Hinfort mit Artikel 6!

20 Feb
Ich bin kein Freund des deutschen Grundgesetzes. Ich halte es als Verfassung für eher schlecht und eines liberalen Rechtsstaates für unwürdig. Einer der Gründe für diese Auffassung ist dabei der Artikel 6 des Grundgesetzes, und zwar vor allem der dazugehörige Absatz 1, in dem es heißt:

Die Frage die sich mir jedes Mal stellt, wenn ich diesen Satz lese, ist ein simples: „Warum?“

Warum steht ein Kollektiv – die Familie -, warum steht ein staatliches Rechtssubjekt – die Ehe -, unter besonderem Schutz der staatlichen Ordnung?

Nach meiner politischen Verständnis hat eine liberale Verfassung Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat zu definieren. Artikel 6 macht das Gegenteil, indem er dem Staat die paternalistische Hoheit über eine bestimmte Form des Zusammenlebens zugesteht und damit gleichzeitg andere Formen des Zusammenlebens diskriminiert.

Vor wem schützt der Staat eigentlich Ehe und Familie? Und noch wichtiger, wer schützt Ehe und Familie – und die in diesen Institutionen involvierten Individuen – eigentlich vor dem Staat?

Das Grundgesetz braucht Artikel 6 nicht! Eine Verfassung braucht den Schutz von Ehe und Familie nicht! Eine Verfassung sollte die Grenzen des Staates gegenüber dem Bürger bestimmen, und dem Staat nicht die Hoheit über das Privatleben von Menschen anvertrauen.

Der Grundrechtskatalog einer Verfassung könnte zum Beispiel so aussehen:

Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Jeder Mensch hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer Bürger verletzt.

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Das Wahlrecht darf  nicht auf Grund des Geschlechts, der Herkunft, der Hautfarbe oder der finanziellen Situation versagt oder beschränkt werden.

Es darf kein Gesetz erlassen werden, welches die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die Freiheit der Rede, der Meinung und der Presse, der Kunst und Wissenschaft, der Forschung und Lehre, oder das Recht eine jeden Menschens einschränkt, sich friedlich zu versammeln.

Jeder Mensch hat das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.

Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden. Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

Das Recht auf Sicherheit der Person und der Wohnung, der Urkunden, der Post und des Eigentums, vor willkürlicher Durchsuchung, Verhaftung und Beschlagnahme darf nicht verletzt werden, und Hausdurchsuchungs- und Haftbefehle dürfen nur bei Vorliegen eines eidlich oder eidesstattlich erhärteten Rechtsgrundes ausgestellt werden und müssen die zu durchsuchende Örtlichkeit und die in Gewahrsam zu nehmenden Personen oder Gegenstände genau bezeichnen.

Niemand darf wegen eines Kapitalverbrechens oder eines sonstigen Verbrechens zur Verantwortung gezogen werden, es sei denn auf Grund eines Antrages oder einer Anklage durch ein ordentliches Gerichtsverfahren.

Niemand darf wegen derselben Straftat zweimal durch ein Verfahren in Gefahr des Leibes oder des Lebens gebracht werden. Niemand darf in einem Strafverfahren zur Aussage gegen sich selbst gezwungen noch des Lebens, der Freiheit oder des Eigentums ohne vorheriges ordentliches Gerichtsverfahren nach Recht und Gesetz beraubt werden. Privateigentum darf nicht ohne dem Werte des Privateigentums angemessene Entschädigung für öffentliche Zwecke eingezogen werden.

In allen Strafverfahren hat der Angeklagte Anspruch auf einen unverzüglichen und öffentlichen Prozess vor einem unparteiischen Gericht. Er hat weiterhin Anspruch darauf, über die Art und Gründe der Anklage unterrichtet und den Belastungszeugen gegenübergestellt zu werden, sowie auf Zwangsvorladung von Entlastungszeugen und einen Rechtsbeistand zu seiner Verteidigung.

Übermäßige Bürgschaften dürfen nicht gefordert, übermäßige Geldstrafen nicht auferlegt und grausame oder ungewöhnliche Strafen nicht verhängt werden.

Die Folter ist abgeschafft; ihre Durchführung untersagt.

Wem diese Ausführungen bekannt vorkommen, der irrt nicht.

