Wie viele sind wir eigentlich? – Homosexualität und die nackte Zahl

30 Jan

Bis noch vor einigen Jahren konnte man in Schulbüchern und populären Tiermagazinen lesen, dass Elefanten bis zu einhundert Jahre alt werden können, obwohl jeder Zoologe wusste, dass das Unsinn ist, weil Elefanten nur etwa 60 bis 70 Jahre alt werden. Die falsche Angabe von hundert Jahren wurde niemals verifiziert oder geprüft, sie wurde einfach irgendwann in den Raum geworfen und hielt sich dann hartnäckig.

Mag der Vergleich zunächst seltsam anmuten, genau an die Geschichte mit den Elefanten muss ich immer denken, wenn irgendwo geschrieben steht, dass etwa 10 Prozent der Menschen homosexuell sind, und diese Schätzung dann auch noch mit einer ominösen „Dunkelziffer“ abgerundet wird. Denn diese Zahl ist nicht belegbar, niemand hat sie nachgeprüft, es ist eben eine reine Schätzung, die wahrscheinlich auf Grund des runden, leicht zu merkenden Charakters der Zahl „zehn“ so beliebt ist. Zugegeben, im Gegensatz zur Geschichte der Elefanten und ihres Höchstalters lässt sich auch nicht belegen, dass eben nicht 10 Prozent der Menschen homosexuell sind. Dazu kommt, dass die Frage nach der Zahl weitaus tückischer ist, als sie auf den ersten Blick anmutet.

Denn was bedeutet eigentlich in diesem Zusammenhang „homosexuell“? Bedeutet es wirklich, dass 10 Prozent der Menschen ausschließlich bzw. überwiegend dem gleichen Geschlecht in einer emotional-sexuellen Weise zugeneigt sind? Das ist es nämlich, was die meisten heute mit Homosexualität assoziieren: eben nicht nur einen rein sexuellen Akt unter Gleichgeschlechtlichen – weil man eben gerade zuviel Druck hat, und kein „richtiger“ Geschlechtspartner in der Nähe ist – , sondern die Tatsache, dass man eben das gleiche Geschlecht liebt bzw. lieben kann.

Zehn Prozent? Nun ich hätte nichts dagegen, wenn dem so wäre, und in Berlin und anderen Städten halte ich diese Zahl sogar für annähernd realistisch, bieten diese „Schwulenhochburgen“ doch sozusagen Fluchtpunkte vor der Enge und sozialen Überwachung der Provinz. Allerdings ist ja nicht mal das belegt. Wir wissen schlicht und einfach nicht, ob in der Stadt nicht vielleicht doch genau so viele Homos leben wie auf dem Lande – oder gar mehr. Denn das reine Angebot an Buchläden für Schwule, Diskotheken für Schwule, Bars für Schwule und Friseuren für Schwule, beweist eben gar nichts.

Dazu kommt, dass das Spiel mit den Zahlen einen politischen Einschlag hat. Ja, es tut uns Homos nicht weh zu sagen, dass wir, als politische Bewegung, natürlich ein Interesse daran haben, die Anzahl der Schwulen möglichst hoch anzusetzen. Das mag im Übrigen auch ein Grund dafür sein, dass sich gewisse Thesen der Queer- und Gender-Theorie einer wachsenden Beliebtheit erfreuen, nämlich vorzugsweise immer dann, wenn kolportiert wird, dass es die sexuelle Orientierung an sich ja gar nicht gibt, die gesamte Menschheit also mehr oder weniger „homosexuell“, also wie wir, ist – wobei man dabei aber zumeist galant unter den Tisch fallen lässt, dass Schwule nach dieser Maßgabe, dann auch ebenso problemlos heterosexuell empfinden könnten.

Schwulenhasser, zumeist aus dem fundireligiösen Spektrum, setzen dagegen die Zahl der Schwulen des Öfteren bei ein bis unter einem Prozent an, was nicht verwunderlich ist, haben sie doch das der Schwulenbewegung entgegen gesetzte Interesse, nämlich die Anzahl der Homosexuellen so niedrig wie möglich zu halten, eben um leichter „begründen“ zu können, dass einerseits eine so kleine Minderheit der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht würdig ist, um andererseits die Perfidie eben dieser winzigen Minderheit anzuprangern, die es trotz ihrer mikroskopisch kleinen Anzahl geschafft hat, die ganze Welt zu unterjochen.

Doch wie viele von uns gibt es denn nun wirklich? Wie gesagt, niemand weiß das sicher, und jeder der vorgibt, verlässliche Zahlen zu präsentieren, ist nicht ernst zu nehmen. Nichtsdestotrotz, es gibt Hinweise. Wie etwa den Zensus der USA, der im Jahre 2000 auch nach denjenigen Menschen fragte, die in ausgewählten Metropolregionen des Landes in einem gleichgeschlechtlichen Haushalt zusammenwohnten. Die durchschnittliche Anzahl dieser Menschen belief sich dabei auf etwa zwei bis vier Prozent. Berücksichtigt man dann, dass die Mehrheit der Homos – vermutlich – nicht mit einem Partner zusammenwohnt, könnte man sogar auf eine Gesamtzahl von 10 Prozent Homosexuellen kommen. Doch wie gesagt, das sind Zahlen aus Städten. Und wenn man von der Theorie ausgeht, dass sich in Städten mehr Homos tummeln als auf dem Land, muss man diese Zahl vermutlich etwas hinunterschrauben. Vielleicht so auf fünf Prozent.

Und damit wären wir bei meiner persönlichen Lieblingszahl angekommen: fünf. Ich nämlich glaube, der Anteil der Homos beträgt etwa fünf Prozent. Mit der Betonung auf „glaube“. Denn natürlich kann ich das nicht belegen. Aber wer kann das schon? Und vielleicht ist es ja auch gar nicht so wichtig.

36 Antworten to “Wie viele sind wir eigentlich? – Homosexualität und die nackte Zahl”

  1. martin 30. Januar 2010 um 18:59 #

    Danke für diesen sehr schönen Beitrag.
    Da ich ja selbst eher der „Kontinuums-These“ zuneige und von naturalistischen Reduktionen irgendwelcher Art eher wenig halte (damit wäre ich dann sowohl den queeren wie auch den fundireligiösen Theoretikern ungewollt nahe), konnte ich mit solch spekulativen Prozentangaben immer herzlich wenig anfangen. Besonders irritierend empfinde ich es übrigens immer, wenn neben dem Homo-Anteil noch ein weiterer Anteil an „Bisexuellen“ angegeben wird, der dann meistens geringer ist – was mir einigermaßen kontraintuitiv erscheint, es sei denn, es ginge eben doch um die jeweils aktuelle sexuelle „Praxis“.
    Jedenfalls liegst Du mit den fünf Prozent sicherlich näher an dem Anteil derjenigen, die sich irgendwie als „homosexuell“ verstehen, als andere mit ihren zehn Prozent (einschließlich der „Dunkelziffer“ solcher Leute, die von ihrer Homosexualität nach zehn Jahren Heteroehe immer noch nichts ahnen).
    Der Versuch eines „schwulen Meldeverzeichnisses“ ist ja bedauerlicher Weise an renitenten Subjekten gescheitert, die sich mittels Fake-, Mehrfach- oder Nicht-Mitgliedschaft der universalen Erfassung entzogen haben, meine Wenigkeit eingeschlossen.

