Das Salz der Erde

21 Jul

Gibt es eigentlich etwas absurderes als katholische Würdenträger, die sich über Ehe, Familie, Liebe und Sexualität äußern? Man ist geneigt die Meinung zu vertreten, dass es auf dieser Welt garantiert absurdere Dinge gibt, allerdings ist es kaum vermessen zu behaupten, dass eben jene katholische Würdenträger einen hervorgehobenen Platz in der Parade des Irrsinns belegen.

Man stelle sich einen Außerirdischen vor, der auf die Erde kommt, um das Sexualverhalten der menschlichen Spezies zu studieren. Man braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, dass dieser Außerirdische höchst erstaunt wäre, dass es unter den Menschen Exemplare gibt, die abgeschottet in einer von der Lebensrealität anderer Menschen isolierten Welt leben, die weder heiraten noch Beziehungspartner haben dürfen, denen Sexualität verboten ist, die sich aber dennoch berufen fühlen, mit Verweis auf einen alten Mann in prächtiger Kostümierung, der sich für den Stellverteter einer unsichtbaren, unfehlbaren Macht hält, der Menschheit Anweisungen zu geben, wie man sein Beziehungs- und Sexualleben zu gestalten hat. 

Man möge mir meine atheistische Verve verzeihen, aber die katholische Kirche hätte meinen Respekt weit eher verdient, wenn sie ihre moralischen Vorstellungen plausibel begründen könnte. Der bloße Verweis auf Gott ist hingegen ein dermaßen schwaches Argument, dass es mir schwer fällt, dieses überhaupt ernst zu nehmen. Und das nicht etwa, weil die Existenz Gottes nicht bewiesen ist, sondern weil es in meinen Augen für die Beantwortung moralischer Fragen keine Rolle spielt, ob Gott existiert oder nicht. Die Existenz Gottes und seiner Ansichten zu bestimmten Fragen des Lebens, implizieren keine Moral. Wenn Gott den Menschen moralische Richtlinien in die Hand gegeben hat, liegt es selbstverständlich in seiner Verantwortung, diese Richtlinien moralisch zu begründen.  Ein Verweis auf Gottes Allmacht und Allwissenheit reicht hier nicht aus, da dies ein bloßes Autoritätsargument ist, welches lediglich dazu dienen kann, Diskussionen über Moral und Ethik im Keim zu ersticken. 

Die entscheidende Frage wäre also nicht, ob Gott existiert, sondern mit was für einem Gott wir es zu tun haben und ob seine Ansichten überhaupt moralisch sind. Ist es nicht erstaunlich, dass diese Frage kaum je gestellt wird? Die selbsternannten Stellvertreter Gottes auf Erden, stellen diese Frage selbstverständlich höchst selten, sondern lassen es zumeist bei der Feststellung, dass Gott moralisch ist, einfach, weil er existiert. Dementsprechend schlecht sieht es dann auch mit der Begründung moralischer Standpunkte aus.

Ein schönes Beispiel ist hierfür der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen, dem von Seiten des Internetportals „kath.net“ Gelegenheit gegeben wurde, mal wieder vor den furchtbaren Folgen zu warnen, die der Menschheit drohen, wenn gleichgeschlechtliche Paare heiraten dürfen. Algermissen beginnt seine Philippika mit einem unter Theologen weit verbreiteten, nichtssagenden Sermon:

„Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen?… Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?“, so fragt Friedrich Nietzsche in „Die fröhliche Wissenschaft“.

Heutzutage ist solch konsequentes Fragen zur Abwesenheit Gottes übergegangen in einen stillen Agnostizismus und eine schleichende Gleichgültigkeit, die sich auch unter Getauften breit machen. Gott hat zur Lebensgestaltung vieler kaum noch etwas zu sagen. Der Zeitgeist mit seinem Sog ist bestimmend.

Persönlich finde ich es belustigend, derartige Phrasen als „konsequenten Fragen“ zu bezeichnen, da diese „Fragen“ die Antwort ja bereits implizieren: Alles wird schlimmer, die Finsternis bricht über uns herein, uns wenn wir so weiter machen, wird Satan erscheinen, und uns alle vernichten. So weit, so albern.

Wahrhaft konsequent wäre es dagegen, wenn Algermissen Nitzsches Bücher zuklappen würde, und sich statt dessen mit einer Frage beschäftigen würde, die sich angesichts seiner Beobachtungen geradezu aufdrängt: Nämlich der, woran es denn liegen könnte, dass Gott zur Lebensgestaltung vieler kaum noch etwas zu sagen hat. Könnte das nicht unter anderem daran liegen, dass Gott – oder konkret Algermissens Gott, der sich im dogmatischen Katholizismus manifestiert – den Menschen keinerlei Antworten mehr auf die Fragen des heutigen Lebens zu geben hat?

Wer jedem Trend hinterherläuft und auf jeder neuen Welle mitschwimmt, wird notgedrungen oberflächlich, dessen Handlungskriterien werden schnell beliebig.

