Die Richter des Landgerichtes Köln haben ein mutiges, wegweisendes und menschliches Urteil gefällt, als sie Beschneidungen von Kindern als Körperverletzung eingestuft haben. Erstaunlich ist eigentlich nur, dass ein solcher Urteilsspruch erst jetzt gefallen ist. Andererseits zeigt dies auch wieder, welche Macht Religionen immer noch haben, wie sie das Denken, die Sitten, Gebräuche und unsere Gesellschaft prägen.
Ist es nicht in einem gewissen Sinne befremdlich, dass man sich bis zum Urteil eigentlich nie so recht um die Beschneidung von Jungen Gedanken gemacht hat? Dass man eine offensichtliche Körperverletzung nicht als solche erkannt hat? Religion war auch hier wieder die Trumpfkarte, die alle anderen Einwände beiseite gewischt hat. Durch ihren Einfluss wurde aus einer Körperverletzung ein weitgehend akzeptierter und zu tolerierender Brauch. Bis heute.
Auch ich habe dieser Frage wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ich sehe die Beschneidung von Jungen auch immer noch nicht als besonders gravierend an. Womöglich zu Unrecht, wie weitere Informationen zeigen werden. Aber wie dem auch sei: die Beschneidung unmündiger Kinder lässt sich mit keinem meiner ethischen Grundsätze rechtfertigen oder in Einklang bringen.
Denn man mache es sich noch einmal klar, wovon wir hier reden: von der irreversiblen Amputation eines natürlich vorhandenen, funktionstüchtigen, gesunden Körperteils bei einem unmüdigen Kind, das seine Zustimmung hierzu nicht gegeben hat.
Weit besser als ich es je könnte, hat Matthias Krause vom Humanistischen Pressedienst alle wesentlichen Informationen und Fakten zum Beschneidungsurteil zusammengefasst. Die Lektüre ist unbedingend empfehlenswert.
Anbei einige Auszüge (Links im Original):
Zur Abwägung der einzelnen Rechtsgüter:
Natürlich haben die Richter am Kölner Landgericht bei ihrem Urteil das Recht des Kindes und das der Eltern gegeneinander abgewogen. Dabei geht es um das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit auf der einen Seite (Art. 2 (2) GG) und das Recht der Eltern auf Religionsfreiheit (Art. 4 GG) und das Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 (2) GG).
Die Religionsfreiheit entbindet allerdings nicht von den staatsbürgerlichen Pflichten (Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 (1) WRV), d.h. hier: von der Pflicht, seinen Mitmenschen keine Körperverletzung zuzufügen (§ 223 StGB). Vielmehr muss sich die Religionsausübung im Rahmen der für alle geltenden Gesetze bewegen. Deshalb kann, wenn die Beschneidung die Tatbestandsmerkmale der Körperverletzung erfüllt, die Religionsfreiheit nicht zur Rechtfertigung angeführt werden. Dies ist bei jedem anderen Thema auch gesellschaftlicher Konsens, wenn es z.B. um die Beschneidung vom Mädchen, „Ehrenmorde“, Zwangsheiraten oder die körperliche Züchtigung der eigenen Kinder unter Berufung auf die Bibel geht. Ebenso wenig können sich Zeugen Jehovas auf die Religionsfreiheit und das Elternrecht berufen, um die Verabreichung lebensnotwendiger Bluttransfusionen an ihr Kind zu verhindern.
Zum Argument, eine Beschneidung sei in ihren Folgen für das Kind vernachlässigbar:
Viele Kritiker versuchen, die obige Argumentation dadurch zu entkräften, dass sie die Beschneidung als harmlos darstellen, als sei das Kindeswohl dadurch nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Es sind nun gerade solche Kritiker, die völlig einseitig argumentieren. Denn selbst, wenn man die Beschneidung nicht für besonders schwerwiegend hält, so lässt sich doch nicht ernsthaft bestreiten, dass das Abschneiden der Vorhaut einen nicht unbeträchtlichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellt, der durchaus mit Risiken verbunden ist, und – wie die Kölner Richter zutreffend feststellten – dem Kind dauerhaft und irreparabel das sichtbare Zeichen einer Religionszugehörigkeit aufzwingt. Und das allein reicht völlig aus, um hier das Recht des Kindes höher zu bewerten als die Rechte der Eltern.
