Lieber schwul als queer

25 Sept

Das Berliner Szenemagazin „Siegessäule“ beschäftigt sich in seiner Septemberausgabe mit dem angeblichen Umstand, dass sich immer weniger Schwulen und Lesben tatsächlich als schwul oder lesbisch identifizieren und sich statt dessen anderen Begrifflichkeiten bzw. Identitätskategorien zuwenden, vorzugsweise der Identitätskategorie „queer“, die für sich allerdings den Anspruch erhebt, eben keine Identitätskategorie zu sein, faktisch aber doch eine ist, weil sie sich ja von anderen Kategorien abgrenzt.

Das klingt kompliziert? Ja, das ist es auch. Und zwar so richtig. Denn auch nach mehrmaligem Lesen, bin ich immer noch nicht dahinter gekommen, wo genau denn das Problem an den Begriffen „lesbisch“ und „schwul“ sein soll. Ich verstehe es einfach nicht. So auch  nicht den 22jährigen Finn, der über sich erzählt:

„Ich bin nicht schwul, sondern ein Mann, der Männer liebt“

Eine wahnsinnig originelle Aussage, die ungefähr so viel Sinn macht wie, „Ich bin nicht blond, sondern ein Mensch, der helle Haare hat“.

Und es geht noch weiter. So etwa mit Maria, welche

die Selbstbezeichnung „lesbisch“ aus politischen Gründen

ablehnt. Was nun genau dem Begriff „lesbisch“ politisch sein soll, erklärt Maria ebenso wenig wie, was denn im Gegenzug am Begriff „queer“ besser sein soll, außer natürlich

„weil es ein offener Begriff ist“

„Offen“ ist dieser Begriff in der Tat, so offen gar, dass man auch nach Abschluss der Lektüre des Artikels immer noch nicht genau weiß, was „queer“ denn nun eigentlich sein soll.

Und während für die einen „schwul“ zuviel an Identität ist, fehlt es bei anderen bei diesem Begriff eben genau daran. So etwa für Patrick:

„Schwul ist zu p.c. geworden. Für mein Gefühl ist der Begriff zu abgelutscht. […] Ich würde mich lieber Tucke nennen als schwul. Es ist eher identitätsstiftend, es impliziert auch das Abwertende.“

Abgesehen davon, dass Patrick sich selbstverständlich als „Tucke“ bezeichnen darf, bleibt er aber dennoch schwul, sofern er eben tatsächlich auf Männer steht. Merkwürdig ist allerdings die Ansicht, der Begriff „schwul“ würde gesellschaftlich nicht mehr abwertend verwendet. Denn auf genau das Gegenteil weist die „Siegessäule“ nur wenige Zeilen später hin.

Heute ist „schwul“ ein wahrscheinlich heftigeres Schimpfwort als je zuvor. Auf Schulhöfen, Sportplätzen, Hinterhöfen ist es verbreitet – noch ein Grund, warum sich jüngere Leute schwertun mit dieser Benennung. Niemand will freiwillig „ein Opfer“ sein.

Ja glauben die „jüngeren Leute“, glaubt hier überhaupt tatsächlich irgendjemand, man könnte der gesellschaftlichen Ablehnung dadurch entfliehen, indem man einen negativ besetzten Begriff nicht mehr verwendet? Mal angenommen, wir Homos bezeichnen uns jetzt alle fröhlich nicht mehr als „schwul“ oder „lesbisch“, sondern eben als „queer“ – und angenommen, die Heteros berücksichtigen das und machen die Umbenennung mit. Dann wird es eben demnächst auf Schulhöfen heißen: „Du queere Sau!“ Denn jedes Wort unterliegt einer Bedeutung, und ob man nun „schwul“ oder „queer“ mit dem Umstand assoziiert, dass man eben nicht den heteronormativen Vorgaben der Mehrheitsgesellschaft entspricht, ist für eine negative Beurteilung vollkommen egal. Es geht eben nicht darum, Wörter auszutauschen, sondern für die Anerkennung von Schwulen und Lesben zu streiten, und eben aufzuzeigen, dass „schwul“ bzw. „lesbisch“ nichts Schlimmes ist, dass sie sich als Schimpfwort nicht eignen.

