Erziehung ist Claudia

19 Feb

Matussek hat mit seinem Bekenntnis zur Homophobie eine Debatte entfacht, zu der sich nun auch Claudia Roth geäußert hat. Die Intention Ihres Beitrages bleibt dabei allerdings leicht unklar:

In Deutschland tobt seit nunmehr fast sechs Wochen ein absurder publizistischer und politischer Kampf um die Frage, ob Homosexualität gleichwertig, defizitär oder sonst irgendwie untergeordnet gegenüber der Heterosexualität ist – und darüber, ob man diese Frage überhaupt stellen darf.

Für viele, mich eingeschlossen, kommt diese Debatte überraschend.

Für viele, mich eingeschlossen, kommt diese Debatte dagegen nicht überraschend. Ich verstehe auch nicht, wie man diese Debatte überraschend finden kann. Dass Homosexualität sich immer noch dazu eignet, heftige Gefühlsaufwallungen auszulösen, wurde gerade mit dem Aufkommen von sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter, aber auch von Blogs allzu deutlich veranschaulicht. Wenn man seine Zeit allerdings nur in den Parteizentralen der Grünen verbringt…

Unsere Demokratie basiert auf einem Konsens gegen Ausgrenzung und gegen Ressentiments, der sich aus dem ersten Artikel des Grundgesetzes ergibt. Darin wird die Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen festgeschrieben, und zwar ohne dafür Voraussetzungen zu formulieren. Diese vom Grundgesetz beschriebene Würde gilt also nicht für den deutschen Menschen oder den weißen, den männlichen, den heterosexuellen oder den gesunden Menschen, sondern sie gilt für den Menschen an sich, so, wie er oder sie ist, allein weil er oder sie Mensch ist.

Oder den rassistischen Menschen, den antisemitischen Menschen, den religiös-fundamentalistischen Menschen…

Moment, mag da einer sagen, besteht da nicht ein Unterschied? Immerhin sind Hautfarbe, Geschlecht oder sexuelle Orientierung doch unabänderliche Eigenschaften, ganz im Gegensatz zu Meinungen und Wertvorstellungen. Nun ja, das könnte man so sehen, aber es war Claudia Roth, die behauptet hat, im Grundgesetz wäre „die Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen festgeschrieben, und zwar ohne dafür Voraussetzungen zu formulieren“. Wenn man allerdings keine Voraussetzungen formuliert, dann hätten, laut Grundgesetz, Rassisten und Antirassisten, Homophobe und Homosexuelle, alle die gleiche Würde. Ist es das was Roth uns sagen will?

Nein, denn trotz ihrer eben zitierten Ansicht, beginnt sie nun, Voraussetzungen zu formulieren:

Daraus ergibt sich für unsere Verfassung auch der Grundsatz, dass vor dem Gesetz alle Menschen in ihrem Sosein gleich sind, völlig unabhängig davon, mit welchen Eigenschaften sie jeweils ausgestattet sind.

Doch was sind „Eigenschaften“? Sexuelle Orientierung? Religion? Geschlecht? Weltanschauung? Bestimmt all das das „Sosein“ eines Menschen? Und wenn ja, wie kann dann Roth dafür eintreten, dass homophobe Meinungen geächtet werden sollten?

Wenn nun ein Matthias Matussek die Höherwertigkeit der Heterosexualität propagiert, dann sagt er damit nichts anderes als: Der homosexuelle Mensch ist nicht gleich viel wert, Lesben und Schwule haben nicht das Recht auf die gleiche Würde und Anerkennung als Mensch.

Denn man kann nicht über Homosexualität – im Übrigen auch nicht über Heterosexualität – oder über homosexuelle Partnerschaften reden und urteilen, ohne auch gleichzeitig über den einzelnen Menschen mit seinen jeweiligen Eigenschaften zu sprechen und zu urteilen. Hetero- und Homosexualität sind nämlich kein Lifestyle und keine Mode, noch nicht mal eine Entscheidung, die man so oder so treffen könnte.

Und wenn es ein Lifestyle wäre? Was wäre dann? Dürfte man dann über Homo- und Heterosexuelität „reden und urteilen“? Wären Homo- und Heterosexualität dann besser oder schlechter, moralischer oder unmoralischer?

Ich habe mich zumindest nie bewusst für meine Heterosexualität und gegen Homosexualität entschieden, und ich nehme an, Herrn Matussek erging es ähnlich.

Ich habe mich auch nicht gegen Heterosexualität entschieden. Allerdings habe ich mich bewusst dafür entschieden, meine Homosexualität zu leben, sie öffentlich zu machen, mich nicht zu verstecken. Und genau das könnte man prinzipiell kritisieren, nämlich dann, wenn man homosexuelles „Verhalten“ als unmoralisch empfindet.

