Alice Schwarzer hat sich zum Ausklang des Jahres ein ganz besonderes Projekt ausgedacht: die Ächtung, Kriminalisierung und Abschaffung der Prostitution.
Selbstverständlich kann man alles mit allem vergleichen, doch was genau hat Prostitution mit Sklaverei zu tun?
Zur Erinnerung, als Sklaverei
„bezeichnet man den Zustand, in dem Menschen als Eigentum anderer behandelt werden„
Prostitution ist wiederum
Ausgehend von diesen Definitionen wird deutlich, dass wir es hier mit zwei völlig unterschiedlichen Sachverhalten zu tun haben. An dieser Stelle möchte ich nun begründen, warum Sklaverei und Prostitution nicht nur unterschiedlich sind, sondern zusätzlich darlegen, dass das Ziel, die Prostitution zu verbieten, ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht von Menschen bedeutet und damit dem Prinzip der Sklaverei weit näher kommt.
In der westlichen Welt ist man sich weitgehend einig, dass einer der grundlegenden Prinzipien des Menschseins, das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung ist. Niemand hat das Recht, ein anderes Individuum zu besitzen, zu verletzen oder Zwang über dieses auszuüben. Auch wenn dieses Prinzip gewissen rechtlichen und gesellschaftlichen Einschränkungen unterliegt (bspw. bei gerichtlich angeordneten Freiheitsstrafen) kann man es dennoch als festgefügtes Grund- und Menschenrecht betrachten.
Ausgehend von diesem Prinzip wird der fundamentale Fehler in der Argumentation gegen Prostitution deutlich: Wenn man nämlich das Selbstbestimmungsrecht über sich selbst und seinen Körper hat, folgt daraus logischerweise, dass man selbstverständlich auch das Recht haben muss, seinen Körper zu verkaufen.
Bewirbt man sich zum Beispiel um eine Arbeitsstelle, ist man bereit, seine Arbeitskraft, seine Talente, sein Wissen, seine Fähigkeiten einer bestimmten Person oder Organisation für eine Gegenleistung zur Verfügung zu stellen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass man bei der Suche nach Arbeit gesellschaftlichen oder finanziellen Zwängen unterliegt, wäre es doch eine törichte Schlussfolgerung, dass es grundsätzlich verwerflich sei, mit einer anderen Person über seine Arbeitskraft und die entsprechende finanziellen Gegenleistung zu verhandeln.
Wenn es aber nun legal und legitim ist, seine Arbeitskraft für eine Gegenleistung anzubieten, wie kann es dann illegitim sein, Sex gegen eine Gegenleistung anzubieten? Mit dem Verbot der Prostitution würde man zur absurden Situation gelangen, dass Sex legal ist, Geld verdienen legal ist, aber die Verbindung zwischen beidem nicht.
Ein Verbot der Prostitution würde letztlich bedeuten, dass es dem einzelnen Menschen untersagt ist, selbst über seinen Körper und sein Leben zu bestimmen. Das Selbstbestimmungsrecht über sich und seinen eigenen Körper würde unter Vorbehalt gesellschaftlicher und rechtlicher Geschmacksfragen gestellt. Der Körper eines Menschen würde nicht mehr nur ihm selbst gehören, sondern auch denjenigen, die sich ein Urteil darüber anmaßen, wie man sein Leben zu leben und wie man seinen Körper zu verwenden hat.
Und nein, das Argument, dass es Zwangsprostitution gibt und Prostitution oftmals mit Strukturen einhergeht, die dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen entgegenstehen, ist kein Argument zur Sache, weil es ein leicht verständlicher Unterschied ist, ob man für Geld Sex anbietet, oder von einem anderen gezwungen wird, für Geld Sex anzubieten. Prostitution und Zwangsprostitution sind, wie Sex und Vergewaltigung, trotz ihrer Ähnlichkeiten, zwei verschiedene Paar Schuhe.
