Homosexualität und Vererbung

6 Mär

Der zweite Beitrag auf GayWest im November letzten Jahres – bei dem es um homosexuelles Verhalten im Tierreich ging – erfreut sich bei unseren Lesern nach wie vor großer Beliebtheit. Es wurde aufgezeigt, dass Homosexualität der Evolution nicht entgegensteht, weil nicht die Zeugung, sondern vielmehr die Aufzucht des Nachwuchses entscheidend für den Fortbestand einer Art ist. Ferner wurde angerissen, dass zuweilen selbst gleichgeschlechtliche Pärchen eigenen Nachwuchs haben können, weil dafür lediglich ein Geschlechtsakt heterosexueller Natur vonnöten ist. Es gibt bislang keinerlei Beweise dafür, dass bestimmte Exemplare einer Tierart ausschließlich homosexuelles Verhalten an den Tag legen, dies ist bislang lediglich beim Menschen bekannt. Wenn also Individuen einer Art mit sonst überwiegend homosexuellem Verhalten sich auch gelegentlich heterosexuell verpaaren, steht einer Vererbung der Homosexualität nichts im Wege.

Gehen wir aber mal einen Schritt weiter und nehmen an, es gebe in einer Population eine hinreichend große Zahl an Exemplaren, welche sich ausschließlich homosexuell betätigen, also niemals eigene Nachkommen haben. Wie könnte dann das Merkmal, homosexuelles Verhalten, bestehen bleiben? Dafür gibt es zwei Theorien, die im Folgenden aufgezeigt werden sollen. Alle Theorien sind im wesentlichen Zusammenfassungen von Überlegungen, die Olivia Judson in ihrem sehr lesenswerten Buch Die raffinierten Sexpraktiken der Tiere dargestellt hat. Es ist allerdings zu betonen, dass es nicht in meiner Absicht liegt, aus Beobachtungen in der Tierwelt und aus den Erklärungen irgendwelche Schlüsse für das menschliche Zusammenleben in der Gesellschaft zu ziehen.

1.) Eine sehr traditionelle und aus dem Biologieunterricht bekannte Erklärung liegt darin, dass auch sich nicht fortpflanzende Individuen einer Population den Reproduktionserfolg ihrer Verwandten (wie Schwestern und Brüder) erhöhen, indem sie z. B. mithelfen deren Jungtiere aufzuziehen und damit die eigenen Gene indirekt weitergeben. Es sind eine ganze Reihe von Tierarten bekannt welche, zumeist in sozialen Verbänden lebend, die Fortpflanzung nur innerhalb der ranghöchsten Individuen erlauben, während rangniedrige buchstäblich zur Asexualität gezwungen werden. Tiere mit homosexuellem Verhalten könnten – rein biologisch betrachtet – so etwas wie eine nichtfortpflanzungsfähige Arbeiterkaste darstellen, die aber dennoch wichtig für das Überleben der gesamten Gruppe ist.

2.) Die zweite Erklärung ist ein bisschen komplizierter. Biologische Ursachen für Homosexualität könnten deshalb vererbt werden, weil sie von der natürlichen Auslese begünstigt werden. Hierbei gibt es wiederum zwei Möglichkeiten:

a) Die erste wäre der sogenante heterozygote Vorteil. Da es relativ schwierig ist die Erklärung von Olivia Judson noch weiter zu vereinfachen, werde ich sie im Folgenden zitieren:

Nehmen Sie an, ein gegebenes Gen weist zwei mögliche Formen auf. Da Sie zwei Kopien des Gens erhalten, eine von jedem Elternteil, könnten Sie zwei Kopien der ersten Form besitzen, eine Kopie von jedem oder zwei Kopien der zweiten Form. Genetiker sagen, es liege ein heterozygoter Vorteil vor, wenn der Besitz einer Kopie von jedem Gen besser ist als der Besitz zweier Kopien einer der beiden Formen. […] In Hinblick auf die Homosexualität würde diese Idee wie folgt aussehen: Ein gegebenes Gen kommt in zwei Formen vor. Zwei Kopien der ersten Form, und Sie gehören der heterosexuelen Mehrheit an. Zwei Kopien der zweiten Form, und Sie sind homosexuell – genetisch betrachtet, unfruchtbar. Doch eine Kopie von beiden Formen, und Sie hätten einen enormen Vorteil – beispielsweise könnten Sie ein außerordentlich fruchtbarer heterosexueller Mensch sein.

Judson findet diese Erklärung aber nicht recht überzeugend, weil erstens Beispiele heterozygoter Vorteile bisher kaum entdeckt wurden, und es zweitens unwahrscheinlich sei, dass ein einzelnes Gen für Homosexualität verantwortlich ist.

b) Auch die zweite Möglichkeit soll hier aus Gründen der Verständlichkeit zitiert werden:

Nehmen Sie an ein Gen [oder mehrere Gene] verursacht bei Männchen ausschließlich Homosexualität, jedoch ungewöhnliche Fruchtbarkeit, wenn es bei Weibchen auftritt [oder umgekehrt]. Das Gen könnte weiterbestehen – und sich vielleicht sogar ausbreiten – trotz seiner Nachteile für die [genetische] Fortpflanzungsunfähigkeit der Männchen.

Wie man sieht gibt es also durchaus Möglichkeiten, das Merkmal Homosexualität in den Jahrmillionen der Evolution zu vererben. Bewiesen sind natürlich bislang keine dieser Theorien, sie bieten aber womöglich Ansätze, bei einem Streit darüber, ob denn Homosexualität nun angeboren sei oder nicht, zugunsten der biologischen Ursachen zu argumentieren.*

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* Eine Anmerkung: Die Befürchtung vieler Schwuler und Lesben, dass die Fragen nach den Ursachen der sexuellen Orientierung dazu dienen könnten, Homosexualität zu verhindern ist nicht von der Hand zu weisen. Persönlich denke ich aber, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit ist, eben weil offenbar die Ursachen der Homosexualität, selbst bei ausschließlich biologischen Mechanismen, breit gestreut zu sein scheinen. Und man sollte nicht vergessen: Wenn es möglich wäre Schwule per Genetik hetero zu machen, funktionierte dies natürlich auch genauso gut umgekehrt.

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