  2. Ralf 31. Januar 2010 um 13:43 #

    Diese Zahl wird sich nicht erfassen lassen, so gerne das die einen oder anderen aus gegensätzlichen Gründen hätten. Es scheitert schon an der Selbstdefinition. Denken wir nur kopfschüttelnd an den neumodischen Ausdruck „Männer, die Sex mit Männern haben“, der dem Bedürfnis so vieler verklemmter Homophiler (aber halt – schon dieses verstaubte Wort ist denen zu stark) entgegenkommt, sich selbst als Lebenslügen-Heterosexuelle zu definieren, die lediglich mit Männern ins Bett gehen.

  3. martin 31. Januar 2010 um 14:51 #

    Das Problem ist ja nicht nur die Verklemmtheit einiger „Homophiler“. Vielmehr braucht man zum Zählen erst einmal eine vernünftige Begriffsdefinition. Und erst wenn man die hat, kann man sich Gedanken darüber machen, wie man einzelne Menschen darunter subsumieren kann und ob das überhaupt geht. Der Ausdruck „Männer, die Sex mit Männern haben“ gibt wenigstens ein halbwegs objektives Kriterium an die Hand, was von einem Schwammwort wie „Homosexualität“ kaum behaupten kann, ganz abgesehen davon, dass damit noch ein ganzer Schwarm von Identitätsfragen verbunden ist. Wie man es auch dreht und wendet, sobald man anfängt einen Begriff wie „Homosexualität“ auf die Realität anzuwenden, tut man ihr und vermutlich auch vielen Menschen Gewalt an. Schließlich gibt es grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn Männer Sex mit Männern haben, obwohl sie keine homosexuelle Identität haben – das ist nicht nur ein völlig kohärentes und tolerables Lebensmodell, es hat auch nichts mit „Verklemmtheit“ zu tun, die Menschen, die sich nicht freiwillig in die jeweils geöffneten Schubladen stecken lassen, gerne vorgeworfen wird.

  4. Adrian 31. Januar 2010 um 17:01 #

    Ich versteh gar nicht, wo die Schwierigkeit bei den Begriffen liegt.

    (1) Homosexuell ist, wer als Mann ausschließlich oder überwiegend auf Männer steht, und sich nur mit ihnen eine emotional-sexuelle Beziehung vorstellen kann. Dabei würde ich gar nicht diesen sperrigen Begriff der „Identität“ verwenden. Man empfindet eben homosexuell, oder nicht.

    (2) Homosexuell betätigt man sich, wenn man Sex mit Männern hat.

    „Schließlich gibt es grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn Männer Sex mit Männern haben, obwohl sie keine homosexuelle Identität haben“

    Grundsätzlich nicht, aber was bedeutet das denn? Bedeutet es, diese Männer vögeln mit Männern, verlieben sich aber ausschließlich in Frauen? Oder sind sie tatsächlich zu „verklemmt“ oder ängstlich, um sich auf einen Mann, nicht nur sexuell, einzulassen?

    „die sich nicht freiwillig in die jeweils geöffneten Schubladen stecken lassen“

    Das mag richtig sein, aber es tut der Liberalität auch keinen Abbruch, sich einzugestehen, dass es Schubladen nun mal sehr wohl gibt. Es gibt nun mal Männer, die sich zu Frauen hingezogen fühlen, so wie es Männer gibt, die sich zu Männern hingezogen fühlen.

    Das Problem der „Schublade“ Homosexualität ist doch – wenn überhaupt – jenes, dass dieser Begriff eben aufgeladen wird mit Zuschreibungen, die mit der eigentlichen Definition (emotional-sexuelles Begehren des gleichen Geschlechts) nichts mehr zu tun haben.