Zwangsprostitution zu bekämpfen ist etwas ganz anders als Prostitution zu ächten, zu kriminalisieren oder zu verbieten. Meines Erachtens bekämpft man Zwangsprostitution am Besten, indem man Prostitution legalisiert, weil dies den Schwarzmarkt eindämmen, Licht in das Dunkel verbrecherischer mafiöser Strukturen werfen und diesen die Geschäftsgrundlage entziehen würde. Ein ähnliches Beispiel wäre hier der Zusammenhang zwischen dem Verbot von Drogen und der Drogenkriminalität.
Summa summarum rechtfertigt das Anbieten von Sex gegen Geld – wie immer man persönlich auch dazu stehen mag – kein Verbot, weil es niemandem zusteht, darüber zu bestimmen, wie man mit seinem Körper umzugehen, und mit wem und unter welchen Umständen man mit jemanden Sex zu haben hat.
Sehr guter Beitrag!
Genau daran hapert’s: die haben nie den Unterschied zwischen freiwilliger- und Zwangsprostitution kapiert.
Ich nutze beides nicht, aber ich maße mir nicht an Anderen vorzuschreiben was sie mit ihrem persönlichen Körper anstellen solange sie damit niemandem schaden (d.h., bei Selbstmordattentätern z.b. ist meine Toleranzgrenze überschritten, wenn Meth-Junkies daran sterben wussten die das auch vorher).
JederR arbeitende Mensch verkauft seinen Körper, oder lassen die ganzen Sexarbeits-KritikerInnen-ArtikelschreiberInnen sowas Avatars für sich machen?
Wie sind denn eure Arbeitsbedingungen?
Wer redet denn über die geschundene Seele bei Leuten die 40 Jahre Fabrikarbeit gemacht haben? Stehen die jetzt „moralisch“ besser da, weil sie zumindest ihre Körperöffnungen nicht an den Bestzahlenden verkauft haben?
So funktioniert Kapitalismus, jedeR verkauft das bisschen, was er/sie/es anbieten kann.
Prostitution ist eigentlich ein künstlicher Nebenkriegsschauplatz, es geht doch eher um Arbeitsbedingungen die erträglich sind, egal in welchem Beruf.
Gegenargumente?
Guter Beitrag, zu dem ich aber eine Anmerkung habe: Sexarbeit als „Job wie alle anderen“ darzustellen, haut sicher nicht ganz hin, auch wenn ich deine Argumentation zum Selbstbestimmungsrecht komplett teile.
In all den Jahrtausenden hat das „älteste Gewerbe der Welt“ es nie geschafft, den gesellschaftlichen Tabubereich ganz zu verlassen (den Job „Fließbandarbeiter“ gibt es noch nicht mal 150 Jahre, und er ist nicht tabuisiert, obwohl ich z.B. ihn als unmenschlich empfinde). Eine sexuelle Dienstleistung, für mich eine von vielen möglichen Spielarten menschlicher Sexualität, ist doch ganz klar intimer als Haareschneiden oder eine Webseite bauen. Deswegen finde ich es kontraproduktiv, es als „Dienstleistung wie alle anderen“ zu verstehen, sie ist es dem Wesen nach nicht.
Das ändert nichts daran, dass Sexarbeiter_innen rechtlich abgesichert sein dürfen und keinen bullsh*it wie z.B. Schwarzers „Appell“ ertragen sollten, wenn ihr Leben und ihre Arbeit öffentliches Thema ist.
@Max (der hier den Kapitalismus anspricht): den gibt’s übrigens auch noch nicht so lang wie das älteste Gewerbe der Welt 🙂 wobei ich persönlich manchmal denke, dass eine kapitalistische Gesellschaft, die ihre Individuen auf (Selbst-)Ausbeutung zurichtet, und Menschen, die beim Verkauf ihrer Dienste bis an intimste Grenzen gehen, oder sie überschreiten, keine gesunde Kombination ist.
Ich glaube nicht, dass man Zwangsprostitution mit der Legalisierung der Prostitution erreicht. Frauen, die sich illegal im Land aufhalten, sind immer noch gezwungen abseits aller Regeln zu arbeiten, oder nicht? Wie weit sollte ihnen eine Legalisierung dann helfen?
