Warum die Homo-Ehe nicht mehr aufzuhalten ist
ist ein Beitrag von Richard Herzinger in der WELT überschrieben, der für einen erklärten Liberalen mit einigen Merkwürdigkeiten aufwartet. Herzinger schreibt:
Unter den Bedingungen einer lebensweltlich pluralen und gleichzeitig egalitären Gesellschaft wird es daher zunehmend unhaltbar, Minderheiten auf irgendeinem Feld Rechte der Mehrheit zu verweigern. So ist es nur ein letzter Schritt, dass nun auch die Wahl des Geschlechts des Partners, mit dem man sein Leben in ehelicher Gemeinschaft teilen möchte, als Gegenstand einer individuellen Entscheidung angesehen wird, aus der den Betreffenden kein Nachteil entstehen dürfe.
Wieso ist das für Liberale nicht selbstverständlich und der Verweis auf die Freiheit des Individuums nicht ausreichend? Wieso braucht es zusätzlich den Verweis auf die Zugehörigkeit zu Mehr- oder Minderheiten? Oder geht es gar nicht um das Individuum, sondern um die Angst der Mehrheit, nicht mehr das Maß aller Dinge zu sein?
Auf diese Weise werden Minderheitenprobleme, bei denen es sich eigentlich um Randphänomene des großen Ganzen handelt, zu zentralen Definitionsfragen der pluralistischen Demokratie. So entsteht der Eindruck, dass nunmehr Minderheiten die Agenda der Mehrheitsgesellschaft bestimmten.
Wieso ist die Diskriminierung von Menschen ein Randphänomen und ihre Bekämpfung nicht für jeden Freiheitsfreund eine Selbstverständlichkeit? Und wieso definiert statt den bornierten Interessen der Mehrheit nicht die Gleichberechtigung von möglichst allen Mitgliedern der Gesellschaft die Qualität einer pluralistischen Demokratie ? Offenbar führt der Abbau von Diskriminierung bei manchem Vertreter der Mehrheitsgesellschaft zur Verunsicherung:
Dies erzeugt ein untergründiges Grummeln in Teilen dieser Mehrheitsgesellschaft, die sich in ihrer „Normalität“ zurückgesetzt fühlen
– wenn ich das richtig verstehe, zieht die Normalisierung der Homosexualität und damit die Erfahrung, Normalität nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal für sich beanspruchen zu können, bei manchem Hetero das Gefühl nach sich, sich nicht mehr ausreichend von den bisher als anders markierten Homosexuellen abgrenzen zu können.
Doch damit, mal wieder, nicht genug. Laut Herzinger gibt es Schwule und Lesben, denen es nicht ausreicht, nunmehr auch zu den Normalen zu gehören, die vielmehr davon überzeugt sind, etwas Besonderes zu sein, was wiederum Verunsicherung bei Heteros auslöse:
Dazu trägt bei, dass Teile der organisierten Schwulen- und Lesbenbewegung im Wissen um die herausragende Bedeutung ihres Kampfes gegen Diskriminierung ein Avantgardebewusstsein entwickelt haben, das über die berechtigten Anliegen von rechtlicher und gesellschaftlicher Gleichbehandlung hinausgeht.
Wie hat man sich diese unberechtigten Anliegen vorzustellen?
Diesem Avantgardebewusstsein genügt es nicht mehr, dass die schwule und lesbische Lebensweise von der Mehrheit geduldet und akzeptiert wird.
Was denn nun, geduldet oder akzeptiert? Allein an solchen Sätzen merkt man, wie selbstverständlich-selbstherrlich Herzinger aus der Mehrheitsposition heraus schreibt. Was immer, nebenbei bemerkt, eine homosexuelle Lebensweise sein soll – als wenn Homosexuelle mehr einen würde, als das erotische Interesse am eigenen Geschlecht.
Es verlangt vielmehr, dass die Gesellschaft sich zu dem vermeintlich besonderen emanzipatorischen Wert dieser Lebensweise emphatisch bekennt.
