Das bayerische Tuntenhausen macht seinem Namen keine Ehre. Immerhin:
In der erzkatholischen Gemeinde hat nun die erste Schwulen-Hochzeit stattgefunden.
Was einer der Bräutigame allerdings über die Bedingungen dafür zum Besten gibt, lässt einem die Haare zu Berge stehen:
Wer nun denkt, dass es in Tuntenhausen einen großen Aufschrei deswegen gegeben hat, irrt. Die Dorfgemeinschaft soll mit der Heirat der schwulen Männer gut zurechtkommen. Schließlich würden sich beide ganz normal verhalten und nicht mit Regenbogen-Fahne durchs Dorf laufen, so Schorsch.
Nun habe ich außerhalb von CSD-Paraden noch nie Schwule mit Regenbogen-Fahnen durch die Gegend laufen sehen, aber nur für den Fall, dass doch einer auf diese oder eine schlimmere Idee kommen könnte, folgt die Wiederholung – und Generalisierung – der Verhaltensanweisung im nächsten Satz:
Für alle, die noch vor ihrem Coming-Out stehen, hat der Frischvermählte noch einen guten Rat: Einfach normal verhalten. Wenn Homosexuelle sich nicht demonstrativ schwul verhalten würden, dann sei auch nicht mit Anfeindungen im Dorf zu rechnen.
Vielleicht aber war auch einfach niemand auf die Idee gekommen, die beiden Kerle könnten schwul sein:
Zuvor sind die beiden jedoch erst einmal in Tuntenhausen zusammengezogen. Erst hier hätten viele Einwohner gemerkt, dass der Sohn des örtlichen Getränkehändlers, Wolfgang, schwul sei. [Hervorh. im Original, D.]
Was besonders merkwürdig erscheint angesichts der nächsten Eröffnung:
Die Eltern sollen hinter ihrem Sohn stehen und offen mit seiner Homosexualität umgehen.
So offen, dass niemand im Dorf um die sexuelle Orientierung des Sohnes wußte? In Tuntenhausen ist einfach alles voll normal!
Vielleicht liegt es einfach daran, dass die meisten Menschen in die Öffentlichkeit getragene Sexualität (im engeren Sinne) aufdringlich finden – ich wäre z. B. auch tendenziell unangenehm berührt, wenn mir in der U-Bahn Männer oder Frauen begegneten, die auf T-Shirts großbuchstabige Werbung für ihre bevorzugten Swingerclubs machen würden. Ich will nicht plakativ-oberflächlich für ein paar Sekunden mit solchen zutiefst persönlichen Dingen konfrontiert werden, das sind Themen für persönliche Gespräche im privaten Kreis, aber nicht für die U-Bahn!
Jetzt könnte man ja mit der jahrhundertelangen gesellschaftlichen Unterdrückung der Homosexuellen durch die Mehrheitsgesellschaft argumentieren… aber auch unter Heterosexuellen gibt es Vorlieben, die nur von einer kleinen Minderheit geteilt werden und in der Praxis regelmäßig mit den Normen der Mehrheitsgesellschaft in Konflikt geraten: z. B. Schlammliebhaber, also Leute, die Sex am liebsten in Sümpfen, Mooren, Wattschlick oder Kiesgruben-Spülbecken haben. Die allermeisten Plätze, an denen dies praktizierbar wäre, befinden sich entweder auf Privatgrundstücken oder in Naturschutzgebieten, das Betreten ist folglich ordnungswidrig bis strafbar. Man könnte also durchaus von gesellschaftlicher Unterdrückung der Schlammliebhaber sprechen. Trotzdem hört man nie etwas von „Mud Pride“-Umzügen, wo dann analog zu den CSDs von Kopf bis Fuß eingeschlammte Männlein und Weiblein mit und ohne Klamotten durch die Straßen paradieren… warum nur?
@Yadgar: Aber es geht doch im Text gar nicht um in die Öffentlichkeit getragene Sexualität. Es geht vermutlich – vermutlich schreibe ich, weil es, fragt man nach, immer darum geht – um so etwas wie Händchen halten oder sich mal einen Kuss geben. Ein angemessener Vergleich wäre also weder der Swingerclub oder ein anderer bevorzugter Ort sexueller Betätigung auf dem T-Shirt noch die Schlammliebhaber, sondern schlicht händchenhaltende Heterosexuelle – ob es die in Tuntenhausen auch nicht gibt?
@Yadgar, da vergleichst du aber Äpfel und Birnen, im Falle von homosexuellen Paaren wird ja schon der Fakt der gleichgeschlechtlichen Beziehung als “ in die Öffentlichkeit getragene Sexualität“ betrachtet.
Die Info das zwei Männer oder Frauen ein Paar sind ist aber etwas völlig anderes als die Info das der Nachbar und seine Frau des Nachts in der nächsten Schlammgrube den Cockring ruiniert haben.
Wenn es ok ist das ein Hetero Paar arm in Arm rumläuft und sich küsst, Händchen hält usw, dann muss das für Homopaare genauso gelten. Mich ärgert dieses „ich hab ja nix gegen Homos, aber das die immer ihre Sexualität vor sich her tragen müssen…“ Das ist nämlich gerade NICHT der Fall. Und Heterosexualität wird doch die ganze Zeit in die Öffentlichkeit getragen. Und das ist ja auch ok, her mit der Heterosexualität in der Öffentlichkeit, aber bitte auch her mit der Homosexualität in der Öffentlichkeit.
Ach, ich finde nicht, dass Yadgar echt Äpfel und Birnen vergleicht Das normalste auf der Welt ist, dass die Sexualität einer Personen andere nichts angeht. Es ist richtig, dass Heteros da i.a. freier sind, aber auch heftig aktive Heteropärchen hinterlassen oft eine peinlich berührte Umgebung.