8 Antworten zu “Hinfort mit Artikel 6!”

  1. Ralf 20. Februar 2015 um 01:10 #

    Dem Grundgesetz haften zwei leider bis heute nicht geheilte Fehler an. Zum einen ist es -ähnlich wie die preußische Verfassung Friedrich Wilhelms IV.- eine oktroyierte, also eine von der Obrigkeit ohne Mitwirkung des Volkes erlassene. Es wurde von den westlichen Besatzungsmächten unter Mitwirkung eines dafür nicht demokratisch legitimierten Gesandtenkongresses der Länder eingesetzt. Definiert man eine Verfassung als von einer hierzu frei gewählten Nationalversammlung beschlossene und/oder von einem Volksentscheid angenommene Urkunde, dann ist das Grundgesetz gar keine Verfassung. Dafür spricht auch, dass es als solche gar nicht gedacht war, sondern nur für die Übergangsphase der Deutschen von der Barbarei zur Zivilisation einen provisorischen Rahmen für die Ausübung der Staatsgewalt geben sollte. Das andere Manko ist ein inhaltliches. Da vorher zwei Versuche, eine demokratische Ordnung zu installieren, gescheitert (1848/49 und 1919-33) und in scheinkonstitutionelle Monarchie bzw. -weit schlimmer- in totalitäre Diktatur einer Mörderbande übergegangen waren, hielt man Demokratie als solche für in Deutschland untauglich und begrenzte die Beteiligung des Volkes auf ein Minimum. Das mochte unmittelbar nach dem Dritten Reich für ein vom Nationalsozialismus vergiftetes Volk sogar sinnvoll sein. Heute ist dieses obrigkeitsstaatliche Demokratieverhinderungs- und Volksbevormundungsprogramm anachronistisch und aus meiner Sicht die eigentliche Wurzel des Übels Politikverdrossenheit in all seinen Facetten. Was nun speziell Art. 6 angeht, spiegelt dieser jenes klerikal geprägte Ehe- und Familienverständnis aus dem 19.Jh. wider, das spätestens seit Beginn der 70er Jahre im Bewusstsein mündiger Bürger keinen Platz mehr hat und angesichts der Vielfalt der heutigen Formen menschlichen Zusammenlebens eigentlich nur noch Gegenstand historischer Forschung und nicht Grundlage unserer Gesellschaft sein sollte.

    • Adrian 20. Februar 2015 um 01:27 #

      „Es wurde von den westlichen Besatzungsmächten unter Mitwirkung eines dafür nicht demokratisch legitimierten Gesandtenkongresses der Länder eingesetzt. „

      Es wurde von den westlichen Besatzungsmächten gebilligt, aber nicht ersonnen.

  2. Kai V 20. Februar 2015 um 02:19 #

    Und sie wissen nicht was sie tun…
    So würde ich Deinen Beitrag unterschreiben. Ich selbst sehe beim GG auch Fehler, z. B. Im gleichen Artikel die Nummer 4, der Muttersatz, wo sie um Führsorge und Schütz bitten darf. Heil Dir deutsche Mutter… Mehr fällt mit.da nicht mehr ein.

    Bei Satz eins würde ich das Ehe streichen, ich pers. würde Ehe komplett streichen, aus allen Gesetzen, ist nur schwer, da das Recht auf Ehe in den Menschenrechten vereinbart ist… Aber egal, das ist ein anderes Thema. Ich denke schon das die Familie unter einem besonderen Schutz stehen muss, so ergeben sich aus Satz eins alle folgenden Sätzte des Art. 6, wie z. B. die Pflege und Erziehung der Kinder. Aber auch andere Rechte, wie das Aussageverweigerungsrecht innerhalb von Familien, Erbrecht könnte man komplett abschaffen ohne Familie, warum sollte man etwas innerhalb der Familie vererben, warum von den Eltern hin zu den Kindern, wenn es doch der Staat so gut gebrauchen kann. Warum priveligieren wir hier? Steuerfreibetrag für Kinder, warum?

