Höflichkeiten wie dem Hände geben oder dem Wangenkuss, sofort die höllischen Vorboten eines „niederen Instinktes“ zu entdecken. Ja, sie würden nicht einmal in einvernehmlicher Sexualität etwas „niederes“ erkennen können. Die negative Obsession monotheistischer Religionen mit der Sexualität ist eines der größten Hindernisse auf ihrem Weg zur ethischen Erleuchtung. Und niemand kann ein lauteres Lied davon singen als Frauen und natürlich homosexuelle Menschen.

Skorka: […] Wir müssen zunächst einmal zur Kenntnis nehmen: Es gibt viele Paare gleichen Geschlechts, die zusammenleben und für die in Fragen wie Rente, Erbschaft und so weiter eine gesetzliche Lösung gefunden werden muss, gerne auch in Gestalt einer neuen Rechtsform.

Klingt ja richtig fortschrittlich, menschlich und mitfühlend. Doch obacht, immerhin spricht hier der Vertreter einer Religion. Und deshalb folgt das „aber“ auf dem Fuß:

Aber homosexuelle und heterosexuelle Paare auf eine Stufe zu stellen ist etwas völlig anderes. Dies ist keine reine Ansichtssache mehr, dies berührt den Wesenskern unserer Kultur. Das jüdische Gesetz verbietet sexuelle Beziehungen zwischen Männern. In der Bibel steht: „Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft. Das wäre ein Gräuel.“ Das Ideal des Menschen ist deshalb seit der Genesis die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau. Da ist das jüdische Gesetz ganz klar: Homosexualität darf es nicht geben.

Wenn Rabbi Skorka seine Meinung zur Homosexualität schon mit Leviticus 18:22 begründet, sollte er doch bitte so konsequent sein und auch noch die Passage 20:13 zitieren, in der es heißt:

Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben; Blutschuld lastet auf ihnen.

So, Herr Rabbi, nun sind wir mal gespannt! Das jüdische Gesetz verbietet demnach nicht nur sexuelle Beziehungen zwischen Männern – Ihre Worte -, nein, es sieht dafür sogar die Todesstrafe vor. Befürworten Sie das?

Ausgehend von Skorkas Argumentation müsste er dies befürworten. Von der logischen Stringenz her, würde ich ein solches Befürworten sogar respektieren. Vermutlich würde Skorka aber nicht so weit gehen, sondern sich irgendwie um den Fakt herumreden, dass eine Passage aus einem Werk, auf das er hier seine Moral begründet, grausam ist und eine moralisch unverzeihliche Perversion darstellt. Leichter ist es jedoch, die Passage einfach zu übergehen und zu hoffen, dass die „Schäfchen“ die Bibel nicht allzu gut kennen, und um sich nicht der peinlichen Frage stellen zu müssen, wie man so eine Barbarei denn bitte schön wörtlich nehmen kann.

Andererseits respektiere ich jeden, der sich anders verhält, vorausgesetzt, er lebt es im Privaten aus.

Rabbi Skorka, so geht das aber nicht! Sie müssen sich schon entscheiden! Entweder Sie meinen, Homosexualität darf es nicht geben, oder sie respektieren es, und sei es im „Privaten“. Beides geht nicht! Und überhaupt: Was soll es überhaupt bedeuten, „im Privaten“? Ist damit gemeint, dass Homosexualität okay ist, wenn man es heimlich still und leise macht, so dass es die Ehefrau und die Gemeinde nicht mitbekommt? Ist es also in Ordnung, zu lügen, zu hintergehen und sich zu verstecken?

Ach ja, und was ist eigentlich mit lesbischer Homosexualität? Da diese innerhalb der Bibel nicht erwähnt wird, sollte sie doch eigentlich problemlos anerkannt werden können, nicht wahr?

Bergoglio: […] Es hat immer Homosexuelle gegeben. Die Insel Lesbos war bekannt, weil dort homosexuelle Frauen lebten. Doch in der Geschichte hat es nie einen Versuch gegeben, dem denselben Stellenwert wie der Ehe zu geben. Ob man es tolerierte oder nicht, ob man es bewunderte oder nicht: Man hat es nie gleichgestellt. Wir wissen, dass in Momenten epochaler Veränderungen das Phänomen der Homosexualität anstieg.