Wenn ich Alice Schwarzer richtig verstehe, dann ist für sie Zwangsarbeit moderne Sklaverei. Das halte ich für einen legitimen Vergleich. (Was nicht heisst, dass ich Prostitution gleich Zwangsarbeit setze…)
@ morus
„Wenn ich Alice Schwarzer richtig verstehe, dann ist für sie Zwangsarbeit moderne Sklaverei“
Zwangsarbeit ist aber bereits verboten.
@Adrian
Nur, wenn der Zwang äusserlich erkennbar ist, sprich beispielsweise Androhung von Gewalt oder Gefängnis. Ausgenommen ist ausserdem Zwangsarbeit, die für die Sicherheit geleistet werden muss.
Für Alice Schwarzer – so scheint mir – ist klar, dass sich keine Frau freiwillig prostituiert, ergo muss irgendeine Form von Zwang dahinter stecken, aber halt viel subtiler. Sie leiden ausserdem an einer Art Stockholm-Syndrom.
So jedenfalls würde ich die Frau Schwarzer interpretieren – aber vielleicht liege ich auch falsch, zumal ich jetzt kein „Alice Schwarzer“-Experte bin.
Ausserdem: Ich würde mich jetzt sehr wundern, wenn Frau Schwarzer das Prostituieren verbieten wollte, wahrscheinlich möchte sie eher den Konsum der Prostitution verbieten.
@ morus
„Ich würde mich jetzt sehr wundern, wenn Frau Schwarzer das Prostituieren verbieten wollte, wahrscheinlich möchte sie eher den Konsum der Prostitution verbieten.“
Selbst wenn, wo wäre der Unterschied?
@Adrian
Unterschied:
1) Wer bestraft wird und das Risiko trägt.
2) Das liberale Prinzip: „Mein Körper, meine Freiheit“ wird eingehalten.
@ morus
Warum sollte man den Konsum von Prostitution bestrafen? Auf welcher Grundlage?
„Das liberale Prinzip: “Mein Körper, meine Freiheit” wird eingehalten.“
Eher nicht, oder? Wenn man mit einer Prostituierten eine geschäftlich Vereinbarung trifft, uns dann durch einen Dritten dafür bestraft wird – inwiefern lässt sich das rechtfertigen?
@ Hans K.
„In all den Jahrtausenden hat das “älteste Gewerbe der Welt” es nie geschafft, den gesellschaftlichen Tabubereich ganz zu verlassen“
Das gilt ebenfalls für Sex allgemein. Aber was bedeutet das schon?
„Eine sexuelle Dienstleistung, für mich eine von vielen möglichen Spielarten menschlicher Sexualität, ist doch ganz klar intimer als Haareschneiden oder eine Webseite bauen.“
Das kann man so sehen, muss man aber nicht.
„Deswegen finde ich es kontraproduktiv, es als “Dienstleistung wie alle anderen” zu verstehen, sie ist es dem Wesen nach nicht.“
Welchem „Wesen nach“? Und welche Dienstleistung ist schon „wie alle anderen“?
@Adrian
„Das gilt ebenfalls für Sex allgemein. Aber was bedeutet das schon?“
Das Sex, als zwischenmenschliche Tätigkeit, anders zu behandeln ist, als Kegeln gehen, Tischtennis o.ä. (auch zwischenmenschliche Tätigkeiten). So zu tun, als wäre das einfach nur die gleiche Kategorie von Tätigkeiten, ist naiv. D.h. nicht, dass ich hier die starke Tabuisierung von Sex(ualität) als naturgegeben hinnehme, oder toll finde. Im Gegenteil, sie richtet imho eher Schaden an.
„Das kann man so sehen, muss man aber nicht. „
Jo, wenn man es nicht so sieht, wäre es interessant für mich zu wissen, wieso. Oder ziehst du dich auf dein subjektives Wahrnehmen und Erleben zurück?
Welchem “Wesen nach”? Und welche Dienstleistung ist schon “wie alle anderen”?
Ja, da kann man schon unterscheiden. Z.B. An welche Art Bedürfnis richtet sie sich (ganz grob: Bedürfnispyramide) und wie? Zielgruppen? Berührt sie Rechtsgüter der Vertragsparter oder dritter, und in welchem Ausmaß? Wie funktioniert die Art der Preisfindung in der Vertragsphase, worauf fußt sie? Egal, welche Kriterien ich mir hier noch aus den Fingern sauge, wird Sexarbeit (wohlgemerkt, wir reden hier über einvernehmliche, selbstgewählte) nie eine Dienstleistung „wie alle anderen“ sein.
