Mein Schwanz gehört mir! – Und keiner Religion!

29 Jun

Beim nochmaligen Lesen diverser Artikel zum Beschneidungsurteil fällt mir ein Argument besonders ins Auge: das der Religionsfreiheit, die nun angeblich gefährdet wäre. Dabei ist gar nicht einzusehen, warum. Denn selbstverständlich hat jeder weiterhin das Recht seine Religion auszuüben und sich selbst beschneiden zu lassen.

Insofern greift bspw. Malte Lehming in einem Artikel des “Tagesspiegel” mit einem Gegenargument pro Beschneidung gewaltig ins Leere:

Das Grundrecht auf eine ungestörte Religionsausübung ist ein Menschenrecht. Auch Amerikaner kämpfen für dieses Recht, weil es ihrem Freiheitsverständnis und ihrer Gründungsgeschichte entspricht. Sie stellen es im Zweifel sogar über andere Werte und Ziele, wie etwa die staatliche Drogenbekämpfung.

Am 21. Februar 2006 fällte das Oberste US-Verfassungsgericht ein bedeutsames Urteil. Es ging um den Fall „Gonzales versus O Centro Espirita Beneficiente Uniao Do Vegetal“. Das ist eine Religionsgemeinschaft, zu deren Riten es gehört, einen halluzinogenen Tee zu trinken. Der nennt sich „hoasca“ und besteht aus Pflanzen, die in Brasilien wachsen.

 Deren Wirkstoff DMT indes fällt unter das Betäubungsmittelgesetz und ist an sich streng verboten. Religionsfreiheit kontra Drogenmissbrauch – was tun? Das mehrheitlich konservative Gericht entschied einstimmig, dass der „Religious Freedom Restoration Act“ stärker zu gewichten sei als das Drogenverbot. Seitdem darf der Hoasca-Tee offiziell getrunken werden.

Zunächst einmal fällt an diesem Urteil der Sonderstatus auf, den Religionsgemeinschaften auch heute noch genießen. Sie dürfen etwas tun, was andere Menschen nicht dürfen und zwar alleine deshalb weil es halt Religionen sind.

Dazu kommt, dass der Vergleich Lehmings natürlich hinkt: Denn inwiefern lassen sich die Einnahme von Drogen mit einer Beschneidung vergleichen, wenn man das eine dem eigenen Körper antut, und das andere dem Körper eines anderen?

Selbstbestimmung über sich und seinen Körper ist ein hoher Wert, ja der höchste überhaupt, er ist eine der Essenzen der Freiheit. Ohne diese Wert macht Freiheit keinen Sinn, ohne diesen Wert könnte man theoretisch alles rechtfertigen: Prügel, Sklaverei, Steinigungen. Und interessant, dass Religionen all diese Dinge auch tatsächlich gerechtfertigt haben und es teilweise heute noch tun.

Wenn man Drogen nimmt, schadet man – wenn überhaupt – zunächst einmal nur sich selbst. Insofern ist das Verbot des Drogenkonsums schon lächerlich genug. Eine Beschneidung von Kindern ist aber – selbst wenn sie langfristig nicht schadet – ein irreversibler Eingriff am Körper eines anderen Menschen, der dazu seine Zustimmung nicht gegeben hat.

Wenn nun also Religionen meinen, es gehöre zu ihrer Freiheit, einen anderen Menschen, ohne dessen Einwilligung, ein Körperteil zu amputieren, nun ja, dann hat die Religionsfreiheit halt ihre Grenzen erreicht.

Dass die Folgen für die Männer nicht der Rede wert ist, macht die ganze Sache dabei erträglich. Aber auch wirklich nur deshalb!