Man muss heutzutage ja schon froh sein, wenn ein katholischer Würdenträger die Existenz der Homosexualität ohne „Wenn und Aber“ anerkennt. Doch worauf will Bergoglio eigentlich hinaus?  Dass in „Momenten epochaler Veränderungen das Phänomen der Homosexualität anstieg“ ist jedenfalls kein „Wissen“, es ist eine schlichte, durch keinerlei Belege gestützte, Phantasie. Und selbst wenn diese Behauptung wahr wäre, würde sie kein Argument gegen die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben begründen. Übrigens bensowenig wie der Einwand, homosexuelle Beziehungen hätte man noch niemals in der Geschichte mit der Ehe gleichgestellt. Doch inwiefern ist das relevant? Muss man Bergoglio daran erinnern, dass die Abschaffung der Sklaverei – heute allgemein anerkennt – ebenfalls ein historisch neuartiges Phänomen ist, und dass die Institution der Sklaverei erst seit kurzem der Einsicht gewichen ist, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, und dass niemand das Recht hat, seinen Mitmenschen zu versklaven?

Und nein, ich möchte Rabbi Skorka in diesem Zusammenhang ganz bestimmt nicht fragen, was er denn zu Leviticis 25:44 zu sagen hat, wo es heißt:

Willst du aber Sklaven und Sklavinnen haben, so sollst du sie kaufen von den Völkern, die um euch her sind, und auch von den Beisassen, die als Fremdlinge unter euch wohnen, und von ihren Nachkommen, die sie bei euch in eurem Lande zeugen. Die mögt ihr zu Eigen haben und sollt sie vererben euren Kindern zum Eigentum für immer; die sollt ihr Sklaven sein lassen. Aber von euren Brüdern, den Israeliten, soll keiner über den andern herrschen mit Härte.

Doch wenden wir uns wieder dem Papst zu:

Aber in dieser Epoche wird zum ersten Mal die juristische Frage aufgeworfen, diese Art der Beziehung der Ehe anzugleichen, was ich als eine Abwertung und einen anthropologischen Rückschritt ansehe. Wenn es eine Verbindung privater Natur ist, sind kein Dritter oder die Gesellschaft davon betroffen. Wenn man dem aber nun die Kategorie der Ehe verleiht und sie damit zur Adoption berechtigt, wird es betroffene Kinder geben. Jeder Mensch braucht aber einen männlichen Vater und eine weibliche Mutter, die ihm helfen, seine Identität auszubilden.

Es sei an dieser Stelle zunächst daran erinnert, dass sich Bergoglio hier zu einem Sachverhalt äußerst, deren Tragweite er, als sich dem Zölibat verpflichteter Mann, überhaupt nicht ermessen kann. Davon abgesehen gibt es die von ihm so genannten „betroffenen Kinder“ bereits jetzt, und jede seriöse Studie hierzu hat festgestellt, dass Kinder in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften keinerlei Nachteile haben (Stellungnahmen hierzu unter anderem hier, hier und hier).

Auch Bergoglios Sorge um die „Identität“ von Kindern, die beim Aufwachsen in homosexuellen Partnerschaften Schaden nehmen könnte, ist wenig mehr als eine Fiktion, zumal nicht klar definiert wird, welche Art von „Identität“ hier denn nun gemeint ist. Immerhin: auch ein bei einem lesbischen Paar aufwachsender Junge wird früher oder später ganz sicher von alleine erkennen, welchem Geschlecht er angehört, und dies spätestens dann, wenn sein Hormone erwachen, und sich in ihm die Erkenntnis ausbreitet, dass es wenig Probleme bereitet, seinen Namen in den Schnee zu pinkeln.

