Mit Matussek in der Schule

21 Feb

Durchs Netz wabert gerade eine beachtliche konservative Empörung. Worum geht es? Die Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft“ (GEW) hat eine Handreichung für Lehrer herausgegeben, in der es um „Lesbische und schwule Lebensweisen“ geht. Nun ist das für den gewöhnlichen Konservativen an sich schon verbrecherisch genug. Der eigentliche Skandal entzündet sich allerdings an einem in der Handreichung aufgeführten „heterosexueller Fragebogen“, mit folgenden Fragen (Link nicht mehr aktiv):

Der allseits bekannte Matthias Matussek empört sich über diese Fragen genüsslich – und rennt dabei voll gegen die Wand:

Was soll ein 13-Jähriger auf die Frage antworten, woher seine Heterosexualität kommt? Und was, ob diese eine Phase ist? Ganz nebenbei wird hier übrigens insinuiert, dass Homosexualität kein genetisches Schicksal ist, sondern eine frei zu entscheidende Wahl. Ihr müsst euch mal langsam entscheiden, Leute! Um die pubertierenden 14-Jährigen völlig verrückt zu machen, wird ihnen die beliebte Vermutung, dass die Normalen, die man »Heterosexuelle« nennt, eine »neurotische Angst vor Menschen gleichen Geschlechts« hätten, in eine Frage gegossen — sind die noch zu retten?

Doch damit nicht genug. Während Homosexualität offenbar als genetisch bedingt angesehen wird, wird nun die Heterosexualität zu einer Variablen; zu einer Wahl, die sich ändern lässt.

Denn Frage 11 — und jetzt kommt’s — lautet: »Es scheint sehr wenige glückliche Heterosexelle zu geben; aber es wurden Verfahren entwickelt, die es dir möglich machen könnten, dich zu ändern, falls du es wirklich willst. Hast du schon einmal in Betracht gezogen, eine Elektroschock-Therapie zu machen?«

Das steht da tatsächlich! Das haben sich diese Frankensteins tatsächlich aus ihren wirren Schädeln qualmen lassen.

Würde Herr Matussek kurz innehalten um nachzudenken, dann würde er begreifen, dass seine Empörung über derart impertinente Fragen zwar gerechtfertigt, es aber eben nicht das Ziel des Fragebogens ist, Heterosexualität abzuwerten, oder heterosexelle Jugendliche zu verwirren. Sondern im Gegenteil dazu dienen soll, die gestellten Fragen zu hinterfragen.

Stefan Niggemeier hat das sehr schon erklärt:

Das Ziel dieses Fragebogens ist nicht, die Schüler an ihrer Heterosexualität zweifeln zu lassen. Das Ziel dieses Fragebogens ist es, die Schüler am Sinn dieser Fragen zweifeln zu lassen.

Es handelt sich um Fragen, mit denen sich klassischerweise Lesben und Schwule konfrontiert sehen. Dadurch, dass die Fragen, Mythen und Stereotypen (Homosexualität ist nur eine Phase / Homosexualität ist eine Neurose / Homosexuelle haben besonders häufig Geschlechtskrankheiten und sind besonders häufig Päderasten / Homosexuelle sind unglücklich, aber Homosexualität lässt sich mit der richtigen Therapie wieder aberziehen) umgekehrt und auf Heterosexualität angewandt werden, sollen die Schüler erkennen, wie sinnlos diese Fragen sind, wie merkwürdig die Annahmen sind, die ihnen zugrunde liegen, wie groß die Zumutung ist, ihnen ausgesetzt zu sein.

Ja, liebe Konservative, ja, lieber Matussek, derartige Fragen sind empörend, aber es sind Fragen, die uns Homos beständig, immer noch und in vollster Unschuld gestellt werden. Wenn Sie, und Ihre Kollegen, das nicht kapieren, kann ich mich nur meinem Bloggerkollegen Damien anschließen und Ihnen empfehlen, noch eimal die Schulbank zu drücken. Textverständnis, Textinterpretation, Textrecherche und Quellenanalyse sollte man dort eigentlich gelernt und verstanden haben. Zumindest wenn man sich „Journalist“ nennt.

12 Antworten to “Mit Matussek in der Schule”

  1. Matthias Mala 21. Februar 2014 um 19:46 #

    Satirisch ist der Fragebogen nicht, und als paradoxe Intervention ebensowenig tauglich. Er ist schlicht Blödsinn. Und was Niggemeier angeht, der meint, er wäre mit dem Leseverständnis eines Siebtklässlers zu durchschauen, ist eher dünkelhaft. Denn dass es so viele Menschen nicht durchschaut haben, mich eingeschlossen, hat wohl damit zu tun, dass die Verfasser des Fragebogens ihre Intention um Meilen verfehlt haben, weil sie das psychologische und pädagogische Handwerk nicht beherrschen.