11 Antworten to “Mein Schwanz gehört mir! – Und keiner Religion!”

  1. bajazbasel 29. Juni 2012 um 21:02 #

    Die Beschneidungen auf der ganzen Welt haben nirgendwo religiösen Ursprung. Sie sind ein Zeichen der Herrschaft und Frauschaft der älteren über die jüngere Generation. Die katholische Kirche behauptet bis heute, dass sich im Abendmal das Brot und der Wein in Blut und Fleisch wandeln würden. Dann haben die Priester aber viel Blut an ihren Händen. Im übrigen sind die Beschneidungen eigentlich „gleichgeschlechtlich“ angelegt. Aber da gibt es heute auch Ausnahmen, wie ich auf Deutschlandradio über eine jüdische Ärztin erfahren habe.

  2. bajazbasel 29. Juni 2012 um 21:04 #

    Ich weiss nicht, was Frauen empfinden, wenn sie ein Stück beschnittenes Fleisch in den Mund nehmen (müssen), das öfter mal schaurig aussehen tut. Aber es machen das wohl nur wenige Heterofrauen! ,)

  3. muttersheera 29. Juni 2012 um 23:28 #

    @ Adrian:

    Lies mal bitte das hier:
    http://www.freitag.de/autoren/christianberlin/beschneidung-verbieten-religion-beseitigen

    Da steht viel interessantes drin, z. B.:

    „Die Idee, speziell diese Religion durch ein Beschneidungsverbot zu dezimieren oder auszurotten, ist nicht neu. Das erste erließ 167 v. Chr. der hellenistische Syrerkönig Antiochus IV im Rahmen seines Religionsediktes, das in Jerusalem zum (erfolgreichen) Makkabäer-Aufstand gegen seine Fremdherrschaft führte. Der römische Kaiser Hadrian weitete um 130 n. Chr. die Lex Cornelia Sicariis et Venificis dahingehend aus, dass eine Beschneidung rechtlich als Kastration gewertet wurde, die seit Domitian die Todesstrafe und den Einzug aller Güter zur Folge hatte, was den (gescheiterten) Bar Kochba Aufstand auslöste und die Vertreibung aller Juden aus der in „Palästina“ umbenannten Provinz Judäa nach sich zog, deren Spätfolgen wir heute u.a. im Nahost-Konflikt erleben.“

    Aber auch zum aktuellen Urteil, natürlich.

    Irgendwo anders las ich, dass es Juden (die normalerweise am 8. Tag beschnitten werden müssen um in ihre Religionsgemeinschaft aufgenommen zu werden, also am religiösen Leben teilnehmen zu können – d.h. anders als bei Moslems, die ihre Jungen erst im Vorschulalter oder noch später beschneiden lassen) gestattet ist, auf die Brit Mila zu verzichten, wenn sie „in Zeiten der Verfolgung“ leben.

    Fühlst Du Dich wohl bei dem Gedanken, dass Juden Deutschland nun wieder als Verfolger-Nation ihres Glaubens betrachten?

    „Dass die Folgen für die Männer nicht der Rede wert ist, macht die ganze Sache dabei erträglich. Aber auch wirklich nur deshalb!“

    Die Idee, sie sollten halt einfach bis zur Volljährigkeit des Kindes oder so warten, hat außerdem den entscheidenden Nachteil, dass die möglichen Risiken und Nebenwirkungen so größer werden. Ob die (frühe) Beschneidung im Allgemeinen tatsächlich gesundheitliche Nachteile hat, ist ebenso strittig wie die Gegenmeinung, dass beschnittene Männer seltener an Peniskrebs & HIV erkranken, dass bei jüdischen Frauen bzw. Frauen beschnittener Männer deutlich seltener Gebärmutterhalskrebs (ausgelöst durch HPV-Viren) diagnostiziert wird, etc.