Aber mich interessiert auch deine Sichtweise dazu. Wäre interessant zu lesen, wie du das explizit siehst, im Hauptartikel ist es ja mehr zwischen den Zeilen, deswegen kann es sicher auch sein, dass ich was fehlinterpretiert habe.
@Adrian
Natürlich betrachte ich ein Gesetz, das die Freiheit Einzelner, hier der Schutz vor sexueller Ausbeutung, gewährleistet und nicht das sich Ausbeutenlassen verbietet.
Das gilt allerdings nur unter der Grundvoraussetzung, dass sich keine Frau freiwillig prostituiert.
@ morus
„Das gilt allerdings nur unter der Grundvoraussetzung, dass sich keine Frau freiwillig prostituiert.“
Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Frauen sich nicht freiwillig prostituieren.
@ Hans K.
„Das Sex, als zwischenmenschliche Tätigkeit, anders zu behandeln ist, als Kegeln gehen, Tischtennis o.ä. (auch zwischenmenschliche Tätigkeiten). So zu tun, als wäre das einfach nur die gleiche Kategorie von Tätigkeiten, ist naiv.“
Ich bin mir noch nicht ganz im Klaren, was Du meinst, wenn Du von anderen Kategorien sprichst, in die man Sex und Kegeln einsortieren muss, weil alles andere naiv wäre. Ich vermute mal, Du meinst hier die bereits weiter oben angesprochene Intimität, die beim Sex intensiver ist als bspw. beim Kegeln. Doch ist das in jedem Fall so? Sex kann auch sehr flüchtig sein, abstrakt, eine reine Triebbefriedigung, oder eben eine Geschäftstätigkeit, während Kegeln sehr intim sein kann. Es kommt eben auf die Umstände an.
„Oder ziehst du dich auf dein subjektives Wahrnehmen und Erleben zurück?“
Selbstverständlich ziehe ich mich auf meine subjektive Wahrnehmung zurück. Das tust Du doch auch, wenn Du Sex und Kegeln in andere Katgeorien einordnest und das Eine für intimer hälst, als das Andere.
„wenn man es nicht so sieht, wäre es interessant für mich zu wissen, wieso.“
Kein Problem: Sex ist für mich sehr unterschiedlich. Sex mit meinem Ex-Freund, war für mich etwas ganz anderes, als Sex mit jemand, auf den ich einfach nur sexuelle Lust verspüre. Ersteres war für mich wirklich intim, weil ich meinen Ex liebte. Zweiteres empfinde ich eher nicht als intim.
Mit Freunden gemeinsam zu kochen, oder ins Kino zu gehen, ist für mich z. B. weitaus intimer, als Sex mit meiner momentanen Affäre. Ebenso finde ich bspw. den Besuch beim Hautarzt weitaus intimer als das Gruppenwichsen in geselliger Runde. Will sagen: Sex ist nicht gleich Sex und der Grad, was für einen Intimität bedeutet, ist auch abhängig von den Umständen und der eigenen Persönlichkeit.
„Ja, da kann man schon unterscheiden. Z.B. An welche Art Bedürfnis richtet sie sich (ganz grob: Bedürfnispyramide) und wie? Zielgruppen? Berührt sie Rechtsgüter der Vertragsparter oder dritter, und in welchem Ausmaß? Wie funktioniert die Art der Preisfindung in der Vertragsphase, worauf fußt sie? Egal, welche Kriterien ich mir hier noch aus den Fingern sauge, wird Sexarbeit (wohlgemerkt, wir reden hier über einvernehmliche, selbstgewählte) nie eine Dienstleistung “wie alle anderen” sein.“
Einerseits ist Prostitution natürlich eine „Dienstleistung wie alle anderen, da es sie in der Geschichte der Menschheit immer gegeben hat. Andererseits ist sie natürlich keine Dienstleistung wie jede andere, weil sie gesellschaftlichen Tabus unterliegt, die mit der Tabuisierung der Sexualität eng verknüpft sind.
