Am Gesundbrunnen steigt eine Kleinfamilie in die S-Bahn Richtung Friedrichstraße. Die Eltern sind etwa Mitte Dreißig, der Sohn mag vier oder fünf Jahre alt sein. Er geht an der Hand seines Vaters. Es ist kein Zweifel, dass sie Vater und Sohn sind. Zunächst stehen sie ein wenig unschlüssig im Gang neben der freien Sitzbank, während sich die Frau sofort neben mir niederlässt. Nachdem ich meine Beine eingezogen habe, fordert der Vater seinen Sohn auf, durchzurutschen. Nun sitzt der Junge mir gegenüber am Fenster. Der Vater sitzt neben ihm und gegenüber der mutmaßlichen Mutter, die, wie gesagt, neben mir sitzt. Der Vater fragt den Jungen: »Sitzt Du gut? Ist alles in Ordnung? Ist Dir auch nicht kalt?« Er spricht, als wäre er die Mutter, während die mutmaßliche Mutter schweigt.
Der Autor dieser Zeilen meint, der beobachtete Mann neige dazu,
die Mutter zu ersetzen. Falls ihm das gelingt, hat der Junge bald nicht nur eine abwesende Mutter, sondern auch einen abwesenden Vater. Dann wird er nicht nur die Anwesenheit seiner Mutter vermissen, sondern auch die Anwesenheit seines Vaters, der damit beschäftigt ist, seine Mutter zu vertreten. Dann wird der Junge einen schweren Weg vor sich haben.
Warum dieser Text wohl mit „Homosexualität“ getaggt ist? Ob der Verfasser glaubt, ein Vater, der sich fürsorglich um seinen Sohn kümmert, könne eigentlich nur homosexuell sein? Oder ist es die mutmaßliche Mutter, die die ihr vom Autor zugeschriebene Rolle offenbar nicht erfüllt und die der Autor deshalb für lesbisch hält? Befürchtet er, der Sohn werde auf seinem schweren Weg schwul werden, wenn der Vater sich ihm gegenüber nicht väterlich genug zeigt, wobei Väterlichkeit und Fürsorglichkeit sich auszuschließen scheinen? Oder hält er gar die S-Bahn für homosexuell, die alle, die sie besteigen, automatisch mit ihrem Virus infiziert? Man mag sich kaum ernsthaft mit solchen Ergüssen beschäftigen.
Na, da bleibt dem Vollkornbrötchen essenden Kind aus der S-Bahn ja glücklicherweise noch das Wohlwollen jenes Mitreisenden, um ihm seinen schweren Weg zu erleichtern.
Ich gestehe, dass ich das Blog dieses Mitreisenden vor kurzem sozusagen für mich entdeckt habe, noch bevor ich wieder angefangen habe, Gaywest zu lesen. Wahrscheinlich ist letzteres auch darauf zurückzuführen, was ich bei „Die Entdeckung des Eigenen“ so lesen konnte. Und ich gestehe auch, dass ich das psychologisch unheimlich faszinierend finde, wenn auch ein wenig unheimlich. Woher kommt diese „Homo“-Besessenheit? Das ist mir wirklich ein Rätsel. Ich kann ja noch halbwegs nachvollziehen, dass einem bei manchen Früchten der Gender-Theorie unheimlich zumute sein mag, vor allem dann, wenn man selbst nicht zur Avantgarde der emanzipatorischen Linken gehört. Und sicherlich mag es im Ergebnis auch etwas unverhältnismäßig erscheinen, wenn für ein paar Tausend eingetragene Lebenspartnerschaften gewaltige gesellschaftspolitische Diskussionen geführt werden (dabei wäre die Gleichstellung ja auch ohne dieses Theater möglich gewesen). Aber dass man es darüber hinaus noch als quasi-persönliche Zurücksetzung empfindet, wenn Dritten und Vierten (gleichgeschlechtlichen Paaren zum Beispiel) staatlicherseits erlaubt wird, zu heiraten, oder, schlimmer noch, nicht mehr verboten wird, gemeinsam Kinder zu adoptieren, dann komme ich nicht mehr mit. Homosexuellen Menschen werde es heute einfach zu leicht gemacht und sie machen es sich (alle miteinander) auch selbst zu leicht… Es ist, als würde hinter dem homophoben Ressentiment irgendeine höchstpersönlich empfundene Kränkung hervorschauen, von der ich mir nicht recht vorzustellen vermag, worum es sich handeln könnte.
Dieses Ungerechtigkeitsempfinden wird auf andere abgewälzt, nämlich auf Kinder – in diesem Fall die unbeteiligten Fünften, die man ja nach eigenem Geschmack für alles und jedes argumentativ instrumentalisieren kann. Sie sind stets die Opfer, nur glücklicherweise weiß man genau, was für sie das Beste wäre – ganz im Gegensatz zu den üblen Homo-Pärchen, die sich aus purem Narzissmus Kinder wie neue Spielzeuge verschaffen wollen (wenn sie nicht sowieso Kinderschänder sind), und dazu auch noch den Staat instrumentalisieren (weil sie nicht gelernt haben, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen). Jeder wird wohl verstehen, dass eine Gesellschaft, in der solches möglich ist, dem Tod verfallen ist.
Die mutmaßliche Mutter wird einfach eine Bekannte des Vaters, eine Arbeitskollegin etc. pp., die aus irgendeinem Grund den gleichen Weg hatte, gewesen sein.
Ich tippe auf die S-Bahn. Das ist zumindest die realistischste Variante. 🙂
Wo soll das alles enden, wenn sich jetzt plötzlich die Väter um ihre Brut kümmern? Tränen abwischen, Pflaster und Hustensaft verabreichen, warm genug anziehen usw. ist seit je Pflicht und Vorrecht der Mutter. Der Vater hat das Geld heranzuschaffen, dem Sohnemann regelmäßig den Hosenboden zu versohlen und ihn samstags vielleicht beim Autowaschen helfen zu lassen. Alles andere ist von übel, davon wird man schwul und gottlos und das Abendland geht (mal wieder) unter. Oder so.
@ martin: Deinen Kommentar hätte ich auch gern geschrieben, spricht mir aus der Seele.