Nicht unbedingt! Trends hinterzulaufen und auf „jeder Welle mitzuschwimmen, kann ein Weg sein, Lebensweisen zu vergleichen und unterschiedliche ethische Prinzipien auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen. Wer Moral und Ethik dagegen eine immerwährende Gültigkeit bescheinigt, sollte sich schon die Frage gefallen lassen, ob es nicht ein Fehler gewesen sein muss, Frauen das Wahlrecht zuzuerkennen oder die Sklaverei abzuschaffen.

Die konsequente Frage wird verdrängt, wohin wir denn fortschreiten und ob wir dort überhaupt ankommen wollen. Die Schnelligkeit des Laufens sagt noch nichts über die Richtung und die Richtigkeit. Es gibt schließlich auch das bekannte geistlose Mitlaufen, mit Volldampf im Leerlauf.

So ist die Frage entscheidend: Stimmt die Richtung?

Diese Frage stellt sich sowohl auf der persönlich-existenziellen Ebene wie im gesellschaftlichen Kontext. Man erwartet von der Kirche zu Recht eine begründete Antwort, zumal unter dem Eindruck der kurzatmigen Themen einer marktschreierischen Mediengesellschaft.

Doch kann „die Kirche“ überhaupt eine begründete Antwort geben? Meines Erachtens nicht, da sie eben genau an dem Punkt halt macht, wo es anfängt interessant zu werden, nämlich bei der Frage nach Gottes Moral. Dabei gebe es in der Tat eine Fülle von Fragen, die es wert sind gestellt zu werden. Etwa wie wir unser Zusammenleben gestalten wollen, welchen Platz der Einzelne im Spannungsfeld zwische Individualität und Gesellschaft einnehmen sollte, und wie wir es schaffen, das Glück einer möglichst hohen Anzahl von Menschen zu maximieren. 

„Die Kirche“ aber, in ihrem geistlosen Stumpfsinn, konzentriert sich auf den Nebenkriegsschauplatz der Homosexualität, und wird nicht müde in ihrem Bestreben, die Frage der Eheöffnung, buchstäblich zu einer Frage nach Sein und Nichtsein zu erklären.

In Artikel 6 der deutschen Verfassung konnte seinerzeit noch erklärt werden: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“

Dieser Grundsatz gilt unterdessen aber nur noch theoretisch.

Wohl kaum! Wer eine Ehe eingeht und eine Familie gründet, wird von der Bundesrepublik Deutschland mit einer Fülle von Privilegien und Sicherheiten bedacht, und dies sowohl in finanzieller, als auch in ideeler Hinsicht.

Praktisch haben sich in der Gesellschaft der Bundesrepublik die Akzente mächtig verschoben. Der Druck auf Ehe und Familie erhöht sich stetig, Belastungen nehmen zu, von der Liberalisierung des Scheidungsrechts bis zu gestiegenen finanziellen finanziellen Belastungen der Familien durch Mietsteigerungen und höhere Lebensmittelpreise.

Liberalisiertes Scheidungsrecht, Mietsteigerungen, hohe Lebensmittelpreise. Man sollte meinen, Bischof Agermissen hätte nun ausreichend Ansatzpunkte gefunden, um Kritik und Lösungsansätze zu formulieren. Doch weit gefehlt! Denn diese Ansatzpunkte lassen sich nicht allzugut theologisieren, sind sie doch zu konkret, als das eine Algermissen damit etwas anfangen könnte. Ein verschwommenes Feindbild zu schaffen, erscheint da vielversprechender:

Daneben wurde der ideologische Kulturkampf zur Relativierung der treuen und lebenslangen Ehe in den letzten Jahren deutlich verschärft. Die rechtliche Anerkennung eingetragener Lebenspartnerschaften als Resultat eines „Emanzipationsprozesses“ war die Bresche, um den Konsens über die Besonderheit und Bedeutung der Ehe als Verantwortungsgemeinschaft für Fruchtbarkeit, Generationensolidarität und gesellschaftliches wie staatliches Wohl sozusagen amtlich endgültig zu zerbrechen.

Im Klartext: Heiratende Schwule und Lesben sind verantwortlich für Kinderlosigkeit, fehlende gesellschaftliche Solidarität und die finanzielle Schieflage des Staates.

Das geht schon so weit, dass eine pervertierte Sprachregelung unter Journalisten den Begriff „Hetero-Ehe“ geprägt hat, um damit das zu bezeichnen, was vor einigen Jahren fraglos das Normale und Gesunde war.

Im Klartext: Die Heirat von Schwulen und Lesben ist unnormal und krank.

Mit den Irrungen und Wirrungen über das Wesen der Ehe hat der Artikel 6 sein geistiges Fundament verloren, das den Vätern des Grundgesetzes noch plausibel war. Folglich ist es dringend notwendig, in Pastoral und Katechese das überzeugend zurück zu gewinnen, was als Grundlage verloren gegangen ist.