  5. martin 31. Januar 2010 um 18:16 #

    Homosexualität ist also als emotional-sexuelles Begehren des gleichen Geschlechts zu definieren. Schön und gut, damit bin ich ja ganz einverstanden. Aber was bedeutet das?
    In Deiner Definition (1) heißt es nicht umsonst „ausschließlich oder überwiegend“: Kaum jemand wird bestreiten, dass es einen Bereich des Mehr-oder-Weniger gibt. Die Vorstellung, es gäbe einen Punkt, bis zu dem man ausschließlich homosexuell ist, und auf der anderen Seite ist man dann plötzlich nur noch hetero, erscheint ja auch absurd. Die sexuelle Orientierung ist wohl mehr so etwas wie ein aus verschiedenen biologischen, kulturellen, sozialen usw. Quellen gespeistes Potential, mit einem Partner des eigenen oder anderen Geschlechts eine emotional-sexuelle Beziehung eingehen zu können. Zweifelhaft ist allerdings, inwieweit dieses Potential dem Einzelnen kognitiv zugänglich ist. Mit anderen Worten: Man kann es mehr oder weniger verkennen, man kann es durch Konstruktionen überlagern, man kann es verdrängen, unterdrücken usw. – und zwar keineswegs nur in der Weise der Zwangsheterosexualität. Banal ist z.B. der Fall, dass man einfach in eine bestimmte Person derart verliebt ist, dass man „keine Augen mehr“ hat für andere Männer oder Frauen – an diesem Punkt wäre es m.E. schwierig sich die Frage zu beantworten, ob man sich „nur mit Männern“ eine emotional-sexuelle Beziehung vorstellen kann. Ein anderes Beispiel ist die Wechselwirkung zwischen der eigenen sexuellen Praxis und der eigenen sexuellen Identität: Wer sich mit dem Begriff „Homosexualität“ identifiziert, vielleicht viele schwule oder lesbische Freunde, ausschließlich schwule oder lesbische Partner hat etc., der wird irgendwann nicht mehr wahrnehmen, dass er nur „überwiegend“ und nicht „ausschließlich“ auf Männer steht. Das ist kein Schaden, aber es verdeutlicht doch, dass die eigene Identität und das eigene Verhalten die sexuelle Orientierung überformen kann.
    Wenn eine Umfrage jeden Einzelnen danach fragt, ob er homo- oder heterosexuell ist, so zwingt sie ihn in ein binäres Schema. Die simple Tatsache, dass es Schubladen gibt (und Schubladen sind letztlich als Denknotwendigkeiten ja auch berechtigt), bedeutet eben nicht, dass diese Schubladen den Phänomenen immer gerecht werden. Im Gegenteil arbeiten sich ja nicht umsonst so viele Menschen an Schubladen ab, in denen sie sich nicht wohl fühlen. Natürlich wird das mit der Schublade „Homosexualität“ noch dadurch verkompliziert, insofern sie mit allen möglichen Einstellungen und Konnotationen angefüllt ist. Aber auch wenn man davon absieht, wird der Begriff nicht unproblematisch.
    In jedem Fall erzwingt der Begriff der „Homosexualität“, so wie Du ihn bestimmst, so etwas wie ein Bekenntnis, wenn man danach gefragt wird. Er rundet „überwiegend“ stets zu „ausschließlich“ auf, und natürlich hat er sehr viel damit zu tun, wie man sich selbst siehst. Du willst zwar den Begriff „Identiät“ vermeiden, verwendest aber Worte wie „empfinden“, „sich vorstellen“, „hingezogen fühlen“: ob das die Sache weniger sperrig macht, weiß ich nicht, aber sie bleibt trotzdem rundheraus subjektiv. Ein objektives Kriterium für Homosexualität in dem Sinne, dass man von außen zweifelsfrei feststellen kann, ob jemand schwul oder lesbisch ist oder nicht, gibt es nicht. Deswegen kann man nicht pauschal beurteilen, was in Männern vorgeht, die zwar mit Männern Sex haben, aber trotzdem nicht homosexuell „sind“. Mehr noch kann man sich jedoch scheinbar auch subjektiv darüber täuschen. Mir geht die verbreitete schwul-lesbische Selbstbefreiungsmythologie ein wenig gegen den Strich, die so tut, als ob man nur ein wenig unter der Oberfläche schürfen müsse, um auf die „wahre“ sexuelle Orientierung zu stoßen. Nicht nur, dass diese Mythologie meist nur bei den Heteros gräbt, es aber bei sich selbst unterlässt (sonst könnte man ja unter der oberfläche der eigenen Konstruktionen auf noch verborgenere Schichten stoßen) – ich glaube vor allem nicht, dass es so etwas wie eine „wahre“ sexuelle Orientierung überhaupt gibt. Ich finde, es ist schon eine ganze Menge, wenn man so zu leben versucht, dass man mit sich selbst im Reinen ist, dass man nicht unter dem Druck irgendwelcher Konventionen leiden muss. Warum sollte man darüber hinaus noch eine neue Wahrheit an Stelle der alten Wahrheit installieren? Man braucht den Begriff „Homosexualität“ nicht aufzugeben, doch sollte man aufhören, ihm eine Substanz zuzumessen, die er nicht hat.
    Um aber einmal wieder auf das Thema zurückzukommen: Wieviele „wir“ nun „wirklich“ „sind“, das wird man letztendlich nicht feststellen können. Bestenfalls können wir die Zahl derer schätzen, die sich irgendwie so ähnlich wie wir verhalten, was ihre regelmäßigen emotional-sexuellen Bindungen angeht.

  6. Adrian 31. Januar 2010 um 19:35 #

    „Kaum jemand wird bestreiten, dass es einen Bereich des Mehr-oder-Weniger gibt.“

    Nein, aber ich halte dieses „Mehr oder weniger“ für relativ irrelevant, ganz einfach deshalb, weil der Wunsch von Homosexuellen nach einer gleichgeschlechtlichen Beziehung (wie auch immer diese en detail aussieht), offensichtlich die „Möglichkeit“ einer gegengeschlechtlichen Beziehung so stark überlagert, dass man sich das Coming-Out antut, und bereit ist, sich in den sozialen Minderheitenstatus zu begeben, bzw. wenn man dies nicht tut, ein ziemlich leidvolles Leben führt, wie zahlreiche Quellen der Ex-Gay-Bewegung belegen.

    „Du willst zwar den Begriff “Identiät” vermeiden, verwendest aber Worte wie “empfinden”, “sich vorstellen”, “hingezogen fühlen”: ob das die Sache weniger sperrig macht, weiß ich nicht, aber sie bleibt trotzdem rundheraus subjektiv.“

    Natürlich sind Empfindungen subjektiv, aber wenn mehrere Menschen sich subjektiv mehr zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen, kann man doch ohne Probleme eine Schublade aufmachen, die dieses Hinzugezogensein definiert.

    „Ein objektives Kriterium für Homosexualität in dem Sinne, dass man von außen zweifelsfrei feststellen kann, ob jemand schwul oder lesbisch ist oder nicht, gibt es nicht.“

    Nein, aber andererseits wird man von außen auch nie zweifelsfrei feststellen, ob jemand nun Eis wirklich mag, oder doch eher auf Spinat steht. Aber es gibt doch recht starke und überzeugende Anzeichen und Indizien für das eine oder andere.

    „Deswegen kann man nicht pauschal beurteilen, was in Männern vorgeht, die zwar mit Männern Sex haben, aber trotzdem nicht homosexuell “sind”.“

    Nein, aber die Indizien sind ausreichend, sie als mindestens „nicht heterosexuell“ zu bezeichnen.

    „ich glaube vor allem nicht, dass es so etwas wie eine “wahre” sexuelle Orientierung überhaupt gibt.“

    Das kommt darauf an, wie man „wahr“ definiert.

    „Man braucht den Begriff “Homosexualität” nicht aufzugeben, doch sollte man aufhören, ihm eine Substanz zuzumessen, die er nicht hat.“

    Das tue ich ja auch nicht; „meine“ Definition ist ja recht klar und trocken, ohne viel Glitter und Glamour drumherum.

    „Bestenfalls können wir die Zahl derer schätzen, die sich irgendwie so ähnlich wie wir verhalten, was ihre regelmäßigen emotional-sexuellen Bindungen angeht.“

    Eben die Zahl der Homosexuellen… 😉

  7. martin 1. Februar 2010 um 14:06 #

    Lieber Adrian, Du bist ein unverbesserlicher Haarspalter. Das will ich ausdrücklich betonen, denn ich weigere mich, selbst diesen Schuh anzuziehen 🙂
    Übrigens mag ich Spinat und Eis, allerdings nicht gleichzeitig.