    Wo ich mit Dir d’accord gehe ist der Bereich Heirat, doch in Deinem GG möchte ich nicht leben, wäre mir zu riskant…

  3. fink 20. Februar 2015 um 13:14 #

    „Und noch wichtiger, wer schützt Ehe und Familie – und die in diesen Institutionen involvierten Individuen – eigentlich vor dem Staat?“

    Bin zwar kein Experte für Rechtsgeschichte, aber soweit ich weiß, hat der Art. 6 durchaus mit genau diesem Punkt zu tun: Dem Schutz von Ehe und Familie vor dem Staat. Die Idee der Nazis, politisch ungewollte Ehen (vor allem christlich-jüdische) zwangsscheiden zu lassen und Familien gegen deren Willen zu trennen, sollte sich auf keinen Fall wiederholen.

    Deshalb ist dort auch von „Schutz“ die Rede, und nicht, wie es z.B. in der Union gern mal herbeigelogen wird, von einer „Förderung“ oder gar „Privilegierung“.

  4. Ralf 20. Februar 2015 um 14:09 #

    @ Adrian

    Mir kam es auf den Vergleich mit der preußischen Verfassung an. Auch Friedrich Wilhelm IV. hatte die ja nicht persönlich ausgearbeitet. Der Punkt, auf den ich abziele, ist: Der demokratisch nicht legitimierte tatsächliche Machthaber hat die „Verfassung“ erlassen; ob es sich dabei um einen König von Gottes Gnaden oder um fremde Besatzungsmächte handelt, macht im Prinzip keinen Unterschied. Dabei kommt es auch auf die Identität der von ihm mit der Ausformulierung beauftragten Personen nicht an. Wesentlich ist, dass weder der Souverän noch die Autoren vom Volk ermächtigt waren und diese fehlende Legitimation bis in die Gegenwart nicht nachgeliefert wurde. Das Grundgesetz ist damit in Bezug auf seine Legitimität im Vergleich zur von dafür gewählten Abgeordneten des Volkes ausgearbeiteten Paulskirchenverfassung ein Rückschritt um ein volles Jahrhundert in die Zeit des Neoabsolutismus, als Verfassungen nicht dem Willen des Volkes unterworfen waren, sondern dem Willen des Monarchen. Auch inhaltlich ähnelt das Grundgesetz mit seiner Beschränkung des demokratischen Elements auf eine einzige Wahl innerhalb von in der Regel vier Jahren dem Muster von Verfassungen des 19.Jh.s.

  5. Kai V 20. Februar 2015 um 16:27 #

    @Fink
    guter Einwand!

    @Adrian
    “Und noch wichtiger, wer schützt Ehe und Familie – und die in diesen Institutionen involvierten Individuen – eigentlich vor dem Staat?”

    Leider muss ich das folgende zum Schutz von Lesern schreiben!
    Triggerwarnung, Menschen die die Homoehe ablehnen können durch den folgenden Text ganz böse und bis zum Herzkasper getriggert werden. Weiterlesen auf eigene Gefahr!

    Evtl. schützt der Staat und seine Institutionen die Ehe ja??? Da gibt es dann sogar eine „Homo-Ehe“ durch die Hintertür, dank diesem Schutz und den Institutionen die das schützen überwachen…

    Hier der Fall:
    http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg08-077.html

    Zum Fall, Transsexueller sollte sich zur Anerkennung seines neuen Geschlechtes scheiden lassen, damit keine gleichgeschlechtliche Ehe entsteht. (Damit die normale Ehe halt nicht durch so „doofe“ homos kaputt gemacht wird.) Das fand das Ehepaar (als Kläger der TS) nun irgendwie auch doof und ging vor das BVerfGer…

    Aus dem Urteil (Hervorhebung durch mich):
    „2. Demgegenüber wiegt aber auch die Beeinträchtigung schwer, die ein verheirateter Transsexueller durch § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG erfährt. Insbesondere wird die bestehende Ehe des Betroffenen in erheblichem Maße beeinträchtigt. Drängt der Staat Ehegatten zur Scheidung ihrer Ehe, dann läuft dies nicht nur dem Strukturmerkmal der Ehe als dauerhafter Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft zuwider.
    —–>>>>> Es wird damit auch der bestehenden Ehe der ihr von Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz entzogen. Dieser Schutz entfällt nicht dadurch, dass der transsexuelle Ehegatte während der Ehe durch operative Eingriffe seine äußeren Geschlechtsmerkmale dem empfundenen Geschlecht anpasst. <<<<<—–
    Damit wird die Ehe zwar im Tatsächlichen und nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nunmehr von gleichgeschlechtlichen Partnern geführt. Sie ist aber weiterhin eine dauerhafte Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft von zwei Ehegatten. Hinzukommt, dass auch der Ehegatte des Transsexuellen eine starke Beeinträchtigung des Schutzes seiner Ehe erfährt. …"