    Aber, wie Du als erste Reaktion beim Christian ja auch meintest:
    der Kampf gegen die Beschneidung erscheint doch DEUTLICH zu radikal…

    @ bajazbasel

    Mach doch den Optik-Vergleich:
    http://www.eurocirc.org/

    Disclaimer: mir gefallen (auch) unbeschnittene Penisse sehr gut. Zumindest erigiert 😆

  4. Adrian 30. Juni 2012 um 12:15 #

    @ muttersheera
    „Fühlst Du Dich wohl bei dem Gedanken, dass Juden Deutschland nun wieder als Verfolger-Nation ihres Glaubens betrachten?“

    Es tangiert mich in diesem Fall recht wenig. Zumal man auch sagen könnte:

    „Schwulenhass verbieten – Religion beseitigen“

    oder

    „Steinigung verbieten – Religion beseitigen“

    „der Kampf gegen die Beschneidung erscheint doch DEUTLICH zu radikal…“

    Das ist er ja auch. Aber andererseits finde ich mittlerweile umgekehrt den Kampf für Beschneidung auch ein wenig zu radikal.

    Eine Beschneidung von Kindern bleibt Körperverletzung und ich bin mit dem Urteil einverstanden. Wenn ich abwägen muss was wichtiger ist, körperliche Unversehtheit eines Kindes oder religiöse Befindlichkeiten der Eltern, entscheide ich mich klar für ersteres.

  5. Ralf 30. Juni 2012 um 12:56 #

    Man muss mal klarstellen: Es geht um die Freiheit der Angehörigen einer Religion, 1. ihre Söhne zwangsweise in diese Religion aufzunehmen, 2. sie zu diesem Zweck zu verstümmeln. Wenn das Religionsfreiheit ist, dann bestenfalls die der Eltern, nicht des betroffenen wehrlosen Kindes.

  6. muttersheera 30. Juni 2012 um 15:10 #

    „Es tangiert mich in diesem Fall recht wenig.“

    Weil?

    „Zumal man auch sagen könnte:

    “Schwulenhass verbieten – Religion beseitigen”

    oder

    “Steinigung verbieten – Religion beseitigen”“

    Gemach, gemach… Israel ist Dir letzt noch als besonders fortschrittlich im Hinblick auf die Rechte von Homosexuellen aufgefallen. Steinigungen gibt es in islamistischen Ländern gemäß Scharia, aber selbst der letzte Papst hat die Todesstrafe noch als u.U. notwendig bezeichnet, und die Geschichte beweist, dass auch extrem religionsfeindliche Länder – ohne Beschneidungsrituale – sie praktizierten bzw. Schwulenfeindlich sein können (und beides nicht zu knapp, wenn Du ein paar Jahrzehnte zurückdenkst).

    Die Frage ist doch: erscheint Dir ein beschnittener Mann als „Genitalverstümmelter“?

    Und wenn: dann nur derjenige, bei dem die Beschneidung aus religiösen Gründen erfolgte, oder auch bei denjenigen, bei denen es aus medizinischen Gründen sein musste (und dass der Eingriff manchmal sein muss, das nimmst Du doch auch an?)

  7. Adrian 30. Juni 2012 um 23:46 #

    @ muttersheera

    „Weil?“

    Weil mir religiöse Befindlichkeiten egal sind, wenn um das Recht auf körperliche Unversehrtheit geht.

    „Gemach, gemach… Israel ist Dir letzt noch als besonders fortschrittlich im Hinblick auf die Rechte von Homosexuellen aufgefallen.“

    Das eine hat mit dem anderen aber nichts zu tun. Es geht nicht um die Vergleichbarkeit von Beschneidung und Steinigung oder Schwulenhass sondern um das religiöse Argument, das für mich halt keines ist. Es ist mir relativ egal wenn einer sagt, wir tun das weil es halt unsere Religion ist. Das ist für mich kein Argument.

    „Die Frage ist doch: erscheint Dir ein beschnittener Mann als “Genitalverstümmelter”?“

    Nein, auch wenn er es faktisch ist.

    „und dass der Eingriff manchmal sein muss, das nimmst Du doch auch an?“

    Aber das ist was anderes. Wenn es sein muss, um schlimmeres zu verhindern, dann muss es halt sein.