Was der Mann bloß für Texte liest? Das letzte Mal, dass ich solche Positionen ernsthaft von Homosexuellen gelesen habe, die sich als Homosexuelle artikuliert haben, war in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Auf Heterosexualität blickt diese „Avantgarde“ mit einer gewissen Geringschätzung herab – als einem Ausdruck von Rückständigkeit.
Auch hier irrt Herzinger. Die selbst ernannte Avantgarde, die er beschreibt, existiert tatsächlich, allerdings nicht beschränkt auf Homosexuelle. Es gibt im Rahmen der queeren Bewegung eine Position, die die Zuschreibung sexueller Orientierungen grundsätzlich für rückständig hält und damit Homosexualität ebenso für altmodisch erklärt wie Heterosexualität. Wie relevant dieser Flügel der Bewegung ist, mag ich nicht zu entscheiden. Sein wortmächtiges Auftreten mit seiner tatsächlichen Bedeutung gleichzusetzen, könnte ein Fehler sein. Mit Homosexuellen hat dieser Flügel genauso viel oder wenig zu tun wie mit Heterosexuellen. Man gehört ihm an mit der Entscheidung, sexuelle Orientierung als ein veraltetes Konzept zu verabschieden ebenso wie die Einteilung in zwei Geschlechter. Bei Herzinger klingt das so:
Damit liegt sie im Trend der immer lauter anschwellenden „Gender“-Theorie, derzufolge Geschlechterzuordnungen nur kulturelle Konstruktionen seien, die es aufzubrechen gelte. Der letzte Schritt jener kulturellen Umcodierung, für die die Homo-Ehe steht, könnte die generelle Infragestellung des Unterschieds zwischen Mann und Frau sein.
Herzinger zielt mit seinen Formulierungen indirekt auf die Angst von in ihrer Identität verunsicherten Hetero- (und Homo)sexuellen. Die Gleichstellung von Homosexuellen komme schleichend voran, die „Gender“-Theorie sei anschwellend – wer so schreibt, schafft sicher nicht zufällig eine Atmosphäre von Bedrohung und Überflutung.
Und nun greifen organisierte Homosexuelle auch noch das letzte an, das Hetero- (und braven Homo)sexuellen geblieben ist, den Unterschied zwischen Mann und Frau. Doch was, wenn dieser Unterschied tatsächlich ein gesellschaftlich konstruierter wäre? Wäre es dann nicht eine lohnenswerte Aufgabe für wahre Liberale, furchtlos zu untersuchen, wie solch eine falsche Unterscheidung so wirkmächtig werden konnte und statt die Angst vor weiteren Veränderungen zu schüren, die reale Vielfalt zu ergründen und auch in der öffentlichen Meinung abzubilden?
Vielen Dank, Damien. Mir war der Kommentar von Richard Herzinger, dessen sonstige Texte ich ansonsten sehr schätze, schon am Wochenende übel aufgestoßen.
Mag ja sein, dass einem mal in einem unkontrollierten Augenblick ein Ressentiment durchrutscht, es allerdings so unreflektiert in einen Text zu gießen, ist schon ’ne andere Nummer.
Für mich klingt Herzinger hier leider gar nicht mehr wie ein „erklärter Liberaler“, sondern – nur unzureichen kaschiert – wie einer jener älteren konservativen Herren, die den halben Tag darüber lamentieren, wie sehr sich die Welt doch zum Schlechteren verändert hat.
@bluefisk: Besonders lustig finde ich, dass Herzinger vor 12 Jahren ein Buch veröffentlicht hat („Republik ohne Mitte“), das bei Amazon so beworben wird:
Ob er sich daran noch erinnert? 😉
@Damien: Kaum vorstellbar, klingt wie ein völlig anderer Richard Herzinger. Der alte hat mir wesentlich besser gefallen.
Danke für den Tipp: dieses Buch von ihm kannte ich bislang noch nicht. Aber mir sind auch einige Passagen aus „Die Tyrranei des Geimeinsinns“ (vage) in Erinnerung, in denen er ähnlich argumentiert hatte.
