Bei den Protesten gegen die Bildungspläne für „sexuelle Vielfalt“ wird immer mal wieder Prof. Elisabeth Tuider bemüht. Sie ist dort so etwas wie der Hauptfeind, eine Frau, die sich verschworen hätte, Deutschlands Kinder zu sexualisieren. Liest man sich ihre Standpunkte allerdings nüchtern und ohne Schaum vor dem Mund durch, bleibt von all diesen Unterstellungen nicht viel übrig:
Die Schule ist ein sehr wichtiger Ort für Sexualerziehung, sie hat auch den Auftrag dafür, nimmt den Eltern aber nichts weg. Für falsch halte ich jedoch, wenn Sexualpädagogik nur Verhütungsaufklärung im Biologieunterricht bedeutet. Sie muss fächerübergreifend passieren […]
Sexualpädagogik möchte einen Raum schaffen, in dem unterschiedliche Fragen, Unsicherheiten und auch Ängste, die Sexualität, Beziehung und Liebe betreffen, von den Jugendlichen gestellt und besprochen werden können. Dabei geht man von den jeweiligen Themen der Jugendlichen aus. Wenn es keine Themen wie „sexuelle Praktiken“ oder „Analverkehr“ in der Gruppe gibt, ist eine solche Inhalte aufgreifende Übung schlicht nicht anwendbar. Unser Buch ist kein Lehrplan. Jede der 70 vorgeschlagenen Methoden muss der jeweiligen Jugendgruppe angepasst werden. […]
Sexualpädagogik zielt auf die Auseinandersetzung mit und die Positionierung in der Verschiedenartigkeit gegenwärtiger Lebens-, Liebes- und Sexualitätsentwürfe. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Grenzen sowie mit den Grenzen der anderen. Sexualpädagogik zielt auf die Selbstbestimmung eines jeden Menschen. Nach wie vor ist heute gerade nicht „alles normal“. Diskriminierung von Transsexuellen, also Menschen, die nicht in das Mann-Frau-Schema passen, oder von Homosexuellen sind nicht passé. Der Sexualpädagogik geht es darum, Jugendlichen, die in ihren Liebes- und Lebensweisen nicht der gesellschaftlichen Dominanzkultur entsprechen, Anerkennung und Unterstützung zu geben. Und allen Menschen die Kompetenz zu geben, anderes anzuerkennen, auch wenn es nicht den eigenen Vorstellungen entspricht.
Für mich klingt das überzeugend. Heute kommen Kinder und Jugendliche bereits sehr früh mit allen möglichen Facetten menschlicher Sexualität in Berührung. Die Medien, das Internet und soziale Netzwerke machen dies unvermeidlich. Eine zeitgemäße Sexualpädagogik muss sich diesen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen.
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Schlagwörter: Bildungsplan, Elisabeth Tuider, Sexualisierung, Sexualität, Sexualität erklären
Hast du Schoppes quasi komplett schaumfreien Beitrag zu Tuiders Sexualpädagogik gelesen?
Für mich stehen da Tuiders:
„Nach wie vor ist heute gerade nicht ‚alles normal‘ [, was es aber sein sollte?]“
…und Schoppes:
„Weder Sieler noch Tuider kommt jedoch jemals auf die Idee, zu fragen, ob Normen nicht einen positiven Sinn haben und eine Funktion erfüllen könnten – Normen werden von ihnen jeweils blind als Reproduktionen von Herrschaftsverhältnissen hingestellt.
Eben das aber ist gerade für Kinder und Jugendliche natürlich ganz anders. Wer sich einigermaßen verlässlich im Rahmen einer Gruppe orientieren und dort handeln will, muss ein Bild davon bekommen, was er gemeinhin von anderen erwarten kann – welche Erwartungen andere an ihn haben, welche Erwartungen er also seinerseits erwarten kann – was geschieht, wenn diese Erwartungen enttäuscht werden, welche Spielräume es für Regelübertretungen gibt.
Das hat einerseits schlichte ökonomische und praktische Gründe – ohne solche Normalerwartungen wäre keine soziale Situation berechenbar.“
…ziemlich unvereinbar gegenüber.
Tuiders Vorstellung macht – so weit ich das verstehe – nur dann Sinn, wenn es überhaupt denkbar ist, dass „alles normal“ ist. Mein Menschenbild gibt die Vorstellung nicht her. Ich glaube nicht, dass eine Gesellschaft möglich ist, in der ein Mensch (um ein sehr ungewöhnliches Beispiel zu nehmen), der nur sexuell erregt werden kann, wenn er in einem Zinneimer steht und einen Klecks Nutella auf der Nase hat, als „seltsam“ empfunden wird.
Mit anderen Worten: „seltsam“, „anders“ und in genau diesem Sinne „nicht normal“ also „nicht Durchschnitt“ ist meines Erachtens nicht vermeidbar.
Die interessante Frage ist dann, wieder meines Erachtens: Kann man vermeiden, dass aus „anders“ eine Ablehnung, eine Feindseligkeit wird?