Man kann die Sache von zwei Seiten sehen, und darüber lang und breit diskutieren, aber ich sehe darin, ehrlich gesagt, keine Sinn. Welche Rolle spielt es, ob Prostitution nun eine Dienstleistung wie jede andere ist, oder nicht ist? Ich persönlich empfinde diese Frage als bedeutungslos, ich denke nicht mal darüber nach, so wie ich auch nicht darüber nachdenke, ob Autoverkäufer eine Dienstleistung wie jede andere ist, oder das Mieten von Clowns für Kindergeburtstage. Das ist für mich ein absolut unwesentlicher Punkt, weil er sich lediglich auf persönliche Geschmacksfragen und subjektive Ansichten bezieht.
Entscheidend ist doch, wie wir als Gesellschaft mit Prostitution umgehen. In diesem Sinne habe ich mein Plädoyer verfasst und versucht dies zu begründen.
„Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Frauen sich nicht freiwillig prostituieren.“
Das ist doch gerade des Pudels Kern.
Für Alice Schwarzer ist diese Freiwilligkeit – ich zitiere – „Ein Mythos“.
D.h. du müsstest nun erklären, warum du ihre Annahme als nichtig erklärst.
Es geht mir übrigens nicht darum, Alice Schwarzer zu verteidigen, ich kann das nicht beurteilen, es ging mir nur um die Argumentationskette, die mir irgendwie nicht passend schien.
@ morus
„D.h. du müsstest nun erklären, warum du ihre Annahme als nichtig erklärst.“
Wieso ich? Frau Schwarzer will doch ein Verbot. Also sollte sie sich rechtfertigen müssen. Aber gut, ich bringe Dir einen Beweis:
http://www.sexwork-deutschland.de/Prostituierten-Vereinigung/Aktuelles/Eintrage/2013/10/29_Appell_fur_Prostitution.html
Ein zweiter Beweis wäre, dass nicht wenige Frauen auf reiche Männer stehen, und sich viele erst Geschenke bezahlen und sich schick ausführen lassen, bevor sie mit einem Mann ins Bett gehen. Ein dritter Beweis wäre, dass ich mich mal prostituiert habe.
@Adrian
danke nochmal für deine ausfürhliche Antwort. Empfinden von Intimität, Vertrautheit, … sind in der Tat absolut subjektiv und ändern sich dabei noch über die Zeit. Da hast du recht.
Genau deine Wahrnehmung in Bezug auf Sexarbeit hat mich ja interessiert, denn im Post schriebst du von „seine Arbeitskraft, seine Talente, sein Wissen, seine Fähigkeiten“ eben auch in Form sexueller Dienstleistung anzubieten; einen weiteren Unterschied zu anderen Dienstleistungen machtest du nicht. Auch verortest du die Intimität einer Handlung vollständig bei dem, der sie ausübt oder erfährt – vollkommen unabhängig davon, was diese Handlung ist.
Wie du schon sagtest, man kann die Sache von zwei (oder mehr) Seiten sehen. Und da gehen unsere Ansichten auseinander, wie man wohl merkt. Es gibt Extrembeispiele (nicht Sexarbeit, aber sagen wir mal, Auftragskiller), wo du dich in Bezug auf die Dienstleistung nicht auf subjektive und Geschmacksfragen zurückziehen kannst. Für das Anliegen des Hauptposts in das aber natürlich egal.
Auf der anderen Seite: warum hat Sexarbeit gerade so ein hohes Missbrauchspotiential, also warum gibt es (im Gegensatz zu Autoverkäufer_innen oder Clownsakteur_innen) mit viel organisatorischem Aufwand erzwungene Sexarbeiter_innen? Am Status der Legalität kann’s ja nicht liegen, wenn man die Gesetzgebung unterschiedlicher Länder vergleicht…
@ Hans K.
„danke nochmal für deine ausfürhliche Antwort.“
Gern geschehen.
„einen weiteren Unterschied zu anderen Dienstleistungen machtest du nicht.“
Weil, wie bereits ausgeführt, ich diesen Aspekt für den konkreten Aspekt der Legitimität und moralischen Einstufung der Prostitution für gegenstandslos halte.