Die sexuelle Orientierung ist keine Wahl, sondern eine Eigenschaft, und wer Heterosexualität als höherwertig bezeichnet, könnte mit derselben Logik auch die weiße Hautfarbe oder eines der beiden Geschlechter als höherwertig bezeichnen.

Könnte man. Und ich bin sicher, dass es Menschen gibt, die der Meinung sind, Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben und Geschlechtern sind selbstverständlich nicht gleichwertig.

Warum nur gelten Abwertungen gegenüber Nicht-Weißen völlig zu Recht als Rassismus, gegenüber Homosexuellen aber immer noch als Meinungsfreiheit?

Claudia Roth vergleicht hier Äpfel und Birnen miteinander. Korrekt hätte der Satz lauten müssen:  Warum nur gelten Abwertungen gegenüber Nicht-Weißen völlig zu Recht als Rassismus, gegenüber Homosexuellen aber immer noch als Homophobie?

So geschrieben ergäbe der Satz allerdings keinen Sinn. Deshalb muss Roth den rhetorischen Trick anwenden, Rassismus nicht als Meinung zu betrachten, sondern als etwas, was sich außerhalb der Meinungsfreiheit befindet. Doch auf welcher Grundlage tut sie das? Immerhin: Zu sagen, dass man Schwarze nicht mag, ist zunächst einmal ebenso eine Aussage wie diejenige, dass man schwule Männer total super findet. Den grundlegenden Unterschied kann ich nicht erkennen, abgesehen davon, dass ich der einen Aussage eher zustimmen würde, als der anderen. Aber seit wann entscheidet persönlicher Geschmack, seit wann entscheidet persönliche Zustimmung zu einer Meinung über die Frage, ob etwas als Meinung und damit von der Meinungsfreiheit gedeckt ist?

Wer […] die Beziehung zwischen Mann und Frau als „erstrebenswertes Ideal“ ansieht, das politisch gefördert und bevorzugt werden sollte, versteht also nicht, dass die Vorlieben, Orientierungen und Eigenschaften eines Menschen nicht politisch steuerbar sind.

Moment! Vorlieben sind nicht politisch steuerbar? Und das aus dem Mund einer Grünen? Jener Partei also, die beständig versucht, Menschen mit der Vorliebe für Fleisch, konventionellen Lebensmitteln, Glühlampen, oder langem heißen Duschen, politisch in eine ihnen genehme Richtung zu steuern?

Es geht eben nicht um ein Verhalten, sondern um die Identität. Und genau an diesem Punkt hat die Politik, haben staatliche Regelungen nichts verloren.

Soll das im Umkehrschluss heißen, dass, wenn es ums Verhalten geht, staatliche Regelungen sehr wohl etwas verloren haben? Dass sich der Staat also gefälligst nicht in die sexuelle Orientierung („Identität“) einzumischen habe, aber bspw. in die Frage, wie oft man mit jemandem Sex  („Verhalten“) haben darf?

Stattdessen hat der Staat die Pflicht, Menschen so anzunehmen, wie sie sind, und in Bezug auf ihre Identität Neutralität zu üben.

Aber was bedeutet eigentlich „Identität“? Was ist denn mit einem Mitglied der NPD, der es als identitätsstiftend empfindet, in seiner Partei mitzuarbeiten? Würde sich Claudia Roth auch hier für Neutralität aussprechen?

Die Politik ist dazu da, jedem Menschen die gleichen Lebenschancen zu gewährleisten und die gleichen Rechte zu sichern, und sie darf niemanden ausschließen.

Niemanden? Aber warum tut der Staat das dann, auch mit dem Segen von Claudia Roth?

Um nichts anderes geht es übrigens im grün-roten Bildungsplan von Baden-Württemberg: Kinder sollen dort künftig auch in der Schule davon erfahren, dass es viele Formen der familiären und auf Liebe begründeten Gemeinschaft gibt und dass das auch völlig in Ordnung so ist.

Aber was machen wir denn mit jenen, die eben nicht der Ansicht sind, dass Homosexualität völlig in Ordnung ist? Mit welchem Recht erziehen wir diese zur „Demokratie“?

Das ist nichts anderes als gelebte Demokratieerziehung, die Eltern zu Recht von der Schule erwarten dürfen.

Wieso dürfen Eltern erwarten, dass Kinder, die nicht ihren eigenen sind, zur Demokratie erzogen werden? Wenn Eltern der Meinung sind, Kinder müssen zur Demokratie erzogen werden, wieso machen sie das dann nicht selbst, und nur mit ihren eigenen Kindern?