  8. Adrian 1. Februar 2010 um 15:10 #

    „Lieber Adrian, Du bist ein unverbesserlicher Haarspalter.“

    Heißt das, meine Argumente sind so gut, dass man darauf nichts mehr erwiedern kann 😉

  9. martin 1. Februar 2010 um 17:34 #

    Du spaltest eben Menschen wie Haare, und zwar der Länge nach: in Homos und Heten. Glück, wem dabei keine zu Scheibe abgeschnitten wird 🙂

    Wenn Du Männer, die mit Männern Sex haben, per Indiz als „nicht heterosexuell“ bezeichnest, dann widersprichst Du Deiner eigenen Begriffsdefinition: Solche Männer betätigen sich zwar im Sinne von Definition (2) homosexuell, aber sie gehen nicht notwendigerweise „vorwiegend oder ausschließlich“ emotional-sexuelle Beziehungen mit Männern ein. Vielmehr gehen sie möglicherweise überhaupt keine emotional-sexuellen Beziehungen mit Männern ein. Außerdem legt Deine Definition nahe, dass Nicht-Heterosexuelle schon rein begriffslogisch Homosexuelle sind. Oder gibt es einen dritten Bereich? Vielleicht diejenigen, welche weder „vorwiegend“, noch „ausschließlich“ mit Männern oder Frauen verkehren? Bei denen es sich genau in der Mitte teilt, oder die asexuell sind, oder im Zölibat leben (wie schon Victor Hugo sagte: „Ni homme, ni femme, prêtre“)?
    Nun, Deine Definition ist vermutlich so klar, wie Klarheit in diesen Dingen nur zu erreichen ist. Es gibt eben keinen Homo-Lackmustest mit blauer (oder rosafarbener) Verfärbung. Es gibt ja auch kein exaktes Kriterium, anhand dessen die Vorliebe für Spinat oder Eis festzustellen ist – man kann eben nun nachfragen. Allerdings ist die sexuelle Orientierung in unserer Gesellschaft eine Frage, die weit mehr als die nach Spinat oder Eis unsere Identität bestimmt – man kommt hier nicht um diesen sperrigen Begriff herum, weil unsere Lebensgestaltung Einfluss nimmt auf unsere sexuelle Orientierung. Was ich damit sagen will: Wer sich gewissermaßen für eine Seite entscheidet, der zieht damit Grenzen, die zu überschreiten später jedenfalls nicht leichter wird.
    Dass Schwule und Lesben eine Minderheit bilden scheint eine mehr oder minder „natürliche“ Tatsache zu sein. Ich glaube aber nicht (und hoffe es nicht), dass Leid und Diskriminierung eine notwendige Folge dessen sind. „Diskriminierung“ ist dabei das entscheidende Stichwort: es geht um Unterscheidungen – und auch das Coming-out unterscheidet, es folgt aus Diskriminierung und produziert wiederum Diskriminierung. Die Frage ist aber doch, warum überhaupt und bis zu welchem Punkt es notwendig ist, zu unterscheiden. Natürlich kann man „Homosexualität“ und „Heterosexualität“ als rein statistische Größen behandeln – aber wer tut das? In Wahrheit sind es Begriffe, die mit jeder Menge Glitter und Glamour behängt sind. Es wäre artifiziell, das zu verleugnen. Woher kommt denn sonst der Widerstand gegen einen so uncharismatischen Begriff wie „Männer, die Sex mit Männern haben“?

  10. Adrian 1. Februar 2010 um 17:53 #

    „Oder gibt es einen dritten Bereich?“

    Natürlich.

    „Es gibt ja auch kein exaktes Kriterium, anhand dessen die Vorliebe für Spinat oder Eis festzustellen ist – man kann eben nun nachfragen.“

    Nö. Man kann auch beobachten. Es ist ziemlich leicht festzustellen, wer auf wen oder was abfährt, wenn man Menschen nur beobachtet.

    „Wer sich gewissermaßen für eine Seite entscheidet, der zieht damit Grenzen, die zu überschreiten später jedenfalls nicht leichter wird.“

    Wieso? Wenn ich sage, ich stehe auf Männer und nicht auf Frauen, und mich somit für Homosexualität „entscheide“, wieso ziehe ich dann eine Grenze? Wenn ich sage, ich mag eben Eis und Spinat nicht, dann impliziert das doch nicht, dass ich irgendwann eben nicht eher Spinat als Eis mögen könnte, oder gar beides.
    Und wieso ist es überhaupt problematisch, Grenzen zu ziehen?

    „Dass Schwule und Lesben eine Minderheit bilden scheint eine mehr oder minder “natürliche” Tatsache zu sein.“

    Nun, das ist sie auch.

    „Ich glaube aber nicht (und hoffe es nicht), dass Leid und Diskriminierung eine notwendige Folge dessen sind.“

    Womit Du Recht hättest.

    „Die Frage ist aber doch, warum überhaupt und bis zu welchem Punkt es notwendig ist, zu unterscheiden.“

    Weil man ansonsten u. a. an Männer geraten könnte, die auf Frauen stehen, und jeder Versuch bei denen zu landen, nur unnötig Kraft und Nerven kostet.

    „Woher kommt denn sonst der Widerstand gegen einen so uncharismatischen Begriff wie “Männer, die Sex mit Männern haben”?“

    Keine Ahnung. Ich finde diesen Begriff deshalb doof, weil man auch nicht von Männern spricht, die Sex mit Frauen haben. Was soll denn das? Wer Sex mit Männern hat, ist vielleicht nicht homosexueell, aber agiert so. Ein Mann der Sex mit Männern hat, hat nun mal homosexuellen, sprich: gleichgeschlechtlichen Sex.

  11. Troyjan 13. Februar 2011 um 10:21 #

    Wie schön dass der Mensch die diskussion erfunden hat sonst wäre ihm total langweilig geworden.

    Ich bin Bi Sexuell stehe auf Frauen und Männer und somit ist es nicht so einfach, zu erkennen wer mir gerade gefällt das sieht man gleich kann im nächsten aber schon wieder ganz anders sein. :-)Aslo bekommt man beim beobachten von mir nur eine momentane aufnahme. Ist das Leben nicht schön.

  12. Maik 20. November 2011 um 20:08 #

    @Adrian

    Ja es gibt Männer die mehr Spaß haben mit Männern als mit Frauen. Weil das eben so ist. Deswegen bezeichne ich mich nicht al sHOmo oder Schwul oder sonst was.
    Die „schwule subkultur“ ist doch ein witz in sich. subkultur das ich nicht lache.
    Bevor ich mich mit solchen in eine schublade stekcen lasse,geh ich lieber freiwillig ins exil.

    • Adrian 21. November 2011 um 11:24 #

      @ MAik
      Ob Du Dich nun selbst so bezeichnest oder nicht ist auch relativ egal. Wenn Du mehr auf Männer stehst, bist Du schwul oder zumindest bi. Das abzustreiten ist ziemlich sinnfrei.