In diesem Zusammenhang ist es auch unerheblich, dass die Beschneidung von Jungen weniger schwerwiegend ist als die Genitalverstümmelung von Mädchen. Der Maßstab für die rechtliche Beurteilung der Knabenbeschneidung kann nicht eine willkürlich gewählte, noch schlimmere Praxis sein, sondern nur Art. 2 des Grundgesetzes, der die körperliche Unversehrtheit schützt. Und die ist bereits bei der Entfernung der Vorhaut ohne medizinische Notwendigkeit beeinträchtigt.
Zu den gesundheitlichen und medizinischen Aspekten:
Weiter wird gesagt, die Beschneidung diene gerade dem Wohl des Kindes, da ihr gesundheitliche Vorteile zugeschrieben werden. Für die Beschneidung von Kindern kommt es aber nicht darauf an, ob die Beschneidung überhaupt Vorteile hat, sondern ob diese Vorteile es rechtfertigen, die Beschneidung schon beim nicht einwilligungsfähigen Kind vorzunehmen. Das Risiko, an Peniskrebs zu erkranken, ist beispielsweise so gering, dass es die möglichen Komplikationen einer Beschneidung nicht rechtfertigt, zumal die Beschneidung auch hier immer noch später vorgenommen werden könnte.
Was den in diesem Zusammenhang ebenfalls oft angeführten Gebärmutterhalskrebs angeht, so ist es unverhältnismäßig, am nicht einwilligungsfähigen Kind Eingriffe zum Wohle Dritter – bei Gebärmutterhalskrebs nämlich zukünftiger Geschlechtspartnerinnen – vornehmen zu lassen. Dies liegt nämlich nicht im Interesse des Kindes. Auch alle weiteren genannten gesundheitlichen Vorteile wie bessere Hygiene und (begrenzter) Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten lassen sich auch durch weniger einschneidende Maßnahmen erzielen, und für den Schutz vor Geschlechtskrankheiten und Gebärmutterhalskrebs ist auch keine Beschneidung im nicht einwilligungsfähigen Alter erforderlich.
Zum häufig gehörten Argument, Gesundheitsorganisationen würden Beschneidungen empfehlen:
Unvoreingenommener urteilen Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO und nationaler Gesundheitssysteme. Auch die WHO empfiehlt keine Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Kindern: Die vielzitierte Empfehlung der WHO bezieht sich nämlich nur auf AIDS-Hochrisikogebiete und fordert ausdrücklich die Freiwilligkeit der Maßnahme. Es gibt auch weltweit keine andere Gesundheitsorganisation, die die Beschneidung von Kindern als Standardmaßnahme empfiehlt. (Andernfalls hätte man sicher in der letzten Woche davon gehört.) Im Gegenteil: In England und den USA wurde der Nutzen der Beschneidung von Neugeborenen untersucht, woraufhin ausdrücklich keine Empfehlungen mehr ausgesprochen wurden – was dazu führte, dass (in England und Teilen des USA, auch Kanada) die Beschneidung ohne konkrete medizinische Notwendigkeit nun nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt wird. Seitdem sinkt dort auch die Zahl der vorgenommenen Beschneidungen.
Zum sexuellen Aspekt:
Angebliche sexuelle Vorteile können gleich gar nicht als Argument für die Beschneidung von Säuglingen und Kindern ins Feld geführt werden, da sich die behaupteten Vorteile später immer noch – dann aber mit der Einwilligung des Betreffenden – erzielen ließen. Auch hier belegt dies eher die Unbedachtheit desjenigen, der so argumentiert. Und es mutet schon seltsam an, dass die reduzierte Empfindsamkeit der Penisspitze – ein Umstand, der im Hinblick auf Kondome weltweit regelmäßig als Nachteil und Grund für die Nichtbenutzung angeführt wird – bei der Beschneidung von Säuglingen plötzlich als Vorteil gelten soll.
Zur Religionsfreiheit:
Sowohl der Zentralrat der Juden als auch der der Muslime bezeichnen das Urteil als „Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften“. Gemeint ist wohl Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 (3) WRV: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.“ Wie schon bei der Religionsfreiheit hat dies aber im Rahmen der für alle geltenden Gesetze zu erfolgen, deshalb kann das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften keinen Verstoß gegen das Strafrecht rechtfertigen. Im Gegensatz z.B. zu Kopftuchverboten ist das Verbot der Körperverletzung auch kein Gesetz, speziell auf die Einschränkung bestimmter religiöser Praktiken abzielt.