@bluefisk: Ich könnte mir vorstellen, dass Herzinger immer noch der alte ist. Nur bei diesem Thema scheint die Angst vor Veränderung größer zu sein als die Lust an der Freiheit. Meine Vermutung ist, dass Herzinger, wenn er von Menschen schreibt, die
nicht zuletzt sich selbst meint.
Werden wir an dieser Stelle nicht etwas zu überempfindlich? Herzinger beschreibt in diesem Kommentar doch lediglich die Gefühlslage der Gesamtgesellschaft, für die die Starke Repräsentanz des Themas Homosexualität teilweise irritierend ist.
Denn er hat in einigen Punkten Recht:
– Schwule und Lesben sind eine Minderheit in unserer Gesellschaft
– Daher ist das Thema Homosexualität für die meisten Menschen nicht wirklich relevant
– Es gibt, wie bei allen politischen Bewegungen, auch unter Homosexuellen solche, die man unter dem Begriff „Avantgarde“ zusammenfassen kann. Ich kann durchaus verstehen, dass dies von einigen Menschen in der Gesellschaft als irritierend wahrgenommen wird.
– Es kann durchaus das Gefühl entstehen, dass einige sich in ihrer “Normalität” zurückgesetzt fühlen
Sein Beitrag ist vielmehr eine Zustandsbeschreibung unserer Gesellschaft. An keinem Punkt schreibt er, dass er die Gleichstellung kritisch sieht. Den ersten Punkt, den du kritisierst, kann ich auch nicht ganz nachvollziehen. „Unter den Bedingungen einer lebensweltlich pluralen und gleichzeitig egalitären Gesellschaft wird es daher zunehmend unhaltbar, Minderheiten auf irgendeinem Feld Rechte der Mehrheit zu verweigern.“ Das bedeutet ja nicht mehr als, dass in unserer demokratischen Gesellschaft sind alle Menschen gleich, da kann die Mehrheit (und das sind heterosexuelle Menschen) einer Minderheit die gleichen Rechte verwehren, nur weil sie eine andere individuelle Entscheidung trifft. Das ist eine sehr liberale Sicht der Dinge.
Ich finde, dass der Beitrag sehr gut illustriert, in welchem Spannungsverhältnis sich unsere Gesellschaft bewegt und auch wir Homosexuellen müssen Verständnis für die „Sorgen“ der Gesamtgesellschaft haben, deren Toleranz wir fordern.
Man darf auch an der Schwulen- und Lesbenbewegung Kritik üben. Es ist aber noch nicht einmal ein besonders kritischer Beitrag, sondern eher ein Appell die Gleichstellung von Homosexuellen besser zu erklären, damit diese Ressentiments nicht aufbrechen und sich so entladen wie in Frankreich.
@Just Dave:
Und Frauen sind ungefähr die Hälfte in unserer Gesellschaft, daher ist das Thema Gleichberechtigung für ungefähr die Hälfte der Menschen relevant? Für mich bestimmt sich die Relevanz eines Themas nicht danach, wie viele Menschen bei diesem Thema betroffen sind. Deine Argumentation (und die von Herzinger) erinnert mich an die Äußerung einer Freundin, die letztens sagte, „was, bis in die 90er Jahre gab es ein Sondergesetz gegen Schwule in Deutschland? Das wußte ich nicht, da ich nicht schwul bin, hat mich das natürlich nie interessiert.“. Was heißt hier „natürlich“? Ich bin keine Frau, trotzdem hat mich die Gleichberechtigung von Frauen interessiert, seit ich begonnen habe, mich für Gesellschaftspolitik zu interessieren. Ich bin weiß, trotzdem hat mich schon früh die Frage interessiert, ob Menschen anderer Hautfarbe gleichberechtigt sind oder rassistisch ausgegrenzt werden. Das würde ich übrigens von jedem Liberalen erwarten, dass er sich Gedanken macht über die Freiheit nicht nur seiner selbst und anderer Menschen, die zu seiner Gruppe gehören, sondern, dass er sich einsetzt für eine Welt, in der die Freiheit von Menschen möglichst wenig beschnitten wird.