„Auch verortest du die Intimität einer Handlung vollständig bei dem, der sie ausübt oder erfährt – vollkommen unabhängig davon, was diese Handlung ist.“
Verstehe ich nicht. Was meinst Du? Was habe ich übersehen?
„Und da gehen unsere Ansichten auseinander, wie man wohl merkt.“
Tut mir leid, ist nicht böse gemeint, aber ich habe Schwierigkeiten, Deinen Standpunkt in dieser Frage überhaupt zu verorten. Wenn ich Dich richtig verstehe, ist Prostitution für Dich keine Dienstleistung wie alle anderen. Na schön, akzeptiert, den Standpunkt kann ich nachvollziehen. Aber was folgt für Dich daraus? Was ist die Konsequenz?
„Es gibt Extrembeispiele (nicht Sexarbeit, aber sagen wir mal, Auftragskiller), wo du dich in Bezug auf die Dienstleistung nicht auf subjektive und Geschmacksfragen zurückziehen kannst.“
Auftragsmord und Prostitution ist aber nun Lichtjahre voneinander entfernt. Ich denke, dass muss ich hier nicht weiter begründen.
„Auf der anderen Seite: warum hat Sexarbeit gerade so ein hohes Missbrauchspotiential, also warum gibt es (im Gegensatz zu Autoverkäufer_innen oder Clownsakteur_innen) mit viel organisatorischem Aufwand erzwungene Sexarbeiter_innen?“
Zunächst müsste man klären, ob das „Missbrauchspotential“ (Ich nehme an, Du meinst hier erzwungene Prostitution) im Vergleich mit anderen Dienstleistungen tatsächlich so hoch ist. Konkrete Zahlen kenne ich dafür nicht.
Aber nehmen wir mal an, dass Missbrauchspotential ist höher. Woran das liegt? Ich würde behaupten, weil die konkrete Nachfrage nach Sex höher ist, als das konkret verfügbare Angebot. Das macht es zu einem lukrativen Geschäft.
Hat ne Weile gedauert… wollte aber abschliessend noch mal etwas zusammenfassen. Here we go:
„Verstehe ich nicht. Was meinst Du?“
Entschuldigung für den Zitaten-Tsunami, dient aber der Veranschaulichung:
„Sex kann auch sehr flüchtig sein, abstrakt, eine reine Triebbefriedigung, oder eben eine Geschäftstätigkeit, während Kegeln sehr intim sein kann. Es kommt eben auf die Umstände an.“
„Mit Freunden gemeinsam zu kochen, oder ins Kino zu gehen, ist für mich z. B. weitaus intimer, als Sex mit meiner momentanen Affäre. Ebenso finde ich bspw. den Besuch beim Hautarzt weitaus intimer als das Gruppenwichsen in geselliger Runde. Will sagen: Sex ist nicht gleich Sex und der Grad, was für einen Intimität bedeutet, ist auch abhängig von den Umständen und der eigenen Persönlichkeit.“
Ich habe hier herausgelesen, dass du die Intimität einer Handlung tendenziell, vielleicht sogar vollständig(?), daher nimmst, unter welchen Umständen, in welchem Kontext sie stattfindet (und eben nicht daher, was es für eine Handlung ist). Und eher dagegen argumentierst, dass Handlungen sozusagen „intrinsisch“ einen gewissen Grad an Intimität hötten. Ich selbst denke, dass viel von diesem sog. „intrinsischen“ kulturell konstruiert/anerzogen ist. Ich denke trotzdem nicht, dass *alles* diesbezüglich konstruiert/anerzogen ist.
„Auftragsmord und Prostitution ist aber nun Lichtjahre voneinander entfernt“
Hab ich deswegen auch extra in meinem Beitrag voneinander abgegrenzt, und nicht verglichen.
Zum Rest: da möchte ich nochmal einen Schritt zurückgehen. In der Überschrift schriebst du vom Menschenrecht auf Prostitution. Das sehe ich anders, denn Rechte kann man einfordern. Natürlich war das auch der Aufmacher zum Beitrag, deshalb wohl zugespitzt. Aber niemand kann einfordern, dass andere sich für ihn/sie prostituieren. Sprich: es gibt kein Anrecht, gar Menschenrecht, auf sexuelle Dienste. Andersherum: sich zu prostituieren sehe ich als ein legitimes öknomisches Anliegen, was einem niemand (aufgrund subjektiver moralischer, religiöser etc. Befindlichkeiten) verbieten kann. Das war wohl auch deine Kernaussage, oder?