  13. Christian 21. November 2011 um 15:09 #

    @Maik
    Genauso wie du dir nicht aussuchen kannst auf welches Geschlecht oder Kombination du nunmal stehst, kannst du dir nicht aussuchen in welchen Topf dich andere werfen sobald sie das rausfinden.

    Wenn du deine Eier wiedergefunden hast kannst du ja mal klar Position beziehen und die Meinung deines Umfelds über Schwule ändern statt dich durch erfundene Feindbilder wie „die Schwule Szene“ abzugrenzen.

  14. Susan 31. Juli 2012 um 17:52 #

    Schaut mal hier rein:

    http://www.mscperu.org/deutsch/Debatte/schwule1_4prozent.htm

    hier gehen sie nur von 1,4 % Homosexuellen Anteil in der Bevölkerung aus

    LG
    Susan

    • Damien 31. Juli 2012 um 20:19 #

      @Susan: Der Link ist Bullshit. Paul und Kirk Cameron sind keine Wissenschaftler. Paul Cameron ist u.a. bekannt geworden durch eine

      “Untersuchung” der durchschnittlichen Lebenserwartung von Schwulen, die er mit 42 Jahren angab und die dadurch zustande kam, indem stichprobenartig Todesanzeigen in Schwulenmagazinen durchforstet wurden.

  15. Mus Lim 15. August 2012 um 09:48 #

    „Danke für diesen sehr schönen Beitrag.“ *lol*
    Dankeschön also dafür, dass man viele Zeilen lesen muss, um hinterger genau so schlau, oder so dumm zu sein, wie vorher.

    Ich lach mich kringelig, da gibt es
    1. Feministische Wissenschaften
    2. Genderwissenschaften
    3. Queer-Theorien
    4. Universitätsinstitute, Professorenstellen und Fördermittel ohne Ende …
    5. Lobbyvereine, die Werbung machen ohne Ende
    6. Öffentliche Großveranstaltungen (Love Parade)

    Und man WEISS angeblich, dass Homosexualität das Natüüüürlichste auf der Welt ist,
    aber die einfache, aber naheliegende Frage: „Wieviele sind wir eigentlich?“ kann nicht beantwortet werden. 3x *lol*

    *tränenausdenaugenwisch*
    Großes Mundwerk haben, alle außer uns und den feministischen Freunden sind homophob und so („Müllhalde der Männerrechtsbewegung“, ja, ja), aber keine (!) Ahnung haben.

    Das ist wirklich großes Kino.
    Ehrlich!

  16. Atacama 15. August 2012 um 12:33 #

    >>Und man WEISS angeblich, dass Homosexualität das Natüüüürlichste auf der Welt ist,
    aber die einfache, aber naheliegende Frage: “Wieviele sind wir eigentlich?” kann nicht beantwortet werden. 3x *lol*<<

    MusLim wie willst du denn z.B Saudi Arabien, Iran, Simbabwe oder Uganda dazu kriegen, eine homosexuelle Volkszählung zu machen? Wenn es Homosexualität dort überhaupt nicht gibt (Zitat Ahmadinedschad), weil nicht sein kann was nicht sein darf oder wenn die Menschen ein völlig anderes Konzept davon haben?
    Du musst bedenken, dass es bis vor Kurzem noch keinen richtigen Begriff dafür gab, für ausschliessliche Liebe zum gleichen Geschlecht, du musst auch immer den kulturellen Hintergrund bedenken.
    Mit Sicherheit gibt es sogar irgendwo im Hindu Kush Talibankämpfer die ausschliesslich gleichgeschlechtlich empfinden – nur: wie "sehen" sie das? Würden sie es verstehen, wenn man ihnen den westlichen, wissenschaftlichen Begriff "Homosexualität" versuchen würden zu erklären? Würden sie sich selbst dazu "bekennen", innerlich und äußerlich (wenn einer sich nicht outet und sei es in einer anonymen Umfrage, weil er nicht schwul sein will, dann fällt er aus der Aufzählung raus).
    Soweit ich weiss ist die Definition von Homosexualität im islamischen Kernraum auch eine völlig andere.
    Bist du ein einflußreicher Mann mit Familie und noch dazu aktiv, also oben liegend und dominant, hast du wenig bis nichts zu befürchten.
    Bist du feminin und/oder passiv oder offen schwul und unwillig, eine Familie zu gründen, dann erst ist man tatsächlich "schwul", zumal man seine männliche Rolle "verrät" und sich auf Frauen-Niveau begibt.
    Das Wort existiert wenn überhaupt praktisch nur mit der Bedeutung "Schwuchtel", weshalb sich viele die homosexuell empfinden trotzdem niemals als homosexuell definieren würden. Weil sie ja trotzdem vom Selbstverständnis her "echte Männer" sind und keine femininen "Tunten".
    Wenn also alle "ich bin das krasseste Alphatier am Platz. Ich haue jeden zu klump der mich schwul nennt. Schliesslich habe ich schon 3 Söhne gezeugt. Ich ficke halt einfach nur gerne Kerle, aber deshalb bin ich noch lange nicht schwul. Dirk Bach ist schwul"-Männer ebenfalls schweigen, fallen auch sie aus der Aufzählung.

    Und von solchen "MSM"-Männern gibt es Unmengen. Überall auf der Welt.

  17. Damien 15. August 2012 um 15:40 #

    Und man WEISS angeblich, dass Homosexualität das Natüüüürlichste auf der Welt ist,
    aber die einfache, aber naheliegende Frage: “Wieviele sind wir eigentlich?” kann nicht beantwortet werden. 3x *lol*

    Ich begreife den Zusammenhang überhaupt nicht. Nur weil man nicht weiß, wie häufig etwas existiert, ist das doch kein Beweis gegen seine Existenz – oder seine Natürlichkeit.
    Im Übrigen erwarte ich Respekt, weil ich existiere, und nicht erst, weil solche wie ich in einer bestimmten Anzahl existieren.

  18. Atacama 15. August 2012 um 15:52 #

    Wieso eigentlich immer dieser Strei um Natürlichkeit und Unnatürlichkeit? Kann denn nur eins von beidem „natürlich“ sein?
    Und wieso redet man nach Jahrtausenden dokumentierter homosexueller Aktivität + Unmengen an Beispielen in der Natur (auch bei Menschenaffen) immer noch von Unnatürlichkeit.
    Und wieso ist es natürlich, dass wir in diesem Blog hier lesen und einen Computer benutzen?
    Und wieso muss etwas überhaupt „natürlich“ sein um „ok“ zu sein?
    Reicht es nicht, dass an Homosexualität keine Autounfälle, keine Umweltverschmutzung, keine Sklaverei, kein Schmelzen der Polkappen, kein Ausbrechen von Kriegen, kein Mord und kein Totschlag gekoppelt sind? Was will man denn noch?