Solange es jedoch eine gesetzliche Bevorzugung der Ehe zwischen Mann und Frau gibt und wir sogar darüber streiten müssen, ob die Vielfalt menschlichen Lebens in der Schule gelehrt werden darf, sind wir von dieser staatlichen Neutralität aber noch meilenweit entfernt.

Von der staatlichen Neutralität sind wir aber ebenfalls weit entfernt, solange es die Schulpflicht gibt und Kinder in unseren Schulen zur Demokratie erziehen.

Besonders abstoßend finde ich es allerdings, wenn ein Herr Matussek in der Manier des selbstverliebten Agent Provocateur das Ressentiment als vermeintliche Liberalität verkauft und mit dem „flotten“ Spruch „Ich bin wohl homophob – und das ist auch gut so“ die Ausgrenzung quasi mit dem Schampus-Glas in der Hand zurück in die Salons der ach so freien Bürgerlichkeit holt.

Wieso „vermeintliche Liberalität“? Matussek hat eine Meinung geäußert. Manifestiert sich „Liberalität“ nur in Ansichten, die Claudia Roth gefallen?

Was kommt innerhalb seines Geschäftsmodells des gepflegten Ressentiments da wohl als Nächstes? Müssen wir von Herrn Matussek bald hören, dass Zigeuner hier nichts verloren haben? Oder wird er womöglich bald den Behindertenwitz wieder aus den Fängen der Political Correctness „befreien“? Ich hoffe inständig, dass es immer Menschen geben wird, die sich laut dagegen verwahren.

Aber die gibt es doch. Matussek hat seine Meinung, Claudia Roth hat ihre. Und nun befinden wir uns in einer Debatte.

Und ich sage es, wenn es sein muss, auch noch weitere tausend Mal in meinem Leben: Rassismus, Homophobie, Antiziganismus, Islamophobie, Antisemitismus und alle anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit haben mit Meinungsfreiheit nicht das Geringste zu tun.

Und ich sage, wenn es sein muss, auch noch weitere Millionen Male: Das ist Blödsinn! Rassismus, Homophobie, Antiziganismus, Islamophobie, Antisemitismus und alle anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sind Teil der Meinungsfreiheit. Wie sollte es anders sein?

Im Sinne von Artikel 1 Grundgesetz darf man deshalb so wenig über die Wertigkeit von Homosexualität streiten wie beispielsweise über die Frage der Hautfarbe. Das Ressentiment bleibt ein Ressentiment, egal, ob es als irrationale Angst, als Geschäftsmodell oder als selbstverliebte Provokation daherkommt.

Das Grundgesetz ist mir gleich. Ich werde weiterhin dafür eintreten, dass Menschen über die Wertigkeit von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion oder Weltanschaung streiten dürfen. Auch wenn ich Meinungen nicht teile. Weil es nämlich weder mir, noch anderen zusteht, Menschen den Mund zu verbieten.

4 Antworten to “Erziehung ist Claudia”

  1. k 19. Februar 2014 um 23:25 #

    Sehr richtig!

  2. wollepelz 20. Februar 2014 um 06:58 #

    Respekt.

    Das nenne ich mich mal ein selbstinteressenloses Plädoyer für eine RICHTIGE Demokratie.

    Hätte ich einen Hut, würde ich ihn jetzt ziehen. 😉

  3. Seitenblick 20. Februar 2014 um 11:52 #

    >Manifestiert sich “Liberalität” nur in Ansichten, die Claudia Roth gefallen?

    Die Antwort ist ein klares „Ja“. Selbstverständlich ist für diese Gruppe Liberalität nur das, was im Moment zufällig Teil ihrer Bubblegum-Wir-haben-uns-(fast)-alle-lieb-Weltanschauung ist.

    Und dass „Die Intention Ihres Beitrages … dabei allerdings leicht unklar“ bleibt, hat damit zu tun, dass weder Frau Roth noch ihre Parteigenossen dazu in der Lage sind, eine Ansammlung von Sätzen auf so etwas wie Konsistenz, Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit zu berurteilen.

    Haben die halt nie gelernt, aber es reichte ja trotzdem dazu, in der Politik zu landen. Phrasen statt schlüssiger Gedanken, das hat doch immer gereicht. Also macht man so weiter.
    Im Westen nichts neues …

    Guter Beitrag ;-).

  4. overthehillsandfaraway 20. Februar 2014 um 20:23 #

    Hallo Adrian,

    Deine Tolernaz ehrt Dich.

    Möge Dir und Deinen Überzeugungen so viel Raum zugestanden werden, wie Du Anderen selbst einräumst.

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