    Michael Klein hat ja dazu schon vor ein paar Tagen Stellung bezogen: http://sciencefiles.org/2014/02/15/homo-mania/

    „Hier haben die Hersteller der GEW-Broschüre eine Verfremdungstechnik benutzt, die seit Harold Garfinkel seine Ethnomethodologie begründet hat, verwendet wird, allerdings von den meisten Autoren richtig, d.h. in einer Weise, die es erlaubt, die Vorurteile von Probanden zu ergründen. Die Art und Weise, wie sie in der GEW-Broschüre verwendet wird, ermöglicht es nur, die erschreckenden Vorstellungswelten zu rekonstruieren, in denen die Macher leben müssen.“

    Servus Matthias Mala

  2. mitm 21. Februar 2014 um 20:31 #

    Nix für ungut, aber ich halte diese Handreichung für völlig daneben.
    Unter den 13-jährigen Kindern ist ein großer Teil noch kindlich und kennt wenig einschlägige Fakten (außer von Pornos, die heimlich gesehen werden, es ich wichtiger, den Unsinn, den die dort zum Teil lernen, geradezurücken). Man kann aber das Paradoxe an diesen Fragen ohne Faktenwissen nicht erkennen. Entscheidend ist mMn das Faktenwissen, dafür ist z.B. die Folge 3 Gay/Straight von Eias Brainwash-Serie um Klassen besser.

    PS: der Link auf die GEW-Datei funktioniert nicht (bei mir zumindest)

  3. Graublau 21. Februar 2014 um 22:54 #

    Das war so ziemlich das erste Video, an das ich mich von Upworthy erinnern kann – und so ziemlich das einzige, das mich nicht enttäuscht hat:
    http://www.upworthy.com/watch-these-straight-people-answer-a-question-gay-people-have-been-asked-for-years-6

    Ansonsten gilt jedoch: Überraschung! 13- bis 14-jährige wollen gar nicht so viel über Sex wissen, geschweige denn reden…
    http://genderama.blogspot.de/2014/02/schweiz-politiker-reagieren-geschockt.html

  4. Matthias Mala 22. Februar 2014 um 00:34 #

    Ja, bei der GEW ist die Seite nicht mehr online. Womöglich steht man dort nicht mehr zu dem Schnee von gestern. Hier ist sie aber noch abrufbar.

  5. bombastu 22. Februar 2014 um 10:35 #

    Ich habe gerade ein bisschen auf sciencefiles.org gelesen, Herr Mala. Ihnen ist schon klar, dass sich dort totalitäre Faschisten, Verschwörungstheoretiker und Homophobe die Klinke in die Hand geben?

  6. Peloquin 22. Februar 2014 um 11:48 #

    @bombastu:

    natürlich! und gleich auch wieder alle Punkte der Tagesorung abgehakt, Danke dafür, jetzt kann es weitergehen.
    Was den Fragebogen angeht, denke ich ebenfalls das die Kinder, bedingt durch Ihre Entwicklung und Einsicht in dieses Thema, diesen sofort durchschauen und wissen um was es hier geht.
    Wir Erwachsenen sehen ja auch alles immer so schnell durch unsere idiologische Hassbrille, gell.
    Vor allem die schlauen Mädchen werden hier sofort punkten können und für die Jugen, die wohl erst wieder auf die Kern-Aussage hingewiesen werden müssen, empfehle ich auch gleich die Note 6 zu vergeben, wahlweise kann man aber auch über das erneute Einführen der Prügelstrafe oder gleich das Verbieten des sportunterrichts reden.

    Denn, Erziehung muss sein!

  7. bombastu 22. Februar 2014 um 12:24 #

    Ich finde das empfohlene Alter für den Fragebogen übrigens diskussionswürdig (ich denke, 15- und 16jährige sollten hier eher die Zielgruppe sein), die grundsätzliche Stoßrichtung scheint mir aber die richtige. Mit entsprechender Begleitung durch das Lehrpersonal sollte es durchaus möglich sein, die Absurdität dieser Fragen, denen sich Homos ständig ausgesetzt sehen, herauszustellen.

  8. martin 23. Februar 2014 um 10:13 #

    Ich finde den Fragebogen eigentlich recht amüsant. Zugegebenermaßen sind 13-Jährige vielleicht nicht die ganz richtige Zielgruppe, aber wahlweise könnte ja auch ein Herrn Matussek sich mal Gedanken darüber machen, statt gleich einen hysterischen Anfall zu bekommen.

  9. Robin Urban 23. Februar 2014 um 17:00 #

    Die Frage, die dieser Artikel aufwirft, soll doch nicht sein, ob der Fragenkatalog für so junge Schüler geeignet ist oder nicht (isser nicht). Die Frage sollte sein, wie jemand so unglaublich dämlich sein und die Fragen ernst nehmen kann. Das ist für mich ein Anzeichen für schwere Paranoia. Solche Leute brauchen Hilfe, aber nicht unbedingt eine Position, die es ihnen erlaubt, ihre satireresistente Homophobie über das Volk auszukippen.

    Wie unglaublich peinlich 😀

  10. Alreech 28. Februar 2014 um 19:37 #

    solche Fragen sind nichts für 13 jährige Kinder.
    Sie könnten daraus lernen Dinge zu hinterfragen, und wer will das schon ?

    Würde man solche Fragen im Biounterricht zum Thema biologischer Anbau stellen und dazu die Vorurteile verwenden welche es gegen genmanipulierte Pflanzen gibt würde es vermutlich einen #Aufschrei der Grünen geben…

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