    Ein 1,65m großer Mann und ein 2,15 großer Mann stehen nebeneinander. Ist der kleine unnormal/unnatürlich klein oder ist der große unnormal/unnatürlich groß oder sind beide normal und natürlich und einfach nur zwei Seiten im Spektrum menschlicher Körpergrößen?
    Ich denke mal letzteres.
    Eine Frau hat so kleine Brüste dass sie im Grunde nur Bienenstiche sind, eine andere hat Doppel G. Ist doch beides normal oder nicht?

    Wieso geht das bei sexueller Orientierung bei so vielen nicht in die Köpfe rein?

  19. Ben 12. Januar 2013 um 16:57 #

    Habe gerade diese schöne Diskussion entdeckt.
    Schon seit langer Zeit wundere ich mich immer wieder über Begriffe wie unnormal oder unnatürlich. Homosexualität wurde bereits bei über 1500 Tierarten nachgewiesen – kommt also überall in der Natur vor.
    Wir Menschen sind ebenso Bestandteil dieser Natur und unterscheiden sich auch in diesem Punkt nicht davon – zumal der sexuelle Trieb immer noch das tierischste und ursprünglichste an uns ist…
    Diejenigen, die einfach mal so behaupten, Homosexualität sei unnatürlich, beziehen sich immer gerne auf die Arterhaltung. Man pflanze sich dabei nicht fort. Dass sich eben diese Leute z.B. beim Onanieren auch nicht fortpflanzen, lässt man dann gerne unter den Tisch fallen. Als wenn man bei jedem Sex auf eine Schwangerschaft hinarbeiten würde.
    Oralverkehr ist genauso eine Spielart, die nichts weiter dient als dem Fun.
    Homosexualität kommt bei Mensch und Tier vor und ist natürlich.
    Dass sie seltener vorzukommen scheint als Heterosexualität sagt über die Natürlichkeit überhaupt nichts. Rothaarige sind auch wesentlich seltener als Dunkelhaarige oder Blonde, sind aber deswegen nicht unnatürlich. Linkshänder kommen auch seltener vor als Rechtshänder, sind deswegen aber auch nicht unnatürlich. Das sind normale Abweichungen innerhalb eines bunten Spektrums. Nichts davon ist „unnatürlich“.

    Die Diskussion über „Männer, die mit Männern Sex haben“ und sich als heterosexuell bezeichnen, finde ich nur noch amüsant. Solche Männer sind mit Sicherheit nicht heterosexuell. Heterosexualität meint die ausschließliche (!) Neigung zum anderen Geschlecht. Homosexualität die ausschließliche Neigung zum gleichen Geschlecht. Ist ein Interesse an beiden Geschlechtern vorhanden – wechselweise oder gleichzeitig, nennt man das Bisexualität. Bisexuell ist man auch, wenn man eher zur einen oder anderen Seite tendiert. Das ist eine kurze und einfache Beschreibung, die sich ausschließlich auf Fakten bezieht und die Dinge benennt, wie alle Dinge irgendwie benannt werden. Das dient dem Verständnis und der Kommunikation.

    Man kann durchaus homosexuell sein, ohne eine schwule Identität aufgebaut zu haben. Man kann auch eine schwule Identität haben und dennoch bisexuell sein.
    Und man kann Bisexuell sein und keine schwule Identität haben.

    Das ändert aber nichts daran, dann man nicht heterosexuell ist, wenn man auch (oder nur) auf Kerle steht.
    Das ist genauso, als ob jemand regelmäßig Fleisch ist und sich dennoch als Vegetarier bezeichnet – oder aus Prinzip niemals Fleisch isst und behauptet, kein Vegetarier zu sein.

    Beides habe ich schon erlebt und gleiches ist gleichermaßen bescheuert.

    Ich würde echt empfehlen, Begriffe wie Homo- oder Bisexuell wertfrei zu benutzen. Da leben die meisten Leute wirklich besser mit.
    Diese Wort dienen lediglich der Beschreibung von Fakten, dem in-Worte-fassen des Ist-Zustandes. Mehr nicht! Man stopft sich damit nicht in Schubladen und engt sich auch nicht ein. Man legt sich durch solche Formulierungen auch nicht fest oder unterwirft sich einer vermeintlichen Rolle. Man nennt die Dinge lediglich bei ihrem Namen – genau wie alles, was man mit Worten ausdrücken und benennen kann. Das sagt nichts darüber aus, dass man in einem Jahr nicht ganz anders empfinden kann.
    Indem man mit so einer Art Vermeidungsverhalten Worte wie „Schwul“, „Homosexuell“ oder „Bisexuell“ zu umschiffen sucht, lädt man sie selber weiterhin negativ auf und sorgt dafür, dass sie weiterhin einen unangenehmen Klang für einen behalten.
    Wer ein Wort (oder einen Namen) mal extrem häufig hintereinander ausgesprochen hat, kennt den Effekt, dass dieses Wort nach einer Weile bedeutungsleer klingt, völlig fremd und von Inhalten losgelöst.
    Wer klipp und klar sagt:“Ich stehe auch gleiche Geschlecht und bin daher bisexuell“ – und dieses Wort – oder das Wort „schwul/homosexuell“ – in seinen normalen Wortschatz aufnimmt; einsortiert zwischen Worten wie „groß“, „klein“, „dick“, „dünn“ usw., wird merken, wie sich diese negative Sprachmagie verflüchtigt. Literaten, Poeten und Dichter aller Zeiten bedienen sich seit jeher der Magie der Sprache. Sie verstanden es immer, Dinge allein durch ihre Umschreibung grässlich oder wunderbar aussehen zu lassen.
    Begriffe wie „homosexuell“ oder „bisexuell“ sind nichts weiter als ganz normale Adjektive. Indem man sie meidet, führt das auch automatisch zu einer Distanzierung zu dem, für was sie stehen. Je mehr man versteht, dass es kurze (und präzise!) Beschreibungen sind, derer man sich auch im Falle einer derartigen Selbstbezeichnung nicht schämen muss, umso mehr normalisiert sich auch der gesamte Umgang mit dem Thema.

    Jedes Wort im Wörterbuch ist ein Etikett – und jedes Wort ist eine Schublade. Das ist etwas Positives.Daran ist nichts Schlechtes.