Was mich persönlich generell stört, ist die großflächige Ökonomisierung des Zwischenmenschlichen. Je intimer, desto mehr stört sie mich; aber ich beschränke das ausdrücklich nicht auf Prostitution. Dazu:
„Ich würde behaupten, weil die konkrete Nachfrage nach Sex höher ist, als das konkret verfügbare Angebot“
Was du hier behauptest, ist, dass es mehr Menschen gibt die Sex haben wollen, als es Menschen gibt die Sex haben wollen. Die vermeintliche Martklogik wird, als Regulierungsinstrument menschlicher Bedürfnisse gesehen, also immer unlogischer. Ich behaupte, dass je stärker und umfassender menschliches Handeln nach ökonomischen Kriterien ausgrichtet wird, der Mensch unfreier in seinen Entscheidungen wird, sich nach den vermeintlichen Sachzwängen des übergeordneten Narrativs zurichtet.
Bei Dienstleistungen nun geht es zum größten Teil um (evtl. geldwerten) ökonomischen Vorteil. Deswegen heisst’s ja im konkreten Fall auch Prostitution, sonst wär’s einfach nur Sex, jenseits der ökonomischen Sphäre. Ich habe schon erklärt, warum ich bei der Sexarbeit zu anderen Dienstleistungen zwar keinen grundsätzlichen, aber einen graduellen Unterschied sehe. Und je intimer die Handlungen sind, die ökonomischer Denke (Kosten/Nutzen, Angebot/Nachfrage) unterworfen sind, desto weniger kann ich das als irgendeine Art individuellen Emanzipationsprozess oder gar Menschenrecht bezeichnen.
Zum Schluss möcht ich das aber nochmal in Relation setzen: Kritik wäre wesentlich angebrachter dort, wo Waren und Dienstleistungen auch wirklich nachvollziehbaren Schaden anrichten. Z.B. bei Heckler&Koch, Krauss Maffei, Rheinmetall, Monsanto… die Liste ist lang. Da möchte mich gar nicht auf die Sexarbeit einschießen.
@ Hans K.
Vielen Dank für Deine Antwort.
„Ich habe hier herausgelesen, dass du die Intimität einer Handlung tendenziell, vielleicht sogar vollständig(?), daher nimmst, unter welchen Umständen, in welchem Kontext sie stattfindet (und eben nicht daher, was es für eine Handlung ist).“
Ich wollte eigentlich eher darauf hinaus, dass Intimität etwas subjektives ist und dass ich von meiner Sicht der Intimität nicht darauf schließen kann, was anderen Menschen Intimität bedeutet.
„Aber niemand kann einfordern, dass andere sich für ihn/sie prostituieren. Sprich: es gibt kein Anrecht, gar Menschenrecht, auf sexuelle Dienste.“
Natürlich nicht. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bedeutet ja auch nicht, dass man vergewaltigen darf. Mit dem überspitzen Ausdruck „Menschenrecht“ wollte ich in diesem Zusammenhang darlegen, dass es dem Individuum obliegt, was es mit seinem Körper macht. Für mich eine Selbstverständlichkeit.
„Was du hier behauptest, ist, dass es mehr Menschen gibt die Sex haben wollen, als es Menschen gibt die Sex haben wollen.“
Nein, was ich sagen will ist, dass „die konkrete Nachfrage nach Sex höher ist, als das konkret verfügbare Angebot”. Ich denke Menschen stehen öfter vor der Situation, dass sie Sex wollen, aber gerade niemand verfügbar ist. Anders kann ich mir den Nachfrage nach Prostitution und Pornografie nicht erklären.