Deshalb ist auch diesem Satz Herzingers zu widersprechen:
Die Frage nach der Diskriminierung von Minderheiten ist eine zentrale Frage für eine Demokratie. Das hängt nicht davon ab, wie groß der Anteil der Minderheit an der Gesellschaft ist. Oder bedeutet Demokratie, dass sich Minderheiten in die Ecke zu ducken haben, während die Mehrheit sich die Gesellschaft für ihre Zwecke einrichtet?
Tatsächlich kann man Herzingers Text als reine Zustandsbeschreibung lesen, allerdings eben nicht, wie Du schreibst, der Gesamtgesellschaft, nicht einmal der Mehrheitsgesellschaft, sondern eines Teils dieser Mehrheitsgesellschaft, nämlich des Teils, den die beschriebenen Veränderungen irritieren. Man kann den Text aber auch anders lesen und das habe ich in meinem Beitrag beschrieben.
In einer Demokratie entscheidet allerdings die Mehrheit, in welche Richtung es geht. Das Demokratieprinzip alleine wäre nicht ausreichend. Wir haben in unserem Grundgesetz aber auch noch das Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip. Und in der Frage der Gleichstellung ist es der Rechtsstaat, der alle Bürger vor staatlicher Willkür schützt (Wie die Willkür der CDU/CSU Schwulen und Lesben weniger Rechte zu geben).
Das Rechtsstaatsprinzip ist eine der größten Errungenschaften unserer Kultur. Diesen Punkt habe ich auch an keiner Stelle in Frage gestellt. Genauso wenig wie der kommentierte Beitrag. Im Gegenteil. Denn er lobt, dass das Rechtsstaatsprinzip darauf ausgeweitet wird (Gleiche Rechte für alle).
Die Gleichberechtigungsdebatte von Frauen ist in der Wahrnehmung der Gesellschaft, nicht von mir, eine völlig andere (auch wenn sie nicht weniger oder mehr relevant ist als die Gleichberechtigung von Homosexuellen). Denn Schwule und Lesben sind nun mal eine Minderheit. Es gibt Menschen, die sind noch nie mit Schwulen und Lesben in Kontakt gekommen. Die trotzdem starke Präsenz des Themas in der Öffentlichkeit (keine Wertung) kann somit auf Unverständnis bei diesen Leuten stoßen. Mehr haben der Autor oder ich an dieser Stelle gesagt. Er will ja nur erklären, warum wir in der Gesellschaft noch solche Ressentiments gegen Schwule und Lesben finden. Denn tolerant ist diese Gesellschaft nicht. Es findet keine Bewertung statt, ob das jetzt gut oder schlecht ist. Es geht um einen Befund, den man nicht weg reden kann.
An keiner Stelle bewertet dieser Beitrag die Gleichstellungsdebatte negativ. Er beschreibt nur eine gesellschaftliche Situation und es ist eine Tatsache, dass die Gleichstellung von Homosexuellen teile unserer Gesellschaft noch verstört. Er versucht das Warum zu beantworten.
Auch wenn wir eine Minderheit sind, das wird nirgends bestritten, ist es unser Recht nach Gleichberechtigung zu fordern. Die Debatte um Homosexualität allgemein ist hochemotional und dieser Beitrag betrachtet dieses Thema völlig sachlich. Man kann über die Wortwahl im Einzelnen streiten, aber wir sollten uns nicht im Detail verlieren. Dieser Beitrag ist definitiv eine Meinung, die Schwule und Lesben aushalten können müssen, da hier niemand diffamiert wird. Das ist auch eine Form von Liberalität.
@Just Dave:
Da sind wir uns einig!
Das freut mich.
Ich finde auf jeden Fall gut, wie differenziert du dich mit diesem Thema auseinander setzt, auch wenn ich in diesem Punkt anderer Meinung war
Das freut wiederum mich! 🙂
Wünsche Dir einen schönen Abend!