  20. Smash Heterosexism 31. März 2013 um 17:14 #

    Eingermaßen absurd, wie ein gewisser @martin sich hier als oberschlauer Verteidiger der „Objektivität“ betätigt, aber von Anfang bis Ende die real existierenden sexuellen Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse in dieser Gesellschaft ausblendet. Wie ein Mensch innerhalb dieser Gesellschaft empfindet und sich verhält oder zu wem jemand „emotional-partnerschaftliche Bindungen“ aufbaut, hat natürlich überhaupt nichts damit zu tun, was dem betreffenden Menschen vom ersten Atemzug an als sexuelle Norm und (HETERO-!) sexistische Geschlechtsrollenzuweisung, inzwischen über Massenmedien in einer noch nie dagewesenen, aggressiven Bilderflut rund um die Uhr inszeniert und reproduziert, eingetrichtert und faktisch unter allgegenwärtiger gesellschaftlicher Sanktionsandrohung aufgezwungen wird. Bei Facebook wird mittlerweile schon bei Achtjährigen jedes nicht heterokonforme Verhalten umgehend durch die gesellschaftlich (re-) produzierten Heterosexismen niedergebrüllt und -gemacht. Und da kommt @martin und tut so, als gebe es für Homo- und Heterosexualität in dieser Gesellschaft auch nur ansatzweise gleiche Entwicklungs- und Entfaltungsbedingungen. Dabei sind wir davon in dieser bürgerlichen Gesellschaft, die sich zur Systemstabilisierung gerade in Krisenzeiten wieder ganz besonders auf die „Geschlechterdifferenz“ und auf Hetero-Sexismen aller Art stützt (nicht zuletzt, um Reproduktionsarbeit weiterhin auf das Konstrukt der heiligen Familie abwälzen zu können) Lichtjahre entfernt. Auch bei aller verlogenen Pseudo-„Toleranz“, die jeder sich nicht absichtlich blind und taub stellende Mensch spätestens dann, wenn er zum zweiten Mal innerhalb von fünf Minuten im öffentlichen Raum einer größeren Stadt aggressives und eben aus einer tiefgreifenden, gesellschaftlich produzierten Pathologisierung in bezug auf Homosexualität, zurückzuführendes „schwul“ und „Schwuchtel-„Gegröle wahrgenommen hat, als das entlarvt, was sie ist: eine Illusion!

  21. martinkirsch 11. Dezember 2013 um 23:53 #

    Wissenschaftlich gesehen sind 1-2% realistisch, alles andere ist ein Märchen oder Wunschdenken.

    Laut Emnid Deutschland (2000) schätzen sich 1,3% der Deutschen als schwul bzw. 0,6% als lesbisch ein.
    Laut kanadischer Studie sind 1% homosexuell.
    Laut australischer Studie 1,6%.
    Laut einer Auswertung von 11 amerikanischen und internationalen Studien sind 2,2% der Männer schwul bzw. 1,1% der Frauen lesbisch.

    Aktuellste Studien:

    2010: Norwegen: 0,7% homosexuell
    2010: Großbritannien: 1,0% homosexuell

    Quellen:

    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/14696704
    http://www.statcan.gc.ca/daily-quotidien/040615/dq040615b-eng.htm

    Klicke, um auf dcp171778_280451.pdf zuzugreifen

    Klicke, um auf nhsr036.pdf zuzugreifen

    Klicke, um auf Gates-How-Many-People-LGBT-Apr-2011.pdf zuzugreifen

  22. martinkirsch 11. Dezember 2013 um 23:57 #

    PS: 10% sind ein Überbleibsel eines Schätzwert aus der McKinsey-Studie von 1948. Sie genügt aber nicht wissenschaftlichen Ansprüchen, da sie aus nicht-repräsentative Daten stammt. Drüfte inzwischen eher eine urban legend darstellen.

  23. Atacama 12. Dezember 2013 um 09:23 #

    Die Frage ist allerdings, ob Selbsteinschätzung bei diesem Thema eine glaubwürdige Quelle ist, wenn man bedenkt, dass ziemlich viele Homosexuelle sich vor ihrem Outing als heterosexuell eingeschätzt haben. Oder 30 Jahre lang in einer heterosexuellen Ehe leben bevor sie ihr Coming Out haben usw.
    Und dann sind da noch die Bisexuellen.
    Bei vielen Theman wird nicht mal in anonymen Umfragen die Wahrheit gesagt. Dieses hier dürfte eines davon sein.

    10% mag zu hoch gegriffen sein, aber 0,x halte ich für zu niedrig.

    Aber wenn es so ist, frage ich mich, wieso Homosexualitätsgegner immer noch etwas von Homosexualisierung faseln.

  24. Atacama 12. Dezember 2013 um 09:26 #

    Will sagen: Sich als homosexuell definieren (und das zugeben) und homosexuell (oder bi) sein sind zwei verschiedene Paar Schuhe.

  25. martinkirsch 13. Dezember 2013 um 00:12 #

    Ja, allerdings ist beim Coming out die eigene Homosexualität völlig klar, es geht dabei um die Öffentlichkeit, den Freundeskreis usw. Anonyme Umfragen sind aber genau das Gegenteil. Niemand erfährt, was man gesagt hat, das verschwindet in der Gesamtstatistik.

    Die meisten Studien berücksichtigen den Effekt außerdem.

  26. david 13. Dezember 2013 um 13:33 #

    Ich kann mir zwar nicht vorstellen wie es ist, wenn die eigene sexuelle Orientierung stigmatisiert ist. Aber trotzdem würde ich Menschen die in einer einigermaßen liberal-westlichen Gesellschaft heterosexuell leben und „nicht genau wissen“ ob sie schwul sind oder die nicht mal in einer anonymen Befragung klare Angaben machen können als
    a) paranoid, traumatisiert, transsexuell oder sonstwie auffällig
    b) bisexuell oder
    c) asexuell einstufen.

    Denn so weit kann es mit einer „Orientierung“ nicht weit her sein, wenn man sich der nicht nach spätestens 2 Lebensdekaden nicht bewusst ist.

    Ansonsten denke ich ehrlich gesagt auch, dass der Anteil Homosexueller bei maximal 3% liegt. 1-3% entspricht den Zahlen aus Studien, die mir einigermaßen seriös schienen und die die Orientierung auch sinnvoll operationalisiert haben (also nicht sowas wie „hatten Sie schon mal ein homosexuelles Erlebnis“)

    Ich denke aber, dass es durchaus nationale/ethnische Unterschiede geben kann, ich glaube somit nicht an eine anthropologische Konstante, deren Wert man herausfinden könnte. Sowohl die genetische Varianz könnte ungleich verteilt sein (wir wissen ja auch dass die Digit Ratio zum Beispiel interkulturell variieren), also auch vor allem der sozialisationsbedingte Anteil. Zudem werden Homosexuelle aus repressiven Kulturen oft in möglichst liberale Länder einwandern und dort ihren Anteil erhöhen.