„Ich behaupte, dass je stärker und umfassender menschliches Handeln nach ökonomischen Kriterien ausgrichtet wird, der Mensch unfreier in seinen Entscheidungen wird, sich nach den vermeintlichen Sachzwängen des übergeordneten Narrativs zurichtet.“
Und ich behaupte, menschliches Handeln unterliegt ökonomischen Kriterien. Nicht ausschließlich, aber eben auch.
„Und je intimer die Handlungen sind, die ökonomischer Denke (Kosten/Nutzen, Angebot/Nachfrage) unterworfen sind, desto weniger kann ich das als irgendeine Art individuellen Emanzipationsprozess oder gar Menschenrecht bezeichnen.“
Das magst Du so sehen. Ich sehe das anders. Und wenn Prostitution Deinem individuellen Emanzipationsprozess entgegensteht, dann steht es Dir frei, sie weder anzubieten, noch sie nachzufragen.
Schwarzers Appell ist ziemlich wischi-waschi.
Den ersten Absatz der Forderungen kann man sogar so missverstehen das sie die Regulierung von Zwangsprostitution fordert… ( wurde die den jemals Dereguliert ? ).
Rein vom praktischen Gesichtspunkt frage ich mich auch wie die Bestrafung der Freier funktionieren soll.
Regelmäßig Razzia in den Bordellen, bei denen die Freier dann geschnappt werden ?
Schön, dann verschwindet die Prostitution komplett im kriminellen Untergrund – ob das die Situation der Prostituierten wirklich verbessert ?
Oder junge Polizistinnen die als Agent Provocateur Männer am Straßenstrich ankobern um sie zu überführen ?
Nicht nur rechtsstaatlich bedenklich.
„Oder junge Polizistinnen die als Agent Provocateur Männer am Straßenstrich ankobern um sie zu überführen ?
Nicht nur rechtsstaatlich bedenklich.“
Auf Sankt Georg in Hamburg gibt es genau das. Dort gilt seit einiger Zeit ein sog. „Kontaktverbot“ zwischen Prostituierten und Freiern, was genau auf diese Weise kontrolliert wird.
In Schweden gibt es ja das Sexkaufverbot. Die haben aber genau das Problem, dass man die Freier auf frischer Tat ertappen muss: man muss die Geldübergabe beobachten. Weil das schwierig ist, wird das Gesetz auch hauptsächlich damit verkauft, dass es die umfassende Ächtung der Prostitution in der Bevölkerung erreicht hätte, die Mehrheit der Schweden ist gegen Prostitution und das halten sie für einen Erfolg.
Dass die nach wie vor vorhandene Prostitution jetzt unter wesentlich prekäreren Bedingungen stattfindet und damit zum „Schutz“ der Prostituierten, die ja angeblich ein wichtiges Ziel des Ganzen war, nichts beigetragen hat, sieht man z.B. in diesem Video einer schweidischen Sexarbeiterin: http://www.youtube.com/watch?v=7D7nOh57-I8
„die Mehrheit der Schweden ist gegen Prostitution“
Die Mehrheit der Schweden ist gegen Sex im Tausch gegen Geld? Das ist in der Tat interessant. Wie läuft denn in Schweden dann das Dating zwischen Mann und Frau ab? Oder ist das auch verboten?
„Oder ist das auch verboten?“
Naja, das wohl nicht, aber die haben zum Beispiel auch Gesetze gegen Vergewaltigung, die sehr viel weiter gehen als in anderen Ländern. Beide Gesetzeslagen (also gegen Sexkauf und gegen Vergewaltigung) kann man durchaus im selben Kontext sehen, nämlich dem Ansinnen, eine möglichst geschlechtergerechte Gesellschaft zu verwirklichen. Da steht eine bestimmte Auffassung von Feminismus dahinter, die der von Alice Schwarzer wohl recht nahe kommt. Wie problematisch die Vergewaltigungsgesetzgebung in Schweden ist, dazu kann ich aber nicht wirklich was sagen, da habe ich mich nicht genug mit beschäftigt.
Na Ja, ob die schwedische Definition von Vergewaltigung soviel strenger ist als hier ?
Wenn man sich die Geschichte mit Julian Asange anschaut… Sex ohne Kondom obwohl der / die Partnerin vorher darauf besteht hat dürfte auch hier im Fall einer Anzeige wohl nicht anders definiert werden.