Man könnte das Unbehagen eines Teils der Community an Begriffen wie „schwul“ oder „lesbisch“ aber auch anders deuten. Immer offenkundiger wird, dass der reine Umstand auf das gleiche Geschlecht zu stehen, sich immer weniger politisieren lässt. Gerade für die politische Linke waren Schwule und Lesben – freilich erst ab einem gewissen Zeitpunkt, als klar war, dass die „Arbeiterklasse“ keinen Bock auf Revolution hatte –  fest als Avantgarde für die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft eingeplant. Schwul bzw. lesbisch zu sein, das hieß für den Sozialismus, für den Feminismus, für die Dritte Welt und natürlich auch für Palästina zu sein. Dieser Anspruch lässt sich offensichtlich nicht mehr aufrecht erhalten. Selbst „Spätzünder“ müssen zur Kenntnis nehmen, dass mit dem Outing von Ole von Beust und Guido Westerwelle offenkundig geworden ist, dass in Kreisen, die man gerne als „bürgerlich“ bezeichnet, die Homosexualität  ebenso verbreitet ist. Die Marschrichtung der homosexuellen Linken ob dieses Umstandes ist klar: Wenn „schwul“ und „lesbisch“ als linke politische Kategorien nicht mehr taugen, dann muss eben ein anderer Begriff her. Und genau hier soll „queer“ ansetzen.

Wem das jetzt zu weit hergeholt erscheint, der lese selbst:

Themen, mit denen sich auch die linken Tunten der 70er-Jahre befassten und die heute in der queeren Bewegung aufgehen, die neue Bündnisse zwischen Randgruppen schmiedet. Rasse, Klasse, Sex 2.0, wenn man so will. Rüdiger Lautmann hält diese „feministische Fortentwicklung“ für „sehr vielversprechend, weil damit die Vereinzelung und politische Schwäche der einzelnen Gruppen abgebaut werden“. Gerade die Schwulen, die „inzwischen an die Grenzen ihrer Entfaltung kommen“, würden sehr von diesen Bündnissen profitieren. Lautmann hat schon einen Begriff für die VertreterInnen dieses Ansatzes gefunden, er nennt sie „Generation Q“. Die Chancen der Generation Q seien hoch, „weil die Kleingruppenmentalität aufgehoben wird“.

„Queer“ dient hier also als ein Projekt zur grenzüberschreitenden Solidarität zwischen „Rasse, Klasse und Sex“. Ziel ist es also, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Unterdrückung der Homosexualität Hand in Hand gehe mit der Unterdrückung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Herkunft und sozialem Status. Was als Ganzes betrachtet natürlich absurd ist, denn eine heterosexuelle Frau, die als Friseuse arbeitet, muss mit einem schwulen Mann, der Abteilungsleiter bei Siemens ist, ebenso wenig gemein haben, wie ein schwarzer, heterosexueller Vorarbeiter mit einer lesbischen, palästinensischen Aktivistin.

Mit dem Begriff „queer“ wird verzweifelt versucht, das zu wiederholen, was bereits in den 70ern gescheitert ist, nämlich eine „Volksfront“ herzustellen zwischen Individuen, die außer der Tatsache, dass sie von gewissen politischen Kreisen als vom „kapitalistischen System“ unterdrückt angesehen werden, nichts weiter gemeinsam haben.

Wohin das führen wird scheint klar: Künftig werden Schwule mit der „richtigen“ politischer Einstellung sich als „queer“ bezeichnen, während der Rest sich um solch alberne Wortklaubereien nicht weiter kümmern wird und, anstatt für die Solidarität mit den Palästinensern auf die Straße zu gehen, lieber mit schwulen Touristen einen Cocktail trinken geht, um hinterher übereinander herzufallen.

Wer braucht da schon „queere Bündnisse“?

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5 Antworten to “Lieber schwul als queer”