    Schwulenfreundliche Länder bekommen somit mehr Schwule nicht dadurch, dass die Kinder aufgrund von „Homo-Propaganda“ schwul würden, sondern wohl vor allem dadurch, dass sie eben attraktiv für schwule Einwanderer sind.

  27. Atacama 13. Dezember 2013 um 14:39 #

    „Anonyme Umfragen sind aber genau das Gegenteil. Niemand erfährt, was man gesagt hat, das verschwindet in der Gesamtstatistik.“

    Man selbst erfährt aber was man gesagt hat. Es gibt eine ganze Reihe Menschen die sich entweder nicht bewusst sind, dass sie gleichgeschlechtlich orientiert sind oder es so unterdrücken, dass sie sich eben nicht so definieren. Auch nicht in einer anonymen Umfrage. Ganz krass gibt es das in Afghanistan. Da sind gleichgeschlechtliche Kontakkte unter Männern sehr verbreitet, aber schwul ist dort trotzdem keiner.
    Zwischen sich als schwul identifizieren und „nur“ (gerne) Sex mit Männern haben ist für viele dort ein himmelweiter Unterschied.

    Man sollte eher die NSA losschicken und gucken, auf wieviel PCs Schwulenpornos oder entsprechende Bilder oder Infos konsumiert werden.

  28. man.in.th.middle 13. Dezember 2013 um 15:53 #

    @Atacama: „in Afghanistan…sind gleichgeschlechtliche Kontakkte unter Männern sehr verbreitet“

    Nanu? Was für Kontakte? Was sagt denn der Prophet dazu?
    Ist das sowas wie der legendäre Zungenkuß Honecker vs. Breschnew?
    http://content.stuttgarter-nachrichten.de/stn/page/detail.php/1753186

  29. Atacama 13. Dezember 2013 um 17:03 #

    So genau habe ich das nicht recherchiert aber es gab vom Militär Studien bzw. Berichte darüber weil die Soldaten sich natürlich gewundert haben.

    Weil das so verbreitet ist, steht auf sex unter Männern auch nur ein paar Jahre Gefängnis, was aber kaum angewendet wird. Für ein konservatives islamisches Land ist das extrem nachsichtig.
    Ausserdem gibt es dort Bacha Bazi, einflußreiche Männer halten sich Jungs (bis sie zu alt bzw. männlich sind) die sich als Mädchen verkleiden und für die Männer singen und tanzen und auch Sex haben.

    hier sind ein paar Artikel

    http://www.sfgate.com/opinion/brinkley/article/Afghanistan-s-dirty-little-secret-3176762.php
    http://beforeitsnews.com/opinion-conservative/2013/04/powerful-afghan-men-their-dancing-boys-2626652.html
    http://eurasianhub.com/2013/04/24/afghan-masculinities-the-construction-of-the-taliban-as-sexually-deviant/
    http://www.ggg.at/index.php?id=323&tx_ttnews%5Btt_news%5D=2924&cHash=45ef2b54e3cd528ed887ab1a73b17755

    „Für betretenes Schweigen in US-Militärkreise sorgt eine Studie über den afghanischen Stamm der Paschtunen, die den Süden und Osten des Landes bewohnen. Zweck der Studie sollte es sein, den NATO-Truppen ein besseres kulturelles Verständnis der Paschtunen zu ermöglichen. Doch deren sexuellen Gepflogenheiten waren für die Militärs schwer zu verstehen – die Studie ist noch immer unter Verschluss.

    Allerdings wurde das Papier dem konservativen US-Nachrichtenkanal „Fox News“ zugespielt – und er zitiert genüsslich daraus. Kurz zusammengefasst steht dort: Männliche Paschtunen haben Sex mit anderen Männern, fühlen sich auch körperlich von ihnen angezogen, haben sexuelle Beziehungen mit Burschen und verabscheuen Frauen als „unrein“, lehnen die Bezeichnung „homosexuell“ für ihr Verhalten aber strikt ab. „

  30. Atacama 13. Dezember 2013 um 17:17 #

    „Dazu passt auch ein beliebtes Sprichwort bei den Paschtunen: „Frauen sind für Kinder, Burschen für’s Vergnügen“. „

  31. bajazbasel 1. Januar 2014 um 20:19 #

    Es gibt zuviel Heterosexualität und zuwenig Heterosexuelle! 😛

  32. Benjamin Börgemann 16. Mai 2015 um 11:41 #

    B.B.

    Danke für die Erklärung.
    Meiner Meinung nach, ist die Zahl der Menschen in der Gesellschaft, die sich dazu bekennen, an gleichgeschlechtlicher Liebe gefallen zu finden, prozentual in den letzten Jahrzehnten gestiegen.
    Woran liegt das nun?
    Nun, zunächst muss man die Präsenz von homosexuellen, in den Medien, TV, Film, Musik und Parteien nennen, die langsam zu mehr Akzeptanz geführt haben.
    Auch die Abschaffung des sogenannten Homosexuellenparagraphen in der Strafprozessordnung, hat viel zu einer Verbesserung, des Meinungsbildes in der Gesellschaft beigetragen.
    Kurz nach dem zweiten Weltkrieg, in der prüden Adenauerära, war das noch total anders.
    Auch die Änderung der Erziehung der Kinder, trägt langsam dazu bei.
    Ich glaube sowieso, dass es von Natur aus, gar keine feste sexuelle Ausrichtung von Geburt an gibt.
    Der Mensch ist von Geburt aus Bisexuell und bekommt erst durch die Erziehung, eigene Erfahrungen und den Freundes und Bekanntenkreis, erste sexuelle Kontakte, seine persöhnliche Ausrichtung.
    Also, was soll der ganze Tara……

    • seal 22. Mai 2016 um 03:31 #

      Letzteres ist absoluter Unfug. Niemand bekommt eine sexuelle Ausrichtung durch soziale Kontakte „anerzogen“. Das ist mittlerweile wissenschaftlich gut widerlegt. Weder Homosexualität noch Heterosexualität sind „ansteckend“ sondern angeboren. Dieser alte Aber- und Irrglaube führte früher zu viel Verunsicherung, Vorurteilen und negativen Gefühlen gegenüber homosexuell orientierten Menschen… glücklicherweise gehört das (zumindest bei gebildeten und aufgeklärten Menschen) mittlerweile der Vergangenheit an. Man weiß, dass die sexuelle Ausrichtung der Eltern (welche die erste und prägendste Sozialisationsinstanz sind) KEINEN Einfluss auf die sexuelle Orientierung eines Kindes nehmen – auch die sexuelle Orientierung von Freunden nicht. Bestenfalls können Freundschaften ggf. HILFREICH dabei sein, die sexuelle Orientierung besser zu akzeptieren und damit umzugehen. Ein wenig Bildung täte – gerade in solchen empfindlichen Bereichen – dringend Not !

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