Und wenn man bis zu diesem Punkt geglaubt hat, die Diskussion könnte nicht mehr nebulöser werden, setzt Skorka noch einen drauf:

Skorka: Maimonides, ein Aristoteles des 12. Jahrhunderts, definiert die Liebe zwischen Gott und den Menschen in Begriffen der Liebe zwischen Mann und Frau. Ein Homosexueller liebt jemanden, den er kennt, der ihm gleich ist. Einen Mann zu kennen fällt einem Mann nicht schwer.

Eine Frau zu kennen stellt da schon eine ganz andere Herausforderung dar, denn eine Frau muss enträtselt werden. Ein Mann weiß ganz genau, was ein anderer Mann fühlt, oder eine Frau, was im Körper und im Geist einer anderen Frau vor sich geht. Den anderen entdecken zu müssen ist hingegen eine große Herausfordr erung.

Ehrlich gesagt, fehlt mir die Phantasie, um darin jetzt ein schlagendes Argument für oder gegen irgendetwas zu erkennen. Welche Rolle spielt es denn bitte schön, wen man liebt, und ob das einem leicht fällt oder eine (angebliche) Herausforderung darstellt? Hält Skorka Schwule und Lesben für zu feige, um sich auf das „Abenteuer Heterosexualität“ einzulassen? Will er Schwulen und Lesben unterstellen, sie seien zu faul um das andere Geschlecht zu enträtseln, weshalb man sich lieber auf den bequemen Weg des eigene Geschlechts begibt? Und selbst wenn es so wäre? Na und? Manchen mögen halt keine Abenteuer, Entdeckungen oder Rätsel und sind ganz zufrieden damit, sich mit dem zu begnügen, was man bereits „kennt“.

Weiter will ich aus dem Gespräch nicht zitieren, denn bereits jetzt nähere ich mich der Grenze meines Vermögens, im Angesicht derartig nebulösem Geredes – das man einem auch noch als philosophische Weisheiten verkaufen will – nicht fortwährend die Hände vors Gesicht zu schlagen.

In gewisser Weise ist es allerdings beruhigend. Denn die ausgetauschten Standpunkte der beiden Religionsverteter machen deutlich, dass Religionen ihre absolute Macht über den Menschen verloren haben, und dass die Behauptungen und Ansichten eben jener Vertreter weitestgehend ohne Inhalt sind, ja dass die so vielgepriesene „moralische Richtschnur“ der Religion allzuoft den Weg ins Leere weist – und das gerade, was das Thema der Homosexualität angeht. 

Bleibt nur zu hoffen, dass Skorka und Papst Franziskus irgendwann selbst bemerken, dass sie nicht viel mehr als Kaiser ohne Kleider sind.

2 Antworten zu “Kaiser ohne Kleider”

  1. Martin 3. Mai 2013 um 18:46 #

    “Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft. Das wäre ein Gräuel.”

    Männer haben keine Vagina. Problem gelöst.

  2. allsurfer4 6. Mai 2013 um 02:02 #

    Also zum einen verstehe ich nicht, dass offenbar ein Bibeltext……..
    „Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben; Blutschuld lastet auf ihnen.“
    …….Eingang in die israelischen Gesetzesbücher gefunden haben soll, und zum andern Tel Aviv als eine der homofreundlichsten Städte der Welt gilt……
    Was für DIE Kirche gilt, gilt ja eigentlich auch für DIE Schule, aber es wird wohl keinem normalen Menschen in den Sinn kommen, DIE Schule heiraten zu wollen.
    Apropos heiraten:
    Da habe ich kürzlich eine BBC-Production gesehen mit dem Titel „Die Geschichte der Lust“.
    Da wird bspw. gesagt, dass die Kirche von den Anfängen her GEGEN die Ehe war.
    Das soll sich erst geändert haben, als die Beichte eingeführt wurde und die Priester dadurch bessere Kontrollmöglichkeiten der Leute hatten.
    Wenn ich mir da ansehe oder anhöre, was unsere heutigen Theologie-Heinis dazu sagen, läuft es mir kalt den Rücken runter.
    Ein Frommer ist für mich nur ein Typ wie ein Radfahrer:
    „Fromm nach oben schauen und stramm nach unten treten“

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