Ich stimme hier Schoppes Einschätzung zu:
„Härte und Unduldsamkeit gegenüber Schwulen sind gerade bei Kindern und Jugendlichen eben regelmäßig nicht allein Ausdruck herrschender Normen, sondern eigener Verunsicherungen. Wer sich hingegen einigermaßen sicher in der eigenen Identität fühlt, kann deutlich souveräner mit Menschen umgehen, die anders sind als er selbst.“
Die Frage ist also nicht: Findet der erwachsene und in sich ruhende Adrian etwas praktikabel, sondern: Wie reagiert der 12 jährige Mattis darauf, dass die Sexualpädagogik darauf abzielt, ihm keine Orientierung als ‚anything goes‘ zu geben?
Ich würde annehmen, dass Mattis sich fühlt, wie mitten in der Wüste allein gelassen. Sicher, er kann in jede Richtung gehen, hat aber keinen Kompass.
Mit noch anderen Worten: Das Ziel ist gut, das Verfahren wird das Gegenteil bewirken. Meines Erachtens.
Link auf man-tau vergessen: http://man-tau.blogspot.de/2014/08/brauchen-schulen-dildos-und-andere.html
@ only_me
Ich halte Schoppes Beitrag für durchaus bedenkenswert, dieser hat m. E. allerdings einen beachtlichen Schwachpunkt: Er ist alleine aus der heterosexuellen Perspektive geschrieben und bezieht die Verunsicherungen die einem homo-, trans- oder intersexuellem Schüler angesichts der (bisherigen?) heteronormativen Sexualpädagogik auferlegt werden, nicht ein.
@only me
Normal wird in dieser Debatte nicht als durchschnittlich übersetzt, sondern als nicht krank, wünschenswert, moralisch o.ä. deswegen ist der Begriff so problamatisch, da er beabsichtigt, diejenigen, die ihm nicht entsprechen in eine pathologische Ecke rückt.
Und zwar nur bei diesem Thema.
Ob manche derer, die zwar sexuell „normal“ sind in anderen Bereich abnormal und abartig sind (also vom Durchschnitt abweichen), wie z.B in Sachen Körpermaße oder Haarfarbe interessiert nämlich keinen.
„“Härte und Unduldsamkeit gegenüber Schwulen sind gerade bei Kindern und Jugendlichen eben regelmäßig nicht allein Ausdruck herrschender Normen, sondern eigener Verunsicherungen. Wer sich hingegen einigermaßen sicher in der eigenen Identität fühlt, kann deutlich souveräner mit Menschen umgehen, die anders sind als er selbst.”“
es sind ja nicht nur Kinder und Jugendliche, die fertig entwickelten Erwachsenen sind doch genauso.
Ich denke, es hat bei Kindern auch viel Nachahmungscharakter. Sie lernen irgendwo, dass das eklig und doof ist, selbst kleine die die Bedeutung nicht mal kennen, benutzen das Wort „schwul“ als Schimpfwort und diese negative Verknüpfung verfestigt sich dann.
Wie würdest du das Thema denn angehen? Wieder so wie bisher, nicht drüber reden und hoffen, dass kein Schüler diesbezüglich aus der Reihe tanzt und versucht, gleichgeschlechtlich zu leben?
„Die Frage ist also nicht: Findet der erwachsene und in sich ruhende Adrian etwas praktikabel, sondern: Wie reagiert der 12 jährige Mattis darauf, dass die Sexualpädagogik darauf abzielt, ihm keine Orientierung als ‘anything goes’ zu geben?“
Es ist doch aber so, anything goes. Und wenn Matthias merkt, dass ihn Mädchen sexuell interessieren, dann ist das eben seine sexuelle Orientierung. Das kann einem nun mal keiner sagen, das muss man schon selber merken, was man mag. Und die meisten Jugendlichen bekommen das auch hin, zumindest wenn sie hetero sind.
“Härte und Unduldsamkeit gegenüber Schwulen sind gerade bei Kindern und Jugendlichen eben regelmäßig nicht allein Ausdruck herrschender Normen, sondern eigener Verunsicherungen. Wer sich hingegen einigermaßen sicher in der eigenen Identität fühlt, kann deutlich souveräner mit Menschen umgehen, die anders sind als er selbst.”
Das bezweifle ich. Schwulenfeindlichkeit unter Kindern und Jugendlichen ist meistens einfach nur vorhanden, weil die Eltern ihnen das so vorgelebt haben und weil das Wort „schwul“ auf dem Pausenhof für etwas schlechtes, nicht so cooles benutzt wird. Das hat erstmal nichts mit Normen zu tun. Wenn Schwulenfeindlichkeit Ausdruck eigener Verunsicherung ist, dann liegt es ja eher daran, dass man meint selber schwul zu sein oder zumindest homoerotische Fantasien gehabt zu haben, die man eben nicht mit seinem normativen Bild von guter und schlechter Sexualität vereinbaren kann.
Wenn Tuider also fordert, dass es keine Unterscheidung zwischen guter und schlechter Sexualität mehr in Bezug auf Hetero- und Homosexualität mehr geben soll, sondern beides gleichwertig als ’normal‘ behandelt, würde das hilfreich sein für diejenigen Schüler, die ein Problem mit Homosexualität haben. Es ist ja auch noch nicht mal ein Problem mit Homosexualität, sondern oftmals generell mit mann-männlicher Nähe.