  8. Sven Bögner 1. Juli 2012 um 21:55 #

    Es gibt heutzutage auch viele Juden, die die Beschneidung kritisch sehen. Siehe hier: http://www.jewsagainstcircumcision.org/ oder hier http://www.noharmm.org/jewhouseholds.htm oder hier http://www.haaretz.com/weekend/magazine/even-in-israel-more-and-more-parents-choose-not-to-circumcise-their-sons.premium-1.436421

  9. crumar 3. Juli 2012 um 00:15 #

    @Adrian Ich habe mich lange mit der Thematik beschäftigt und habe eigentlich einen Blog beim „Freitag“.
    Zu diesem Thema und anderen scheint es aber gewisse Meinungsverschiedenheiten mit mir und der Redaktion zu geben – seit ungefähr zwei Monaten haben wir ein Problem miteinander. Erst haben sie mich für zwei Wochen gesperrt und dann wurden sechs daraus, etc.
    .
    Ich habe zum zweiten Mal innerhalb von drei Tagen versucht meinen Beitrag zu der Thematik „Beschneidung“ in meinem Blog zu posten und er ist wieder nicht erschienen.
    Nunmehr glaube ich nicht an Zufälle.

    Kannst du mir bitte verraten, welches Angebot von wordpress du genau angenommen hast?
    Ich habe die Schnauze voll von diesen Pseudo-Linksliberalen und würde gerne wechseln.

    Dank im voraus, crumar

  10. ketcar 5. Juli 2012 um 19:21 #

    @muttersheera:

    Fühlst Du Dich wohl bei dem Gedanken, dass Juden Deutschland nun wieder als Verfolger-Nation ihres Glaubens betrachten?

    Fühlst du dich wohl bei dem Gedanken, dass es mir verboten ist, die Arme meiner Verwandten mit dem Bunsenbrenner zu verschönern und das _obwohl_ es wirklich so schwarz auf weiß in den 10 Geboten des fliegenden Spaghettimonsters geschrieben steht?

    Ich find’s unerträglich, dass es überhaupt diskutiert wird, ob es ok ist, wehrlosen Babys ihre Vorhaut abzusäbeln. Was Erwachsene mit ihren Pimmeln machen, ist deren Sache, aber bei wehrlosen Babys und Kindern hört der Spaß auf.

    Und noch was, um mal R. Dawkins zu zitieren: Es gibt keine jüdischen oder muslimischen Kinder, es gibt nur Kinder muslimischer oder jüdischer Eltern.

    Schlimm genug, dass Erwachsene ihre Kinder nicht aus ihrem Glaubensbekenntnis heraushalten und ihnen damit nicht selten seelische Verletzungen zufügen, nur hat der Staat hier wenig Handhabe.

    Beim grundlosen (und nö -Abraham, Mohammed, fliegendes Spaghettimonster und Co. sind keine hinreichenden Gründe) Rumschneiden an Kindern hingegen hat er sie und soll sie auch nutzen.

    Die Idee, sie sollten halt einfach bis zur Volljährigkeit des Kindes oder so warten, hat außerdem den entscheidenden Nachteil, dass die möglichen Risiken und Nebenwirkungen so größer werden.

    Und natürlich den, dass die Kurzen dann plötzlich auch noch mitreden wollen, wenn ihre Verwandten ihnen ihre „Religionsfreiheit“ mit dem Skalpell näherbringen wollen. Das kann’s ja nun auch nicht sein…

  11. Ralf 6. Juli 2012 um 14:07 #

    Das einzige echte Risiko, das sich aus dem Warten auf die Entscheidungsfähigkeit des Kindes ergeben könnte, wäre: dass es „nein“ sagt. Das und nur das scheut die Religiösenlobby. Eine Erwachsenenbeschneidung ist,wenn sie korrekt durchgeführt wird, kein medizinisches Problem, wie ich aus eigener Erfahrung weiß (ich bin Phimose-Balanitis-Opfer). Man braucht halt ein paar Wochen, bis alles überstanden ist. Aber bei echter religiöser Überzeugung wird das ja wohl kein Hindernis sein.

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