    Huch Gott NEIN!!! Das ist ja eine gleichgeschlechtliche Ehe die da entstanden ist, sowas aber auch! Skandal!!! 😀 😀 😀
    Da hat doch glatt das pöse pöse Bundesverf. Gericht die (heilige) Institution Ehe putt gemacht… Sowas blödes aber auch… 😉 😀 😀

    Manchmal klappt das anscheinend mit den Institutionen, der "Zeitgeist" muss nur auch im Verf. Gericht ankommen. Gleiches Urteil vor 50 Jahren, fast undenkbar… Wenn nur diese Politiker nicht wären…

    Gleicher Artikel 6 wurde beim gem. Sorgerecht nicht verheirateter Väter angeführt (Abs. 2), ebenso bei fast allen Fällen in denen Väter bis vor das BVerfGericht gezogen sind… Bitte bitte, den in Ruhe lassen, höchstens unterstreichen und ausbauen!!!

    Gruss
    Kai 😉

  6. emannzer 20. Februar 2015 um 17:48 #

    Tja, man fragt sich allerdings, ob die Amerikaner dieses „Bill of Rights“ heute noch so schreiben würden, wenn man sich so ansieht, was da mittlerweile abgeht.

    Damit meine ich nicht die Gay-Paraden, sondern das Thema vorsätzlich Falschbeschuldigung, Abschaffung der Unschuldsvermutung bei Männern etc.pp.

    Deutschland ist ja auch nicht mehr allzuweit davon entfernt und was das Grundgesetzt anbelangt:

    Vor einigen Jahrzehnten stand unter Artikel III, „Männer und Frauen sind gleichberechtig“

    Dann kamen einige Frauenrechlerinnen auf die Idee, denn Zusatz einzubringen, dass „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

    Somit sind alle positiven Diskriminierungen keine Grenzen mehr gesetzt, u.a. dieser unsäglichen Frauenquote.

    Und ich gebe dir recht, der Artikel VI sollte in dieser Form tatsächlich abgeschafft werden, denn „Die Familie steht unter besonderem Schutz“ würde völlig ausreichen, um alle Formen dieser abzudecken.

    Allerdings böte er, Eigeneinwand, auch die Möglichkeit, Wochenendväter komplett und legitimiert auszugrenzen. Denn UvdL meint ja z.B., dass Familie da sei, wo alle aus einem Kühlschrank essen.

    Insofern: Den Sechser streichen – und gut ist’s

  7. Am_Rande 26. Februar 2015 um 18:16 #

    Der Autor fragt: “Warum?”

    Nun, eine Antwort darauf ist, dass dieser Staat eine Vergangenheit hat.

    Man kann das GG wohl nur richtig verstehen, wenn man seine Entstehungszeit mitberücksichtigt.
    Und diese war noch vollkommen von der Schreckenszeit des Nationalsozialismus geprägt.

    Zu den Schrecken der Nazizeit gehörte es, dass der Staat direkt in die Ehen hineinregiert hat, mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zum Beispiel.

    Solch einer totalitären Politikauffassung sollte ein Riegel vorgeschoben werden.

    Zumal sich oft nur die Familie und Ehe als Schutz(raum) vor dem Totalitarismus erwiesen hat, siehe die bekannten „Rosenstraße-Proteste“.

    Der besondere Schutz von Ehe und Famile kann als Abwehrrecht des Individuums gegen die Zumutungen des Kollektivs gedacht werden.

    Dass man von diesem liberalen Impuls der unmittelbaren Nachkriegszeit abgekommen ist, und den „Schutz von Ehe und Famile“ heute gegen die individuellen Rechte der Angehörigen einer im NS-Staat verfolgten Minderheit instrumentalisiert, ist natürlich eine geschmacklose Pointe der Geschichte.

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