  1. jochen 25. September 2010 um 11:54 #

    hm. ich kann große teile der kritik nachvollziehen. die zitierten aussagen im artikel in der siegessäule sind teilweise wirklich absurd. finde die begriffe „schwul“ und „lesbisch“ weiterhin sinnvoll. ich persönlich kann mit der selbstbezeichnung „schwul“ mal mehr, mal weniger anfangen. heute verliebe ich mich in einen mann. morgen vielleicht mal wieder in eine frau. alles möglich. obwohl ich natürlich bestimmte vorlieben habe, richtet sich liebe für mich nicht nach chromosomenkonstellationen oder penislänge. und was den sex betrifft so bieten die modernen entwicklungen der sexspielzeugindustrie heutzutage die möglichkeiten mit beiden geschlechtern ähnlichen sex zu haben. alles postmodern beliebig also. genauso wie es eben keine „rassen“ gibt und weiße nie wirklich völlig weiß sind und schwarze nie völlig schwarz. und trotzdem macht die unterscheidung in vielen momenten sinn – vor allem dann, wenn es darum geht privilegien auf der einen seite und diskriminierung auf der anderen seite zu kritisieren. in unserer heteronormativen, rassistischen gesellschaft ist es also weiter sinnvoll auch genau zu benennen, wen die diskriminierung oder auch offene gewalt trifft. nämlich schwule, lesben, schwarze,… – dann bin ich in dikussionen darüber auch gerne schwul – auf der tanzfläche, wenn es darum geht mit wem ich nach hause gehe, bin ich lieber queer.

    • Adrian 25. September 2010 um 12:16 #

      obwohl ich natürlich bestimmte vorlieben habe, richtet sich liebe für mich nicht nach chromosomenkonstellationen oder penislänge.

      Bei mir schon. Zumindest was die Chromosomenkonstellation anbelangt.

      und was den sex betrifft so bieten die modernen entwicklungen der sexspielzeugindustrie heutzutage die möglichkeiten mit beiden geschlechtern ähnlichen sex zu haben.

      Wer das mag, bitte. Aber eine Frau bleibt eine Frau, auch wenn man sich von ihr mit einem Umschnalldildo vögeln lässt. Und ich habe keinerlei Bedürfnis mit einer Frau ins Bett zu gehen. Für die schöne neue queere Welt, bin ich also der absolute Reaktionär.

      in unserer heteronormativen, rassistischen gesellschaft ist es also weiter sinnvoll auch genau zu benennen, wen die diskriminierung oder auch offene gewalt trifft.

      Und wenn jetzt ein weißer Schwuler wegen seiner Homosexualität von einem heterosexuellen Schwarzen vermöbelt wird? Oder ein schwarzer Schwuler von einem schwarzen Hetero? Was passiert dann mit den „queeren Bündnissen“ zwischen „Rasse, Klasse und Sex“?

  2. lalibertine 25. September 2010 um 21:25 #

    „Rasse, Klasse, Sex 2.0“

    Ich wünsche den „queeren Tucken“, die versuchen mit Nazi-Hartzi und Messer-Murat „Bündnisse“ zu schließen ganz viel Glück und einen guten Arzt.

    Von Leuten, die Feminismus mit Pro-Palästina-Engagement für vereinbar halten, darf man allerdings auch keinen Realitätssinn erwarten.

  3. dominikhennig 27. September 2010 um 05:16 #

    „Rasse, Klasse, Sex 2.0“ – ef-Feinbildtauglichkeit wäre immerhin garantiert: ein eine lesbische, alleinerziehende, dunkelhäutige Hartz IV-Empfängerin aufs Cover und drunter der Schriftzug „NettostaatsprofiteurIN“. 😉

  4. Genesis 30. Oktober 2010 um 01:48 #

    Irgendwie ist es lustig und traurig zugleich, wie sich aufrechte Menschen um die Gleichstellung von Homosexuellen bemühen, nur dass die Bemühungen von irgendwelchen verkappten „Queertreibern“ torpediert werden, die irgenwie nicht wissen, was sie eigentlich wollen und aus irgendwelchen Gründen das Problem haben, die Worte schwul und lesbisch in den Mund zu nehmen. Wieso nennen sie sich dann nicht homosexuell,ist doch jenseits von Rasse, Klasse und Sex (Und wieso habe ich davon jetzt einen braunen Wichtel mit komischen Schnäuzer vor Augen?)
    Naja, ich habe für derartige Gruppen bestenfalls milden Spott übrig, die auf Biegen und Brechen versuchen,über allen möglichen Unfug gegen die Gesellschaft Front zu machen, aber am Ende nix Konstruktives bei rauskommt.

    @Adrian. Könnte das eventuell in Richtung dieser Transgendergeschichte laufen? Mich würde nämlich mal interessieren, was Sie davon halten und wie das eigentlich deffiniert ist. Ich verbinde damit nämlich immer dieses Geschlechterwischiwaschi, dass den meisten Heteros wie Homos ein Greuel ist.

    Gruß
    Genesis

    P.S. Eine Mail als Antwort auf die Frage wäre ganz nett, wenn es Ihnen recht ist, Mailadresse wird ihnen ja angezeigt.

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