Ohnehin ist nicht unmittelbar einleuchtend, wie ein Selbstbestimmungsrecht Eingriffe an anderen – also Fremdbestimmung – rechtfertigen soll.
Nachvollziehbarerweise empfinden Juden und Muslime das Urteil als Einschränkung der Religionsfreiheit – genauer müsste man aber wohl von einer Einschränkung der Religionsausübung sprechen, denn die Religionsfreiheit erstreckt sich nur auf gesetzlich zulässige Handlungen. Das Urteil richtet sich aber nicht gegen die Religionsausübung als solche, auch nicht gegen die Beschneidung an sich, sondern hält lediglich die Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Kinder für unverhältnismäßig. Zwar wird die Religionsausübung eingeschränkt, dies geschieht aber, um einem höherrangigen Recht Geltung zu verschaffen, nämlich dem Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit. Man muss dies nicht mögen, es ist aber nicht zu beanstanden.
Zum Argument der Verdrängung der Beschneidung in die Illegalität:
Der am meisten bedenkenswerte Einwand ist die von vielen Kritikern des Urteils vorgebrachte Befürchtung, dass nun auf illegale, weniger professionelle Beschneider zurückgegriffen wird, wodurch das Wohl der Kinder erst recht gefährdet würde. Dieser Einwand ist nicht von der Hand zu weisen, er bestätigt allerdings die Kölner Richter in ihrem Urteil und entlarvt gleichzeitig die ganze Diskussion um die angeblichen Vorteile der Beschneidung als vorgeschoben: Denn offenbar ist selbst den Verteidigern der Beschneidung klar, dass es bei der religiösen Beschneidung nicht um das Wohl des Kinde geht. Dann würden die Eltern nämlich lieber die Beschneidung verschieben, als ihr Kind von einem Pfuscher beschneiden zu lassen. Es mag ja sein, dass es Eltern gibt, denen das Strafrecht egal ist und die für einen religiösen Brauch auch das Wohl ihres Kindes aufs Spiel setzen. Dies sind nun aber gerade nicht die Leute, wegen denen man Ausnahmen in das Strafrecht schreiben sollte – dies sind die Leute, vor denen Kinder geschützt werden müssen.
Ausführliche Informationen zur Beschneidung von Jungen findet man überdies in einer Broschüre, die von der geschlechterpolitischen Initiative MANNdat zusammengestellt wurde.
(hat tip: Genderama)
„das Recht der Eltern auf Religionsfreiheit (Art. 4 GG)“
Inwiefern wird das beeinträchtigt? Die Eltern können sich doch ihren Penis/Klitoris komplett abschneiden wenn sie das wollen. Aber eben nur sich selbst.
Religionsfreiheit bezieht sich ausschliesslich auf sich selbst und nicht auf andere.
„und das Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 (2) GG)“
Was hat Beschneidung mit Erziehung zu tun?
Nene, das klingt mir schon wieder zu sehr nach „Kinder sind elterlicher Besitz mit dem man nach gutdünken verfahren kann und keine eigenständigen Personen“.
Wieso ist es ein Eingriff in die Religionsfreiheit der Eltern wenn das Kind nicht beschnitten werden darf?
Was wenn die Eltern einem alten hinduistischen Kult angehören der Menschenopfer verlangt (der Göttin Kali-Ma wurden glaube ich früher Menschenopfer dargebracht) könnte man sich da auch nicht mit Religionsfreiheit rausreden. mMn kann sowas nur gelten solange man mit seiner Religion keine andere Person auch nur ansatzweise beeinträchtigt.
@Adrian: Als ich vor fast zwei Jahre das Gleiche- bereits lange vorm Kölner Urteil- geschrieben habe, hast Du nichts dazu gesagt und jetzt auf einmal die volle Salve Deinerseits. 🙂
Zur Erinnerung:
http://lforliberty.wordpress.com/2010/07/23/beschneidung-von-jungen
@ CK
Wie gesagt: Die Sachlage ist mir durch das Urteil erst so richtig bewusst geworden. Durch das Urteil und durch die Reaktionen der Gegner darauf, deren einzigstes Argument eben ist: Das ist unsere Religion und das haben wir schon immer so gemacht. Ein solches Argument akzeptiere ich nicht.
Hat denn auch nur einer der Religionsvertreter mal eine Augenbraue gehoben bei dem Gedanken, einem kleinen Baby ein Stück Haut abzuschneiden? Befremdlich…