Nun, das wäre auch kein Problem, denn immerhin will niemand die Katholische Kirche dazu verpflichten, homosexuelle Paare zu trauen, und es soll auch kein Katholik gezwungen werden, einen gleichgeschlechtlichen Partner zu heiraten. Algermissen kann über die gleichgeschlechtliche Ehe denken was er will, aber er sollte sich damit abfinden, dass er und sein Konzern nicht das Recht haben, der gesamten Gesellschaft ihre Vorstellungen von Ehe und Familie aufzuzwingen. Immerhin ist die Bundesrepublik Deutschland keine Filiale des Vatikan, und die Ansichten der Katholischen Kirche zu was auch immer, sind nicht per se relavanter als andere Ansichten.

In dieser Situation tiefer Verwerfungen müssen wir zunächst selbst überzeugt sein, bevor wir andere überzeugen können: Die lebenslange sakramentale Ehe ist auch heute die Lebensform, in der sich die Liebe zwischen Mann und Frau und die Sehnsucht nach Treue so verwirklichen lässt, wie es den Menschen am tiefsten gerecht wird. Wo die Liebe der Eheleute zueinander lebendig bleibt, können sie sich miteinander als Personen entfalten und die Drahtseilakte des Lebens meistern.

Dieser Aussage ist auf mehreren Ebenen absurd. Zunächst einmal impliziert sie, dass die „sakramentale Ehe“ die dem Menschen einzig gerechte Form einer Beziehung ist, und schließt damit ganz nebenbei alle nichtkatholischen, nichtchristlichen Formen von Beziehungen und Ehen aus. Dies als „anmaßend“ zu bezeichnen, wäre nicht weniger als eine Untertreibung.

Zweitens ist die Aussage inhärent unlogisch, denn kein Weg führt vom Eingehen einer „sakramentalen Ehe“ zur Lebendigkeit der Liebe zwischen Eheleuten, da ersteres kein Garant für letzteres, und letzteres keine Bedingung für ersteres ist.

Drittens ist ist die Aussage – zumindest bezogen auf schwule und  lesbische Liebe – zirkulär, da de facto postuliert wird, dass es wahre Liebe nur in einer „sakramantalen Ehe“ geben könne, die Schwulen und Lesben von katholischer Seite allerdings vorenthalten werden müsse. Kann es demnach wahre Liebe unter Schwulen und Lesben geben? Selbstverständlich nicht, da diese ja keine „sakramentale Ehe“ eingehen dürfen.

Zugleich ist die in der Eheschließung einander zugesagte und dann alltäglich gelebte Liebe der christlichen Ehepartner sakramentales Zeichen der Liebe Gottes zur Welt. Und überall, wo Christen als Eheleute ihrer von Gott getragenen Liebe im Alltag Gestalt geben, wird ihre Gemeinschaft ein Stück weit zum „Salz der Erde“. In der ehebegründeten Familie kann sich in besonderer Weise Kirche verwirklichen, „Hauskirche“ im besten Sinn des Wortes. Diese Chance sollten wir uns nicht zerstören lassen.

Fragt sich nur, inwiefern schwule und lesbische Ehepaare, (heterosexuellen) Christen die Chance zerstören, zum „Salz der Erde“ zu werden und in ihrer ehebegründeten Familie Kirche zu verwirklichen.

Aber vermutlich hegt der Bischof die Befürchtung, dass die Eheöffnung für Schwule und Lesben, die Erde versalzen könnte.

Eine Antwort zu “Das Salz der Erde”

  1. martin 21. Juli 2013 um 10:44 #

    Du hast das, auch mit atheistischer Verve, richtig analysiert: Die Homosexualität – und überhaupt die Klage über die verderbte Welt von heute – erfüllt für die Konservativen unter den Katholiken/Christen in etwa dieselbe Funktion wie das ansonsten übliche sozialmoralische Geschwafel für die Linken und Lauen: nämlich die Sprachlosigkeit, wenn es um den Glauben geht, mit quasi-politischen Inhalten zu kompensieren. Und wenn es auch schön und gut ist, wenn sich gläubige Christen um arme Mitmenschen kümmern, und weniger schön und gut, wenn sie stattdessen gegen Homosexuelle hetzen, sollte doch eigentlich klar sein, dass es die Kirche weder gibt noch braucht, um Armenfürsorge und Homophobie zu verbreiten. Es gibt andere, die das genauso – und sozusagen metaphysisch billiger – sicherstellen, letztlich macht man sich so als Kirche überflüssig. Im Grunde braucht es für die Moral weder Gott noch Kirche. Scheinbar weiß man aber nicht, wie man den christlichen Glauben sonst kommunizieren sollte.
    Übrigens sind – gerade auch nach katholischem Verständnis – weder Bischof Algermissen noch der Vatikan dafür zuständig zu bescheiden, wer eine sakramentale Ehe eingehen kann und wer nicht. Bestenfalls sind sie die Verwalter eines Sakraments wie der Ehe und geben eine einigermaßen zutreffende Interpretation darüber ab, wo nun ein solches Sakrament, das sich immerhin die Eheleute gegenseitig spenden (und kein Priester), „gültig“ ist und wo nicht. Dafür dass dies z.B. außerhalb heterosexueller Partnerschaften nicht der Fall sein könne, spricht eigentlich bloß das schwache Argument, dass man es eben immer schon so verstanden habe. Angesichts dieser (theologischen) Ungewissheiten täte ein wenig mehr Demut doch ganz gut.

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